Was tun, wenn sie dauernd Sex will?

Anton und Barbara sind seit vielen Jahren - und eigentlich ja glücklich - verheiratet. Kein Seitensprung, nichts. Dann wirft sie ihm auf einmal vor, nur noch für seine Firma zu leben. Und da ist noch etwas: Barbara hat Lust auf Sex, er anscheinend nicht.

von Kuss © Bild: istockphoto.com/KatarzynaBialasiewicz

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit passte noch alles in der Ehe. Auf einmal gibt ihm Barbara das Gefühl, nicht gut genug zu sein. "Meine Frau wirft mir vor, emotionslos zu sein. Und dass ich nicht liebesfähig sei", sagt Anton verzweifelt. Und mit noch etwas rückt der Unternehmer gleich in der ersten Therapiesitzung heraus: Während bei ihm die sexuelle Glut nahezu erloschen sei, erwarte sie sich noch immer (wie früher) viel zu häufig Sex. Ich habe zugehört. Zunächst gratuliere ich Anton zu seiner Ehe. So lang zusammen, ein Haus gebaut, zwei Kinder großgezogen und zahllose gemeinsame Entwicklungsschritte. Wirtschaftlich läuft es rund. Was macht er falsch?

Typisch Unternehmer, versteht Anton sich als Macher, Verantwortungsträger, Versorger, Ernährer, Erhalter. Als was noch? Ja, fast schon als Gott. Ich spiele auf den Hang vieler Führungspersönlichkeiten an, sich alles abzuverlangen, Höchstleistungen, fehlerlose Glanzleistungen -und, ja, genau, dann versagen sie auf halber Strecke irgendwo, wo der dauernde Stress sich niederschlägt: Bei Anton schlägt er sich eben nicht auf den Magen, sondern auf seine Libido mit Barbara im Bett. Und Barbara? Sie fühlt sich abgelehnt und macht ihm Vorwürfe, dass er beim Sex zu früh kommt und es zwischen ihnen so gar nicht mehr knistert. Und hier die Erklärung: Was Anton fehlt, ist die Fähigkeit, spontan sexuelle Begierde zu entwickeln. Als Unternehmer ist er leidenschaftlich. Da hat er scheinbar alles im Griff. Das Liebesleben und Barbara erscheinen ihm hingegen unberechenbar. Und seine Gefühle? Er habe sie immer "weggestellt", sagt Anton achselzuckend. Und jetzt verlangt Barbara von ihm, seinen Gefühlshaushalt aufzuräumen. Sie erwartet von ihm sexuelle Leidenschaft.

Was tun für Menschen wie Anton? Nach einer grundlegenden medizinischen Abklärung bei einer Fachärztin für Urologie wird klar, dass seine sexuellen Funktionsstörungen, die Lustlosigkeit und der vorzeitige Samenerguss psychischen Ursprungs sind. Der Hintergrund: Schon als Kind wollte er seiner Umgebung durch Höchstleistungen beweisen, dass er eine Daseinsberechtigung hat. Jetzt ist Anton Barbaras ultimativer Mister Lover Lover oder ein "Schlappschwanz", nach dem Motto "Ganz oder gar nicht." Sein perfektionistisches Selbstbild erfordert auch die volle Funktionsfähigkeit als Mann. Dieser Druck wirkt sich negativ auf seine Libido aus: Er hat Sex eben nur im Sinn einer Pflichterfüllung, um es seinem "inneren Kritiker" Recht zu machen, damit das Thema vom Tisch oder vielmehr von der Bettkante ist. Erfolgsverwöhnte Menschen wie Anton tun etwas ganz besonders intensiv: Sie sublimieren. In Freuds Psychoanalyse bedeutet das, ihre sexuelle Energie, die Libido, fließt in etwas anderes als in die Sexualität, bei Anton offenbar samt und sonders in die Arbeit.

Und jetzt die Conclusio: Das Liebesleben von Anton und Barbara kann erst wieder erblühen, wenn er sich selbst wieder spürt. Immerzu steht er unter Erwartungsdruck. Hier gilt es, in der Sexualtherapie unmittelbar anzusetzen: Entspannungsübungen in Ruhe und in Bewegung, Achtsamkeitstrainings sowie ein kritischer Blick auf das unrealistische Selbstbild bewirken häufig die Einsicht, schon lang nur noch im Funktions-, nicht im Emotionsmodus zu sein. Und es kann wirklich dauern, bis jemand wie Anton Sex wieder genießen kann. Und sich selbst vom Gott wieder zum Menschen machen.