Klaus Luger: "Die Regierung
hat zwei Fehler begangen"

Österreichs Landeshauptstädte sind auch heuer gefordert, dem Druck der Corona-Krise standzuhalten. Wo gibt es Probleme, was sind die größten Herausforderungen 2021? Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger erklärt, was seine Stadt auszeichnet, beschäftigt und welche zwei Fehler die Regierung in der Corona-Krise seiner Meinung nach begangen hat.

von Bürgermeister im Gespräch - Klaus Luger: "Die Regierung
hat zwei Fehler begangen" © Bild: www.GregorHartl.at
Klaus Luger (* 8. November 1960 in Linz) ist ein österreichischer Politiker (SPÖ) und ist seit November 2013 amtierender Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz.

Herr Luger, wie ist Linz bis jetzt durch die Corona-Krise gekommen?
Aus gesundheitlicher oder pandemischer Sicht bis zum heutigen Tag relativ glimpflich. Wir haben derzeit von den Fallzahlen her eine vergleichbare Situation wie wir sie Mitte Juli bis Anfang August hatten.

Was mir viel mehr Sorgen bereitet und da stehen wir erst am Beginn der Negativentwicklung, das ist die wirtschaftliche Situation. Die Arbeitslosigkeit beträgt zehn Prozent, das ist für Linz sehr hoch und es sind 20.000 Menschen in Kurzarbeit, das entspricht in etwa 20 Prozent des Arbeitskräftepotenzials. Es ist zu befürchten, dass die Arbeitslosigkeit nach dem Lockdown vor allem im Handel, im Gewerbe und in der Gastronomie massiv ansteigen wird.

Eine ausschließliche Verschärfung also?
Nein, die Industrie zeigt wieder Aufwärtsentwicklungen. Die Stahlproduktion unserer voestalpine läuft zum Beispiel wieder mit einer Auslastung von 100 Prozent. Wir versuchen auch mit einem als „Pakt für Linz“ bezeichneten Investitionspaket von zusätzlichen 65 Millionen Euro vor allem die Bauwirtschaft anzukurbeln und Digitalisierungsprojekte voranzutreiben.

»Corona wirkt sich verheerend auf das Budget aus«

Wie wirkt sich das auf das Budget aus?
Wie bei allen Gemeinden, Ländern und dem Bund: Corona wirkt sich verheerend auf das Budget aus. Bei einem städtischen Budgetvolumen von etwas über 770 Millionen Euro, haben wir im vergangenen Jahr durch Mindereinnahmen und Mehrausgaben einen Einbruch von über 60 Millionen Euro erlitten.

Sie haben in der Corona-Zeit öfters klare Signale gesetzt, dass Sie mit Vorgaben der Regierung nicht einverstanden sind, zum Beispiel bei der Corona-Anmeldeplattform oder der regionalen Corona-Ampel. Gibt es auch etwas, das gut läuft? Wie würden Sie Bilanz ziehen?
Im vorigen Jahr, ab Ende Februar, und besonders im ersten Lockdown, hat die Bundesregierung fachlich korrekt, organisatorisch und auch über weite Strecken juristisch richtig gehandelt. Beim Aufsperren nach Ostern war die Qualität der Erlässe seitens des Gesundheitsministeriums schon sehr wackelig. Meine Kritik hat keinen Hintergrund als Besserwisser, ich bin selbst seit Ende Februar 2020 im Krisenmanagement-Modus, habe Vieles umzusetzen und niemand arbeitet fehlerfrei. Auch wir in Linz nicht. Was dann aber ab Juni beim Bund geschehen ist, war sehr viel Ankündigungs- und Symbolpolitik. Die Öffentlichkeitsarbeit war eindeutig wichtiger als die Organisationsarbeit und Vorbereitung.

© STADT LINZ DWORSCHAK

Die Regierung hat zwei Kardinalfehler begangen: Der eine ist, dass die Impfungen, von denen man ja wusste, dass sie irgendwann kommen, schlichtweg nicht seit Sommer letzten Jahres vorbereitet worden sind. Das hätte man organisatorisch machen können. Ich weiß zum Beispiel am heutigen Donnerstag nicht, wieviel Impfdosen am kommenden Montag zur Verfügung stehen werden. Diese Zeit nicht genutzt zu haben, ist ein enormes Versäumnis, das leider auch zu Vertrauensverlust führt.

»Den Menschen in Österreich fehlt die Perspektive«

Und was ist Ihrer Ansicht nach der zweite Fehler?
Dass man die IT-Leistungen der Bundesregierung schlichtweg nur als Desaster bezeichnen kann. Das zeigt, dass Österreich hier unheimlich hohen Aufholbedarf hat. Das Faktum, dass man zum Beispiel tagesaktuell nicht weiß, wie viele Testungen es gegeben hat, nicht weiß, wie viele Impfungen tatsächlich durchgeführt worden sind, das ist kein Kavaliersdelikt. Ich kritisiere, dass man monatelang Zeit gehabt hat, diese Aufgaben zu bewältigen, es aber nicht geschafft hat. Beide Fehler führen zu einer Situation, die gesellschaftspolitisch dramatisch ist, denn dadurch fehlt den Menschen in Österreich die Perspektive. Beim ersten Lockdown war das anders, weil die Leistung funktioniert hat und man dachte, dass es besser weiter geht, wenn man sich an alles hält.

Aus Linz kommt auch Widerstand gegen die aktuellen Umsetzungspläne des 1-2-3-Klimatickets. Wie könnte es Ihrer Ansicht nach mit dem Ticket klappen?
Generell bin ich ein großer Befürworter des Tickets, denn in einem Neun-Millionen-Einwohner-Land ist es tatsächlich förderlich, diesen Weg für uns als Kunden und Kundinnen zu beschreiten. Es ist nur so, dass die kommunalen Verkehrsbetriebe in ganz Österreich nicht diejenigen sein dürfen, die die Kosten dafür zu zahlen haben. Für uns muss es kostenneutral sein – und das ist der Konflikt, denn der ursprüngliche Finanzierungsplan des Ministeriums hätte für Linz ein zusätzliches Defizit von 20 Millionen Euro bedeutet, wo wir derzeit ohnedies ein Defizit von 34 Millionen Euro haben. Es geht also nur um Finanzen.

Wie lässt sich dieser Konflikt Ihrer Ansicht nach lösen?
Ganz einfach: Man muss die Einnahmen, die den lokalen Verkehrsbetrieben entfallen, 1:1 ersetzen - denn das ist ja wohl der Fall, wenn es nur mehr ein bundesweites Ticket geben soll. Das heißt, der Bund muss für dieses sinnvolle Projekt auch eine eigene Finanzierung zur Verfügung stellen.

Warum hat Linz als einzige Stadt Österreichs drei Vize-Bürgermeister?
Das ist wegen der Landesverfassung und der Statutar-Gesetze so, das entscheidet also nicht die Linzer Stadtregierung, sondern der oberösterreichische Landtag. Ich hätte überhaupt kein Problem damit, die Anzahl auf zwei zu reduzieren. Die drei Vize-Bürgermeister kommen noch aus einer Zeit, als es zehn Mitglieder der Stadtregierung gab, wir haben allerdings schon auf acht reduziert und der Landesgesetzgeber hat diese Vizebürgermeister so belassen.

Was erwidern Sie zur neulich erfolgten Kritik mehrerer Architekten, dass es in Linz keine Stadtplanung gäbe?
Das ist aus meiner Sicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Es gibt eine veränderte Philosophie in der Stadtplanung, die manchen nicht gefällt. Darüber kann man freilich inhaltlich diskutieren. Es gibt einzelne Architekten in Linz, die ihrer Meinung Ausdruck verleihen, und das entzündet sich primär an Hochbauten.

Linz stehen nur 100 Quadratkilometer Fläche zur Verfügung, davon sind 50 Prozent Grünland und 20 Prozent für Betriebe und Industrie vorgesehen. Das heißt, wir haben 30 Prozent der Fläche, über die wir für Baumaßnahmen verfügen können. Und es ist tatsächlich so, dass es einen Paradigmenwechsel gegeben hat, schon vor meiner Amtszeit, aber ich führe den sehr konsequent fort, dass Linz nicht nur für Bürogebäude, sondern auch für Wohnbauten in die Höhe geht.

»Die Behauptung, in Linz gäbe es keine Stadtplanung, finde ich unfair«

Um die fehlende Fläche durch Dichte zu kompensieren?
Richtig, für diesen Zugang stehe ich. Gegenpositionen dazu sind völlig legitim, das sind eben andere Zugänge, die in vielen Städten diskutiert werden. Nur, die Behauptung, es gäbe keine Stadtplanung, finde ich unfair. Es gibt sehr wohl eine Stadtplanung in Linz, nur gefällt sie eben manchen Architekten nicht.

© Stadt Linz/Hartl

Was sind Ihrem Ermessen nach derzeit die größten Sorgen der Linzerinnen und Linzer?
Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Die DNA von Linz ist die einer Technologie- und Industriestadt. Österreich ist ja weitgehend deindustrialisiert worden in den letzten Jahrzehnten und weitgehend anderen Sparten gewichen. Die Menschen in dieser Stadt haben massive Angst, dass sie ihre Arbeit verlieren oder aus der Kurzarbeit nicht mehr in die normale Beschäftigung zurückkommen. Das ist Thema Nummer 1 und ein wenig schwingt auch eine Zukunftsangst mit, dass durch CO2-Reduktionen und andere Klimaschutzmaßnahmen weitere Arbeitsplätze gefährdet sind.

Das ist also ein wenig eine polarisierende Angst. Da versuchen wir gerade eine Strategie festzulegen, damit Klimaschutz und Industrie vereinbar sind. Wenn wir also die Pandemie überwunden haben, wird natürlich wieder die Frage des Klimawandels eine größere Rolle spielen. Da wird es darum gehen, den Menschen die Angst zu nehmen und zu sagen, dass Linz das Musterbeispiel für eine Industriestadt sein soll, die beides ermöglicht.

Wie weit würden Sie Linz schon beim Ziel sehen, bis 2025 Klimahauptstadt Europas zu werden?
Ganz objektiv, erst am Beginn. Ganz wesentlicher Faktor dabei ist auch die Unterstützung der Bundesregierung für die Industrie, die CO2-Neutralität zu erreichen. Technologisch ist es möglich und alles da, infrastrukturell fehlen die Rahmenbedingungen und verstärkt brauchen wir noch Forschung im Bereich der Wasserstoff-Technologie. Das kann die Stadt alleine nicht erbringen, da brauchen wir den Schulterschluss mit Land und Bund.

Im eigenen Wirkungsbereich setzen wir ganz bewusst die ersten großen Maßnahmen. Wir haben erst kürzlich in der Linz AG beschlossen, Photovoltaik massiv auszubauen, auch verstärkt Strom und Fernwärme mit Biomasse zu erzeugen. Wir stellen unsere gesamte Busflotte auf elektrohybriden Antrieb um und wir haben bereits ein Reparaturprogramm für Begrünungsmaßnahmen an öffentlichen Plätzen. Ab dem Frühjahr werden wir dann massiv in Fassadenbegrünung investieren, zum Beispiel bei uns selbst, im Neuen Rathaus, aber auch bei Schulgebäuden und Kinderbetreuungseinrichtungen. Wir sind also über das rein Programmatische hinaus schon in einer Umsetzungsphase.

Glauben Sie, dass sich das in Anbetracht der Pandemie noch ausgehen wird bis 2025?
Ich glaube, dass man der Corona-Pandemie in diesem Fall keine nachteilige Wirkung umhängen kann. Wir haben in dem von mir bereits erwähnten 65 Millionen Euro hohen Investment einen klaren Klimaschwerpunkt gesetzt. Unter diesem Aspekt gibt es sogar Zusatzgelder für den Klimaschutz, die die lokale Wirtschaft ankurbeln und die einen Mehrwert für Klima-Maßnahmen schaffen, den es ohne Corona in dem Ausmaß in den nächsten beiden Jahren nicht gegeben hätte.

Was möchten Sie heuer für Linz unbedingt erreichen?
Ganz wichtig ist ein Übereinkommen von Stadt, Land und Bund für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, da gibt’s ein Stadtbahn-Konzept, auch das 1-2-3-Ticket. Das ist eine Maßnahme, die heuer unbedingt finalisiert werden muss, damit Verträge unterschrieben werden können.

Und ansonsten gilt es wie immer, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen, Betriebe zu sichern und in Arbeitsplätze der Zukunft zu investieren. Das machen wir ganz konkret mit der ehemaligen Tabakfabrik, wo wir mit einem privaten Investor die Infrastrukturen erweitern. Das ist inzwischen der Start-Up-Hub und die Digitalisierungs-Drehscheibe Österreichs.

»Die Tabakfabrik ist ein Riesenerfolg und in dieser Struktur einzigartig in Österreich«

Auf welches Projekt Ihrer Stadt sind Sie besonders stolz? Ist das die Tabakfabrik?
Eindeutig, ja. Auch als Symbol für Entwicklungen in einer doch sehr diversifizierten Gesellschaft ist die Tabakfabrik als Objekt und als Betreibergesellschaft im 100-prozentigen Eigentum der Stadt, allerdings ist das Projekt als solches kein rein städtisches. Das könnten wir als Stadt Linz alleine auch gar nicht umsetzen: Wir haben Top-Kooperationen mit den Universitäten, wir haben private Initiativen im Haus und wir haben eine Strada del‘ Startup mit 70 Unternehmen dort. Das ist ein Riesenerfolg, in dieser Struktur einzigartig in Österreich und somit auch ein bisschen mein Herzensprojekt.

Gibt es umgekehrt ein Projekt in anderen Landeshauptstädten, das Sie in ähnlicher Form auch gerne für Ihre Stadt sehen würden?
Ja, ich hätte gerne den öffentlichen Verkehr in der hohen Qualität, wie man ihn in Wien erlebt. Das ist absolut vorbildlich.

Im Herbst stehen wieder Bürgermeisterwahlen an: Welche Argumente würden Sie anführen, dass die Linzerinnen und Linzer Ihnen wieder so ein klares Vertrauenssignal sollen geben wie 2015?
Ich glaube zum einen, dass ich berechenbar in der Stadtentwicklung bin und von Digitalisierung bis Sozialpolitik klare perspektivische Positionen habe. Die Positionen sind also nachvollziehbar, ich ecke aber auch an, weil ich mich nicht in Schablonen einordnen lasse. Und zum anderen glaube ich auch, dass ich mit meinem Krisenstab die Linzerinnen und Linzer bis jetzt sehr unaufgeregt durch die pandemische Situation geführt habe. Das ist aber natürlich auch dem zuzuschreiben, dass ich ein sehr gutes Umfeld und tolles Team habe.

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