"Da sag ich mir:
gut gemacht!"

Der britische Schriftsteller Ken Follett verkauft seine Romane in Millionenhöhe. In Schottland präsentierte er seinen neuen Roman, "Das Fundament der Ewigkeit", über die Religionskriege im Europa des 16. Jahrhunderts. News war dabei

von Literatur - "Da sag ich mir:
gut gemacht!" © Bild: Olivier Favre/Lübbe Verlag

Der Seeweg vom schottischen Festland beträgt per Motorboot etwas mehr als zwanzig Minuten. "Ein starker Mann brauchte eine Stunde, um vom Festland zur Insel zu rudern", lernt man in Ken Folletts neuem Roman archaischere Fortbewegungsarten kennen. "Das Fundament der Ewigkeit" ist in diesen Tagen bei Lübbe erschienen, und der Meister lädt zum Lokalaugenschein.

Er müsse selbst an einem Ort gewesen sein, um davon erzählen zu können, sagt Follett in geschliffen britischem Englisch. "Wenn man nicht selbst dort war, kann man nie wirklich sicher sein, ob man alles richtig erzählt. Selbst vor Ort zu recherchieren, gibt mir Sicherheit beim Schreiben", erhebt er die Stimme gegen den frischen Wind und das Rattern des Motors, der den kleinen Kutter nach Loch Leven Castle treibt. Der Schlossturm auf der Insel im Leven-See ist ein welthistorisch beglaubigter Ort: Hier war elf Monate lang, von 1567 bis 1568, das Gefängnis der entthronten Schottenkönigin Maria Stuart. Ihrer Flucht aus dem unwirtlichen Gemäuer gilt ein Kapitel in Folletts neuem Roman, der einer handverlesenen Schar von Journalisten aus Deutschland, Brasilien, Italien, Schweden und der Schweiz am Tatort vorgestellt wurde. News war als einziges österreichisches Medium dabei.

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Der Meistererzähler

Geht es darum, den vor 68 Jahren im walisischen Cardiff geborenen Sohn eines Steuerprüfers zu beschreiben, fällt am häufigsten der Begriff "Meistererzähler", beim britischen "Telegraph" ebenso wie in der deutschen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Den Durchbruch als Schriftsteller verschaffte dem ehemaligen Journalisten des "South Wales Echo" und der Londoner "Evening News" der Spionagethriller "Die Nadel" anno 1978.

© Olivier Favre/Lübbe Verlag Am Schauplatz: Ken Follett in Loch Leven Castle, wo die Engländer Maria Stuart festsetzten. "Wenn man nicht selbst am Ort des Geschehens war, weiß man nie, ob man alles richtig erzählt hat"

Zwölf Jahre und sechs Romane später schuf er das Mittelalter-Epos "Die Säulen der Erde" und wurde weltberühmt. In Form eines packenden Thrillers erzählt Follett darin vom Bau einer Kathedrale in der fiktiven südenglischen Stadt Kingsbridge. Mit diesem Fantasiekonstrukt im Süden Englands schuf Follett für historisch begeisterte Leser eine Art Entenhausen mit Langzeitwirkung.

18 Jahre dauerte es, bis er 2008 die "Kingsbridge"-Story fortsetzte: "Tore der Welt" thematisierte die Macht des Klerus im England des 14. Jahrhunderts. "Das Fundament der Ewigkeit" ist nunmehr der dritte Teil der "Kingsbridge"-Serie. Es geht um die Gründung des britischen Secret Service und die Glaubenskriege zwischen Katholiken und Protestanten im 16. Jahrhundert. 1572 erreichten die konfessionellen Zerwürfnisse mit der Bartholomäusnacht ihren finsteren Höhepunkt: In der Nacht vom 23. auf den 24. August wurden in Paris 15.000 Protestanten ermordet.

Liest man in "Fundament der Ewigkeit" von den wahnsinnigen Religionsmassakern vor 500 Jahren, so unterscheiden sich die Bilder des Grauens nur unwesentlich von jenen der Terroranschläge und der Gräueltaten des IS. Waren diese Bilder Quell der Inspiration für Ihren Roman?
Ich wollte die Parallelen zwischen der dunklen Vergangenheit und der Gegenwart zeigen. Denn in dieser Zeit haben die Menschen begonnen, für ihre religiöse Freiheit zu kämpfen. Und das war einer der wichtigsten Momente in der Geschichte der Menschheit. Der große Unterschied ist aber, dass wir heute besser mit Konflikten umgehen. Es gehört nicht mehr zum Alltag, dass man jemanden ermordet, nur weil er einer anderen Religion angehört. Damals aber war das normal: Katholiken killten Protestanten, und diese brachten Katholiken um. Die Christen zogen in Kreuzzügen in den Mittleren Osten und töteten Muslime. Das war damals alles ganz in Ordnung. Es ist wirklich ein großer Fortschritt, dass das heute nicht mehr geschieht. Auch die Muslime halten es für falsch, jemanden aus religiösen Gründen zu töten. Aber es ist auch verständlich, dass wir heute nur von jener kleinen muslimischen Truppe etwas hören, die aus religiösen Gründen mordet.

Ist diese Truppe wirklich so klein? Nizza, Barcelona, auch London wurde bereits Ziel terroristischer Angriffe. Schockiert Sie diese ständige Bedrohung nicht?
Natürlich. Aber wirklich schockiert sind wir doch alle nicht mehr. Das waren wir vor 16 Jahren bei 9/11. Heute gehört das zu unserem Alltag. Mir geht es im Roman um religiöse Toleranz.

»Es gibt auch viele christliche Religionen, die Frauen für minderwertig halten«

Ist die überhaupt möglich? Wie kann man eine Gesellschaft tolerieren, die Frauen teilweise fundamentale Menschenrechte abspricht?
Es gibt doch auch viele christliche Religionen, die Frauen für minderwertig halten. In vielen Kirchen Englands dürfen Frauen nicht einmal sprechen. Und denken Sie doch nur daran, wie die katholische Kirche in Irland mit Frauen verfährt, wenn es um Abtreibung geht! Dort starb eine Siebzehnjährige, weil man ihr eine Abtreibung verwehrt hat, obwohl sie in Lebensgefahr war.

Ihre Eltern gehörten der strengen christlichen Sekte der "Plymouth Brethren" an. Vergnügungen wie Fernsehen und Kino waren verboten. Ist Ihnen deshalb religiöse Freiheit so wichtig?
Möglicherweise. Meine Geschwister und ich sind Atheisten geworden. Aber wir hatten eine sehr glückliche Kindheit. Denn diese Sekte war nicht böse, nur etwas seltsam. Es gab eigenartige Verbote, gegen die ich rebellierte. Man durfte etwa sonntags kein Eis essen. Aber wenn jemand dabei erwischt wurde, gab es keine Strafen. Da waren manche englische Schulen doch viel schlimmer.

© Oliver Favre/Lübbe Verlag Bestseller-Autor Ken Follett sprach mit Susanne Zobl über sein neues Buch und andere Akualitäten

Der erste Bond

Eine andere, freie Welt eröffnete sich dem jungen Follett in den Romanen Ian Flemings: Die Überfigur James Bond hat auch in "Fundament der Ewigkeit" ihre Spuren hinterlassen: Schon im 16. Jahrhundert war der Schutz Ihrer Majestät das vordringlichste Aufgabengebiet. Elizabeth I. hatte den Protestantismus in England zur Staatsreligion erhoben und war damit zum Feindbild der katholischen Adeligen geworden. Man wollte die Königin mehrmals ermorden und die schottische Mary Stuart wieder auf den Thron befördern. Deshalb gründete Elizabeth den ersten Secret Service, und dieser Geheimdienst vereitelte erfolgreich die Anschläge auf ihr Leben. Chef der Institution war der englische Adelige Francis Walsingham, der auch in Folletts Roman auftritt. Sein Agent Ned Willard hingegen ist ein geglücktes Fantasieprodukt.

Hat sich der bekennende Bond-Anhänger Follett mit der fiktiven Figur des Geheimagenten Ned ein Alter Ego im 16. Jahrhundert erschaffen? Der agiert ja wie Bond im Auftrag Ihrer Majestät.
Das müssen Sie entscheiden. Könige und Königinnen haben immer Leibwächter gebraucht. Aber dieser Geheimdienst ist eine andere Art von Personenschutz. Sie spionieren die Täter aus und verhaften sie, bevor sie etwas tun können. Wir halten das für sehr modern, aber ich war fasziniert davon, dass es bereits vor 500 Jahren einen echten Geheimdienst gegeben hat. Alles, was Spione heute tun, war bereits im 16. Jahrhundert gängige Praxis. Walsingham hat es tatsächlich gegeben. Wäre mein Roman ein "Bond"-Film, wäre Walsingham "M", der Chef von James Bond.

Ist Ned der 007 des 16. Jahrhunderts?
Ned ist ein Entwurf davon. Und er ist doch anders als Bond. Ned hat Familie, Bond ist Einzelgänger.

»Daniel Craig war bisher der beste James Bond«

Daniel Craig wird noch einmal James Bond spielen. Wie gefällt Ihnen das?
Er war der bisher beste James Bond, noch besser als Sean Connery und sicher besser als Roger Moore, möge seine Seele in Frieden ruhen. Wenn Roger Moore auf Sie losgeht, hätten Sie keine Angst, bei Daniel Craig aber schon.

Sie sind in Verfilmungen Ihrer Romane immer wieder kurz aufgetreten. Würde es Ihnen gefallen, auch in einem "Bond"-Film zu spielen?
Und wie! Am liebsten würde ich die Rolle des Masterminds des Bösen übernehmen.

Hat sich Ihre Lektüre von Ian Flemings "Bond"-Romanen auch auf Ihr Schreiben ausgewirkt?
Auf eine gewisse Weise. Aber nicht auf die Art, wie ich schreibe. Mein Stil ist anders als der von Ian Fleming. Woran ich stets dachte, war die Aufregung, die ich verspürte, wenn ich einen neuen "Bond"-Roman bekam. Diese Aufregung möchte ich auch meinen Lesern vermitteln. Bond hat mich gelehrt, wie aufregend Lesen sein kann. Ich habe ganz lebhafte Erinnerungen an diese Lektüre, und das ist das Maß für mich beim Schreiben. Es ist mein Ziel, diesen Nervenkitzel auch meinen Lesern zu vermitteln.

Spüren Sie diese Aufregung auch beim Schreiben, wenn Sie an besonders spannenden Szenen arbeiten?
Schreiben an sich ist ein aufregender und faszinierender Prozess. Und es gibt tatsächlich Momente, in denen ich mir denke, das ist jetzt wirklich gut geworden. Aber diese Momente sind sehr rar. Denn ich bin beim Schreiben ganz darauf fokussiert, die Geschichte zu entwickeln und dem Leser etwas zu erzählen, was er schon längst wissen wollte.

Brexit wird dauern

Gleich, ob es um Spionage-Thriller oder um historische Romane geht: Follett erklärt seinen Lesern Weltgeschichte. In sieben Jahren hatte er die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts zum dreibändigen, mehr als 3.000 Seiten umfassenden Epos verdichtet. Die Romane "Sturz der Titanen" , "Winter der Welt" und "Kinder der Freiheit" ließen am Beispiel von fünf Familien aus Deutschland, Russland und den USA die jüngere Vergangenheit mit literarischer Unterhaltung eins werden.

Wäre es nicht logisch, nun die Gegenwart - etwa jüngste historische Ereignisse wie den Brexit - in Literatur zu fassen?
Nein, der Brexit ist kein Drama. Denn es wird dauern, bis er umgesetzt sein wird. Großbritannien hat an einem Handelsabkommen mit Kanada gearbeitet. Man hat zehn Jahre lang dafür gebraucht. Und bis man mit dem Brexit zu einem Abschluss kommt, werden ganz leicht noch zehn bis fünfzehn Jahre vergehen. Aber wir waren alle überrascht, dass die Abstimmung so ausgefallen ist. Denn die Meinungsumfragen sagten, dass wir in der EU bleiben würden. Die Leute in meinem Land haben die falsche Entscheidung getroffen. Sie werden ärmer und noch engstirniger werden. Das ist altmodisch. Das lehne ich ab.

Wird der Nationalismus in Großbritannien stärker?
Nationalismus ist doch etwas Merkwürdiges. Mir ist Nationalismus unsympathisch. Aber in Schottland ist er ein großes Thema. Ich denke, die werden wieder ein Referendum machen.

Wird Schottland seine Unabhängigkeit von Großbritannien durchsetzen?
Das wäre schlecht für Schottland, aber derzeit treffen die Leute auf der ganzen Welt falsche Entscheidungen. Denken Sie an die USA, wo sie Trump gewählt haben. Und an die Türkei, wo die Menschen gegen ihre Freiheit gestimmt haben. Aber eines muss man bedenken: Die Schotten haben gegen den Brexit gestimmt. Viele sehen nicht ein, warum sie jetzt nicht als unabhängiges Land bei der EU bleiben können. Das ist logisch und ergibt Sinn, aber aus wirtschaftlicher Sicht wäre es eine Katastrophe für die Schotten, denn 80 Prozent ihres Handels werden mit England getätigt. Auch in Wales gibt es bereits Tendenzen, sich von Großbritannien zu trennen. Aber darüber muss man sich nicht sorgen, denn dort tun die Leute das Gleiche wie in Zeiten meiner Kindheit. Man wandert nach London aus, um Geld zu verdienen.

Linker im Rolls-Royce

Um sein eigenes Auskommen muss sich Follett indes nicht mehr sorgen. Seine Romane verkauften mehr als 160 Millionen Exemplare, wurden verfilmt und zu Computerspielen umgearbeitet. Seine Frau Barbara, eine ehemalige Labour-Abgeordnete, arbeitet mit 30 Angestellten an der Marke "Follett".

Manche Passagen Ihrer Romane sind ausgesprochen szenisch geschrieben. Denken Sie beim Schreiben auch an künftige Verfilmungen?
Niemals. Das wäre zu viel. Man hat genug damit zu tun, ein gutes Buch zu schreiben. Aber ich versuche, sehr visuell zu schreiben, ich möchte, dass beim Leser Bilder im Kopf entstehen. Und das ist besonders in einer Zeit wichtig, in der die Leute ständig Filme und Serien sehen.

»Der Nobelpreis steht nicht auf meiner Agenda. Millionen Leser sind mir lieber«

Wenn Sie die Wahl hätten, Kandidat für den Nobelpreis zu sein oder Millionen Bücher zu verkaufen, wofür würden Sie sich entscheiden?
Der Nobelpreis steht nicht auf meiner Agenda. Aber ich würde natürlich die Millionen Leser vorziehen.

Sie fahren Rolls-Royce und sind Großverdiener. Wie passt das zum bekennenden Linken? Oder wechselten Sie gar aus Frust über das Versagen der Sozialisten in Europa die Seiten?
Das habe ich nicht. Und die Linken werden wiederkommen. Für Großbritannien erhoffe ich mir einen Wechsel in der Labour Party. Es sollte jemand sein, der gemäßigt agiert. Ab diesem Zeitpunkt wird die Labour Party für einen Soft Brexit eintreten. Und das wird viel Schaden verhindern.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie einen derart gigantischen Roman abgeschlossen haben? Kommt dann so etwas wie die große Leere?
Jetzt bin ich erst einmal ziemlich zufrieden. Ich sage mir: "Well done, Ken - gut gemacht, Ken!"