Ist Angela Merkel
links oder rechts?

Schwer zu sagen, findet Soziologe Nassehi und fordert neue Denkansätze

Was ist „linkes Denken“ und was ist „rechtes Denken“? Sind diese Denkmodelle heute überhaupt noch anwendbar oder braucht es längst neue? Und wohin passen eigentlich Angela Merkel oder Sebastian Kurz? News hat mit dem deutschen Soziologen, Professor und Autor Armin Nassehi darüber gesprochen.

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Interview - Ist Angela Merkel
links oder rechts?

Der Titel Ihrer jüngsten Diskussionsveranstaltung in Wien lautete: „Braucht es neue Denkmodelle jenseits von links und rechts“.
Und, braucht es?

Armin Nassehi: Das ist natürlich ein sehr plakativer Titel gewesen. Es braucht natürlich insofern neue Denkmodelle, als wir sowohl von konservativen als auch von sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa sehen, dass sie sehr stark an ihrer eigenen Folklore hängen. Sie gehen von Bedingungen aus, die mit der klassischen Industriegesellschaft zu Ende gegangen sind. Sozialdemokraten etwa waren immer sehr stark angewiesen auf so etwas wie die Illusion eines autarken Staates, der die meisten Dinge selbst regeln konnte. Und das ist inzwischen etwas schwieriger, die Arbeitsformen ändern sich, die Entscheidungsräume ändern sich.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir laborieren immer noch an dem Normalmodell, dass es so etwas wie eine Kontinuität von Berufsbiografien gibt, dass wir langfristige Arbeitsplätze haben. Und wir versichern den Ausnahmefall, also wenn man in diskontinuierlichen Situationen ist. Das wird aber bald der Normalfall sein, denn die digitalen Arbeitswelten werden diese Form von Kontinuitäten nicht mehr erlauben. Aber das ist ja nicht nur ein Verlust. Das ist ja die Frage, ob man daraus etwas Neues gestalten kann. .

Man kann das für die Konservativen aber genauso formulieren. Die wollen etwas konsumieren, das es in dieser Form gar nicht mehr gibt; Regional begrenzte, landsmannschaftlich starke, integrierte Lebensformen. Das ist ja auch für konservative Milieus weitgehend aufgebrochen. Das heißt, man muss diese Grundprobleme von Konservativen und Sozialdemokratischen weitgehend überdenken.

»Ich hab aber jetzt kein Konzept, wo ich sage "Ihr müsst das und das machen und dann wird die Welt gut." Solche Konzepte gibt es nicht mehr. «

Ich hab aber jetzt kein Konzept, wo ich sage "Ihr müsst das und das machen und dann wird die Welt gut." Solche Konzepte gibt es nicht mehr. Aber zumindest den Hinweis, dass man womöglich nicht mit diesen alten Konzepten eine Gesellschaft weitermachen kann, die es so nicht mehr gibt.

In welche Richtung könnten neue Konzepte gehen?
Wenn man sich überlegt, wann sozialdemokratische Parteien erfolgreich waren, dann war das immer dort, wo sie Konzepte einer Harmonisierung, Vermittlung oder Integration von Arbeit und Leben anbieten konnten, um damit so etwas wie Kontinuität in eine diskontinuierliche Welt zu bringen.
Die Sozialdemokratie hat in den 70er-Jahren ganzen Milieus sozialen Aufstieg angeboten und das auch durchgezogen und war wahnsinnig erfolgreich damit. Heute müsste man überlegen, wie sozialer Aufstieg überhaupt möglich ist. Wie ist Kontinuität heute herzustellen? Kann man tatsächlich immer noch daran festhalten, dass Einkommen und Arbeit so aneinander gekoppelt sind, wie wir das kennen? Das wären geradezu klassische Fragestellungen für Sozialdemokraten.

Armin Nassehi
© Hans-Günther Kaufmann Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Autor mehrerer Bücher

Und die Konservativen?
Den Konservativen müsste man etwas Ähnliches anbieten. Die waren immer erfolgreich, wenn sie in der Lage waren, in so einer diskontinuierlichen Welt wenigstens kontinuierliche kulturelle Milieubildungen anzubieten. Das ist heute nicht mehr möglich, also muss man dafür etwas anderes anbieten.
In Deutschland erleben wir das derzeit bei der CDU und CSU, die genau darum ringen, was ein moderner Konservatismus eigentlich sein kann. Einerseits gibt es die urbanen Mittelschichten, die ganz andere Bedürfnisse haben als andererseits die Landbevölkerung, die aber auch nicht mehr hinter den Wäldern lebt, sondern an die modernen Medien angeschlossen ist. Das wären die Punkte, an denen man tatsächlich ansetzen muss.

»Selbst bei Kurz ist nicht das Ganze seiner Politik eine klassische konservative Politik.«

Kann man diese „links und rechts“ Denken aus den Köpfen der Menschen bekommen?
Manchmal habe ich das Gefühl, dass es aus den Köpfen längst raus ist, ich meine wir sind doch heute daran interessiert, wirklich nach Lösungen zu suchen. Nehmen wir das deutsche Beispiel: Ist Angela Merkel links oder rechts? Ist die konservativ oder ist die Sozialdemokratin? Das weiß eigentlich kein Mensch. Ich fürchte, sie weiß es selber auch nicht so genau. Aber es geht ja auch um Lösungsorientierungen.
Selbst bei Kurz ist, obwohl er natürlich den rechten Rand kulturell ein bisschen ausgreift und manche Dinge versucht, nicht das Ganze seiner Politik eine klassische konservative Politik. Das ist ja durchaus eine staatsinterventionistische Politik, die sich von einer klassischen sozialdemokratischen gar nicht so stark unterscheidet. Oder auch die Grünen, wo würden Sie die einordnen? Das ist wirklich schwer zu sagen. Vielleicht sind heute die Grünen die Konservativsten, weil sie am stärksten bewahren wollen, nämlich eine bestimmte urbane Lebensform, die ziemlich unter Druck gerät.

Gibt es auch Kategorien, wo diese Kategorien noch funktionieren?
Ja, an den Rändern: Dass die AfD rechts ist und dass die FPÖ rechts ist, daran kann man schlecht vorbeischauen.

»Gegen linke Ziele kann kein Mensch, der irgendwie bei Trost ist, etwas sagen. Rechte Ziele sind immer so ein bisschen schmuddelig.«

Sie sagten in einem Interview, dass „wirklich linke Perspektiven bisweilen autoritär wirken, weil sie ja zu wissen meinen, was der richtige Gedanke ist, den es durchzusetzen gilt.“ Gilt dies für die andere – die rechte – Seite nicht?
Das Rechte und Linke unterscheidet sich in einer interessanten Form: Beim Linken gibt es das, was ich eine Art „Sympathieparadox“ nenne. Gegen linke Ziele kann kein Mensch, der irgendwie bei Trost ist, etwas sagen. Soziale Gerechtigkeit, das richtige zu tun und so weiter. Das ist alles sehr positiv besetzt.
Auf der rechten Seite gibt es ein „Antipathieparadox“, also rechte Ziele sind eigentlich immer so ein bisschen schmuddelig. Man sagt, wer nicht dazugehört und so weiter. Aber manchmal gibt es auch durchaus gute Gründe, Grenzen zu ziehen. Das Rechte kann aber niemals den Kredit haben und muss sich deshalb anders durchsetzen.

»Das ist ein Automatismus, dass das Reden linker ist als das Tun.«

Wenn rechte Ziele immer „so ein bisschen schmuddelig sind“, ist es deshalb so, wie sie sagten, dass wir „links reden und rechts leben“?
Ja genau. Linkes Reden ist natürlich wahnsinnig einfach hinzukriegen. Alle urbanen, gut gebildeten Leute sagen „Wir machen zwischen uns und den anderen nicht den geringsten Unterschied“ aber wenn sie ihre Kinder in den Schulen anmelden, achten sie darauf, dass der Migrationsanteil dort nicht so hoch ist. Ich will das überhaupt nicht anklagen, ich glaube, das ist ein Automatismus, dass das Reden linker ist als das Tun. Das Rechte ist ja auch so erfolgreich, weil es uns manchmal pragmatisch den Spiegel vorhalten kann und sagen: „Schaut mal, ihr redet zwar so universalistisch aber ihr seid es eigentlich nicht.“ Weil man es gar nicht sein kann. Das ist die neue schwierige Situation. Und deshalb lohnt es sich, sich damit auseinanderzusetzen.