"Das Ewiggestrige
bekam ein modernes Gewand"

Nach einem Jahr Pause lädt Gery Keszler am 10. Juni wieder zum Life Ball. Mit der "Life Bible" beschwört er die dekadenten 20er-Jahre, die direkt in die Katastrophe führten. Ein Gespräch über eine wieder aktuelle Bedrohung

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Life Ball - "Das Ewiggestrige
bekam ein modernes Gewand"
© Bild: Sebastian Reich für News

Stimmt es, dass es einen magischen Moment gab, der Sie zum Ballmotto "Recognize the Danger" inspirierte?
Der passierte 2011, bei den Vorbereitungen zum damaligen Life Ball. Das Wetter war grauenvoll, vor dem Gelände wurde gegen die Stadtregierung demonstriert. Es war kalt und hat genieselt. Eine düstere Stimmung, am Ring marschierten die Demonstranten. Ich stand auf der noch unfertigen Hauptbühne, unter mir probten 200 Debütanten auf dem Platz mit Thomas Schäfer-Elmayer. Sie trugen riesige, knallpinke Flamingo-Kostüme, waren von unserem Lichttechniker in eine Farbblase getaucht. Ein Bild, das ich nicht vergessen werde. Farbe gegen Grau in Grau, für mich eine enorme Symbolkraft. Die heurige "Life Bible" und das Motto, da geht's ganz klar um die Gesellschaft der 20er- und 30er-Jahre. Eine Zeit, die in der Musik, Kunst und Literaturszene enorm innovativ war. Auch in der Emanzipation der Frau. Und gleichzeitig war sie ein Tanz auf dem Vulkan. Wir alle wissen, was dann passierte. Deswegen fragen wir auch in der "Life Bible": "Tanzt du noch oder marschierst du schon?" Man darf sich nicht zurücklehnen. Nie. Auch damals konnte man das drohende Unheil spüren, auch damals versteckte es sich hinter schönen Masken und leeren Versprechungen.

Die Bilder der "Life Bible" spielen mit dem Gegensatz von Diversität und Lebensfreude und dem Nazi-Regime. Das Medienecho ist enorm. Mussten Sie sich dazu überwinden?
Es ist eine Reaktion auf die derzeitigen Tendenzen in der Gesellschaft. Darauf, in welche Richtung Politik abdriftet und wie die Gesellschaft manipuliert wird. Es war aber auch ein Blick nach innen, denn wir haben uns dazu entschlossen, dass es wieder Veränderung braucht. Anfangs war der Ball sehr provokativ, dann ist er mainstreamig geworden. Was natürlich auch Vorteile hatte, denn Mainstream bedeutet mehr Akzeptanz. Auch die Wirtschaft hat uns als Marketinginstrument erkannt und das bedeutet ganz simpel: mehr Geld für die Betroffenen. Aber irgendwann wird der Mainstream eben zu beliebig.

»In unsichern Zeiten entsteht das Phänomen, dass man sich einen Retter wünscht«

"Entartete" Kunst von Otto Dix, Leni-Riefenstahl-Optik, Schergen in Uniformen. Wollen Sie sagen: "Wehret den Anfängen"?
Natürlich wiederholt sich Geschichte nie exakt so, wie sie war. Aber schon meine Großmutter hat gesagt: Wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie wieder zu erleben. In unsicheren Zeiten wie diesen entsteht oft das Phänomen, dass man sich einen Retter wünscht, einen starken Mann, einen Lohengrin oder whatever. Absurd - gerade in Zeiten, in denen man wachsamer und kritischer sein müsste, um gemeinsam die Demokratie zu stärken, gibt man die Verantwortung ab. Das hat man in den unterschiedlichsten Wahlkämpfen gesehen, wie stark die Gesellschaft durch Populismus und von Demagogen zerfressen wird. Allerdings muss ich sagen, unsere Idee ist ja bereits vor eineinhalb Jahren entstanden ...

Glauben Sie, dass schwierige Zeiten Bestien wachsen lassen?
So hart würde ich das nicht formulieren. Manche Wahlkämpfe waren wie eine reine Show. Dieser schlechte Stil ist zum Standard geworden. Deswegen möchte die "Life Bible" Signale setzen, erinnern und mahnen. Da braucht man gar keine europäischen Politiker benennen, die wieder die Todesstrafe einführen möchten, oder andere, die im Süden des Landes eine Mauer bauen möchten. Das ist keine parteipolitische Attacke. Was wir wollen, ist, die Leute zu stimulieren, sich selbst Gedanken über gewisse Vorgänge zu machen. Dem Image des "Ewiggestrigen" wurde ein modernes Gewand mit einem zeitgemäßen Lifestyle überzogen. So wie damals sehen viele weg, manche aus Angst, manche aus Bequemlichkeit, manche aus kurzsichtigem Egoismus. Jetzt ist es an uns, zu agieren. Öffnen wir die Augen und blicken wir der Gefahr ins Gesicht. Nur so können wir rechtzeitig handeln, für unsere Gesellschaft, für unsere Gesundheit, für unsere Zukunft.

Haben wir im Elfenbeinturm gelebt und uns in Sicherheit gewähnt, was die Selbstverständlichkeit von Menschenrecht und Diversität betrifft?
Nun, erst mal sollte sich niemand als fehlerfrei erachten. Man darf auch nicht zu kritisch sein mit den Menschen der Zwischenkriegszeit. Jeder muss sich selbst fragen: Hätte mich dieses Versprechen von Sicherheit, Wohlstand und Struktur nicht selbst fasziniert? Aber auch heute wird im Tausch gegen dieses Versprechen der Hass gegen einzelne Gruppen geschürt, sie werden als Bedrohung dargestellt. Und schon wird der Ruf nach flächendeckender Überwachung laut. Gruselig. Die ideologische Spannweite in der Gesellschaft hat sich verschoben. Eigentliche Selbstverständlichkeiten wie Nächstenliebe und Toleranz werden verlacht. Heute werden wir mit den verschiedensten Infos bombardiert, alles ist gläsern. Tausende Menschen ertrinken im Mittelmeer und am nächsten Tag buchen wir unseren Urlaub dort. Woher kommt diese unglaubliche Rohheit?

Aus Angst vor dem Verlust des eigenen Wohlstands?
Menschen in schlechteren Zeiten rücken nicht zusammen. Erst wenn's richtig gekracht hat. Lotte Tobisch hat mir erzählt, wie groß die Solidarität nach dem Krieg war. In bitterster Armut half man zusammen. Erst als der Wohlstand wieder langsam Einzug hielt, kam auch der Egoismus, das Abgrenzen.

© Sebastian Reich für News Gery Kezsler mit Thomas-Morgenstern-Figur aus der "Life Bible"

Sie haben das Wort Rechtsruck bis jetzt noch nicht verwendet.
"Recognize the Danger", so lautet das Motto. Erkenne die Gefahr früh genug! Attacken werden Sie von mir keine hören. Natürlich sind die Sujets überzeichnet. Das Thema soll ja nicht einer kleinen Elite vorbehalten sein, sondern die Masse erreichen. Ob man's dann akzeptiert und annimmt, ist natürlich etwas anderes.

Also eher Brücken bauen als Brücken sprengen?
Conchita Wurst hat es schön formuliert: Es geht nicht darum, jemanden als gut oder böse darzustellen, sondern ums Zuhören. Und genau das wird verhindert, wenn ein Gespräch populistisch wird, wenn gelogen wird, um Beliebtheit zu erreichen. Jeder Einzelne muss wachsam sein und aufpassen, dass die Grenzen der Demokratie nicht überschritten werden, dass Alltagsaggressionen und Diskriminierung nicht wieder zu einem Kavaliersdelikt werden. Öffnen wir die Augen und blicken wir der Gefahr ins Gesicht - nur so können wir rechtzeitig handeln.

Sie haben sich unter anderem Hilfe von Historiker Oliver Rathkolb geholt.
Rathkolb hat mir Mut gemacht, mich beraten. Ebenso Wien-Museum-Direktor Matti Bunzl. Es wurde auch diskutiert, ob man das Thema HIV/Aids im gesellschaftspolitischen Konnex so stark positionieren möchte. Denn "Recognize the Danger" ist ja auch eine Metapher im medizinischen Sinn - dass man die Früherkennung annimmt. Dass Menschen ihren Immunstatus kennen, ist die Voraussetzung dafür, dass sie sich selbst schützen, aber auch die Mitmenschen. Früherkennung ist auch im historischen Sinn eine wunderschöne Metapher. Nur wenige haben damals früh erkannt, in welche Richtung die Reise gehen könnte - weil alles so wundervoll dargestellt wurde wie ein blankgeputzter Stiefel. Wir müssen wieder besser auf uns aufpassen. Wir sind ja alles, was wir im Leben haben.

Auch der Life Ball selbst wurde neu durchdacht. Warum?
Vieles ist für zu selbstverständlich genommen worden. Es hat sich auch Dekadenz eingeschlichen. Ich sprech da nicht den "kleinen" Stammgast an, sondern eine neue Gästeschar, der der Inhalt herzlich wenig bedeutet hat. Obwohl das Event immer besser wurde, und für die Hilfsprojekte war's von den Einnahmen her perfekt. Aber wenn Clinton über Mutter-Kind-Übertragungen in Südafrika spricht, wenn Elton John über Diskriminierung in Russland redet oder die Amfar über Generika bei Säuglingen in Asien, dann wird der Konsument, ob beim Ball oder vor dem Fernseher, irgendwann mal aussteigen. Und sagen: Das war wieder die tollste Party, aber was ist die Message? Dabei kennen die meisten Menschen noch immer nicht den Unterschied zwischen HIV und Aids! Es ist nach so vielen Jahren erschreckend, wie wenig in den Köpfen der Leute verankert ist. Deswegen kampagnisieren wir: "Know your Status! Kenne deinen Immunstatus!" als ganzjähriges Projekt. Dort will ich hin. Aidsprävention - das ist der Sinn des Life Balls. Ich finde es eigenartig, wenn Medien schreiben, "Keszler besinnt sich jetzt des eigentlichen Themas des Life Balls". Der Kampf gegen HIV und Aids stand für mich immer im Vordergrund.

»Der Life Ball will nicht verstören. Wir wollen keine Gefühle verletzen«

Wie war die Stimmung am Set zur "Life Bible"?
Teilweise bedrückend, teilweise grotesk. Da wir an berühmten Wiener Locations fotografiert haben und sich niemand über die Uniformen oder die strammen, blonden Turnerinnen gewundert hat. Die Bücherverbrennung etwa haben wir auf meinem Grund im Burgenland inszeniert. Männer in Uniformen, die Bücher verbrennen, in meinem Rückzugsort - das hat sehr aufs Gemüt geschlagen.

Welche Reaktionen kamen von amerikanischen VIP-Models wie Kelly Osbourne?
Es gab hochemotionale Situationen, für mich, für manche Models der "Life Bible". Das resultiert aus dem Thema an sich und der ganz persönlichen Lebensgeschichte, dem Glauben, der Lebensweise der Mitwirkenden. Das gilt natürlich auch für den Betrachter. Ich habe versucht, aus dem Skandal um das David-LaChapelle-Plakat zu lernen. Der Life Ball will nicht verstören, er will kommunizieren, auch heikle Themen. Es ist eine Kunst, den richtigen Weg zu finden, es ist schwer, die Message verständlich zu machen, damit sie nicht in allgemeiner Aufregung untergeht. Wir wollen keine Gefühle verletzen. Eine Gratwanderung, jedes Mal. Ein Beispiel dafür ist das "Life Bible"-Bild mit Josephine Baker. Auch hier diese enorme Gratwanderung. Sie wurde als Superstar verehrt und musste trotzdem immer den Hintereingang nehmen. Sie trug ein sexy Bananenröckchen, zutiefst selbstironisch, aber auch eine Manifestation des Wissens, wie das Publikum sie sah. Ehrlich, stark, aber im Subtext auch sehr traurig.

Auf einem Bild sind Sie selbst als Bettler zu sehen.
Nun, das bin ich ja auch irgendwie, oder? Ich bitte mit meinem Team um Spenden, jedes Jahr.

»Nur Selbsterkenntnis und Solidarität können unsere Welt bewahren«

Hat nie jemand gesagt: Mach das nicht, bist du irre?
Was soll ich sagen? Es war einfach notwendig. Nur Selbsterkenntnis und Solidarität können unsere Welt, unsere Werte noch davor bewahren, ausgelöscht zu werden.

© Sebastian Reich für News Keszler mit dem Foto, das Magnus Hirschfeld, den Mitbegründer der ersten Homosexuellenbewegung, zitiert

Sie haben in der Life-Ball-Pause bei "Dancing Stars" mitgemacht und sind dadurch vielen nahbarer geworden.
Never judge a book by its cover. Es gibt Gery Keszler, die öffentliche Figur. Und diese hat gewisse Aufgaben zu erfüllen, um den Life Ball mit Kontakten, mit prominentem Zuspruch, mit einem gewissen Netzwerk zu stärken und so Gelder für Betroffene zu lukrieren. Das ist meine Aufgabe, mein Lebenssinn. Und es gibt den privaten Gery, der sehr zurückgezogen und einfach lebt. In meiner Hütte im Burgenland reduziere ich alles auf das Notwendigste. Es hat etwas Asketisches. Glaube ist mir wichtig. Das sind meine Wurzeln.

Was gibt Ihnen der Glaube?
Er hilft mir vor allem dabei, dem Leben positiv gegenüber zu stehen, etwas beizutragen für die Menschen und mich an gewissen Werten zu orientieren. Für mich existiert Gott in vielem. Letztendlich wird Religion aber von Menschen interpretiert, und das wird immer das Problem sein.

Kopftuch, ja oder nein? Kreuze in Schulzimmern?
Es hat schon vor 200 Jahren nach dem Absolutismus gutgetan Kirche und Staat zu trennen. Religion soll leben und weitergegeben werden, aber nicht auf einer Basis, wo Menschen ständig zwangskonfrontiert werden, mit Dingen, mit denen sie nichts zu tun haben.

Können Sie sich eine politische Karriere vorstellen?
Never ever. Nein danke. Ich bin viel zu ehrlich.


Gery Keszler

Der 53-jährige gelernte Feinmechaniker aus Mödling, ehemaliger Star-Visagist, begründete 1992 mit dem Arzt Torgom Petrosian den Verein "Aids Life" und 1993 den Life Ball. Seit 25 Jahren widmet sich Keszler dem Thema HIV/Aids-Prävention, mit großem finanziellem Erfolg durch Fundraising und Sponsoren. Der Reinerlös des 23. Balles für HIV-und Aids-Hilfsprojekte lag bei 2,3 Millionen Euro. 2015 gab er bekannt, sich als Jugendlicher selbst mit HIV infiziert zuhaben. 2016 war er Teilnehmer der ORF-Show "Dancing Stars".

Kommentare

Tavington melden

"gefahr frühzeitig erkennen?! das ist mein motto!" und das sagt ein hiv+, der sich durch ungeschützte analverkehr infiziert hat?! hahahaha!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Nudlsupp melden

Hoffentlich nicht von Ihnen, da Sie auf Grund Ihrer Detailkenntnis ja dabei gewesen sein dürften als es passierte. Im übrigen wäre es interessant zu wissen, was für Sie lustig ist, wenn jemand HIV+ ist. Dieser Form des Humors war mir bis dato noch nicht bekannt.

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