Zu alt für die Liebe?

Kennen Sie den Unterschied? Früher, ja früher hätten Sie auch nach einem mehrgängigen Essen Sex gehabt. Und während einer dichten Arbeitswoche. Und nach einem langen stressigen Tag. Und jetzt? Zu müde, keine Lust

von LIEBES LEBEN - Zu alt für die Liebe? © Bild: Nathan Murrell

Franziska und Frank, beide über 60, entscheiden sich für eine Sexualtherapie. Das Problem sei, dass sie keine Lust mehr habe. Franks erster Gedanke waren Hormonstörungen, was sich nach einer gründlichen - auch Labordiagnostik - fachärztlichen Untersuchung als falscher Verdacht erwies. Nächster Verdacht: Könnte Franziska zu alt sein für Sex? "Früher konnte ich mich auspowern, viel arbeiten, ohne Frage hatten wir regelmäßig Sex. Bin ich jetzt wirklich zu alt geworden?" Franziska zeigt starke Selbstzweifel. Was ist mit dem früheren Liebesfeuer? Kann man sich durch Hormonbehandlungen die fehlende "Libido" - die sexuelle Energie - zurückholen?

Professor Dr. Franz Fischl, Facharzt für Gynäkologie, weiß um das große Thema des Rückgangs der Lust: "Die Libido wie auch die Orgasmusfähigkeit sind von hormonellen, aber auch von vielen anderen soziokulturellen, zwischenmenschlichen und familiären Faktoren abhängig. Das macht es schwierig, nur durch eine Hormonsubstitution die Libido sozusagen zu reaktivieren." Gynäkologe Fischl betont, dass jede Frau anders auf Veränderungen des Hormonhaushalts reagiert, so auch in der Menopause: "Das verläuft sehr individuell und hängt auch von biopsychosozialen Faktoren ab. Angefangen vom "Empty Nest Syndrom" bis hin zum "Jugendwahn" und zu beruflichem Druck auf die sogenannten Middleage-Frauen sind Frauen heutzutage in diesem Lebensabschnitt mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Daher sollen und müssen in diesem Lebensabschnitt neben den medizinischen Aspekten, auch somatische, physiologische, psychologische und soziokulturelle Einflussfaktoren berücksichtigt werden."

Stichwort philosophisches "Leib-Seele-Problem": Fällt es Frauen schwerer, ihren Körper als Teil von sich zu akzeptieren? Identifizieren sich Frauen wie Franziska mit 60 plus immer weniger mit ihrem Körper? Experte Franz Fischl: "Das philosophische Leib-Seele Problem ist zum guten Teil soziokulturell bedingt. Darüber hinaus haben die Religionen, in der christlich-abendländischen Tradition speziell der Katholizismus, maßgeblich Einfluss auf das Selbstbild der Frau. In der Medizin merkt man die unterschiedliche Akzeptanz im Umgang mit dem eigenen Körper zum Beispiel an der Wahl der Verhütungsmethoden, die von Frauen angewendet werden können, wie etwa Scheidenpessare oder Vaginalringe, die in den anglikanischen Ländern im Vergleich zu den katholischen Ländern wesentlich häufiger eingesetzt werden." Als "Perfektionistin" tue sie sich mit "dem Verfall" schwer, gesteht Franziska. Wenngleich sie Frank liebt, hat sich Franziskas Selbstbild schleichend, aber drastisch verändert. Schließlich kommen in der Sexualtherapie Franziskas verdrängte Gefühle, vor allem Scham, Angst und Selbsthass hervor. Erst durch das Bewusstsein ihres inneren Konflikts, sich nicht mehr "gut genug" zu fühlen und ihrer Jugend nachzutrauern, kann sich etwas verändern. Am allerschlimmsten sei die Scham, sagt Franziska, die sie davon abhalte, sich "in diesem alternden Körper wiederzufinden" geschweige denn sich "wohl und sexy" zu fühlen.

Kein ehelicher Konflikt hält Franziska vor Sex mit Frank zurück. Sondern ein geheimer innerer Konflikt, der auf verborgenen Glaubenssätzen beruht, wie, zu alt für die Liebe zu sein, sich beim Sex nur lächerlich zu machen, nicht mehr erotisch zu sein und dergleichen mehr. Erst wenn sich Franziska so, wie sie ist, bejaht und akzeptieren kann, wird der Funke der Liebe aufglimmen. Zuallererst der Selbstliebe, die dann das Liebesfeuer in der Partnerschaft wieder schüren kann.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
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