Es wird schon irgendwie gehen

Es muss gehen. Ein „Zähnezusammenbeißen“, wie es der amtierende Bundespräsident empfiehlt, wird dabei die leichteste Übung sein.

von Leitartikel - Es wird schon irgendwie gehen © Bild: News/ Matt Observe

Die Kulisse: die Skyline von New York.Der Tonfall: staatsmännisch und gewohnt unaufgeregt. Die Wortwahl: vielleicht eine Spur zu schnippisch. Weniger wohlwollende Beobachter könnten auch abgehoben dazu sagen. „Von diesen sieben Kandidaten – wenn ich richtig gezählt habe –, mich inklusive, gibt es einen, der der Öffentlichkeit nun wirklich bekannt ist. Und das ist nun mal der amtierende Bundespräsident“, sprach ebenjener Alexander Van der Bellen diese Woche in der „ZiB 2“. Und in ebendiesem Setting am Rande der UNO-Vollversammlung in New York und nicht wie alle anderen Mitbewerber im TV-Nachrichtenstudio.

Das mag dem Selbstverständnis des Amtsinhabers entsprechen. Zumal viele seiner ausgesprochenen und unausgesprochenen Argumente nachvollziehbar sind, sich eben nicht in eine Konfrontation mit den Mitbewerbern zu setzen, bei denen man sich zunehmend fragt, für welches Amt der ein oder andere eigentlich genau kandidiert. Es braucht sich aber auch niemand zu wundern, dass eine (mediale) Sonderbehandlung des Kandidaten der etablierten Parteien nicht nur die Mitbewerber in der Folge ausschlachten. Auch der ein oder andere Wähler dürfte sich verwundert die Augen reiben.

»Die Debatte über den Wohlstandsverlust nimmt gerade erst Fahrt auf«

Nicht zum ersten Mal in diesem Wahlkampf und mit Blick auf ebendiesen Amtsinhaber. Hatte dieser doch zuletzt auf die Frage, was er jungen Leuten in Hinblick auf Inflation und Teuerung rät, geantwortet: „Zähne zusammenbeißen. Es wird schon irgendwie gehen.“ Gut gemeint. Hart. Weltfremd. Deplatziert. Mangelndes Realitätsbewusstsein – so die Reaktion. Ich finde, er hat recht. Und in guter Gesellschaft befindet er sich auch. „Wir sind nicht nur die, die Wirtschaftswunder können. Sondern wir sind auch die, die einmal die Zähne zusammenbeißen können“, ließ Joachim Gauck, Bundespräsident a. D. in Deutschland, schon im März 2022 wissen – und löste ebenso prompt eine Debatte aus. Über das „Wir“. Über die Abgehobenheit. Über die Art und Weise, wie über die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs gesprochen wird. Auch Gauck hat recht. Und wir ein Problem, wenn wir eine unklimatisierte U-Bahn in Zeiten mit einem Krieg vor der Haustür als Zumutung und eine Heizempfehlung der Energieministerin als Einmischung in private Angelegenheiten empfinden.

Die Zeiten sind rau. Sie werden rauer. Man muss sich nicht dem Alarmismus in der deutschen Wirtschaft hingeben, wo mit Blick auf Herbst und Winter von „allerhöchster Not“ und „alarmierenden Vorzeichen“ die Rede ist. Aber sagen, was ist, statt fortwährender Wohlfühlkommunikation, wäre ein Anfang. Schließlich findet die Debatte des Verzichts in einem Sozialstaat statt. Anzeichen, dass dabei die Ärmsten aus dem Blick geraten, gibt es derzeit nicht. Und ja, wer es schon als Verzicht sieht, morgens kalt zu duschen, hat es im Leben gut erwischt.

Es braucht eine Politik, die auch die Begleitmusik benennt. Jetzt und in Zukunft. Das Thema Wohlstandsverlust wird uns in Hinblick auf den Klimawandel oder den demografischen Wandel weiter begleiten. In Wahrheit nimmt die Debatte gerade erst an Fahrt auf und wird den Staat mit seinen sozialpolitischen Aufgaben massiv fordern. Aber eben auch uns. Ein „Zähnezusammenbeißen“ wird dabei die leichteste Übung sein.