Weltklasse. Schon wieder

Der Physiknobelpreis ist vor allem eine Leistung von Ferenc Krausz. Politische Schlussfolgerungen sind erlaubt. Die Ehrlichkeit darf dabei nicht zu kurz kommen.

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Kleines Land, großer Auftritt. Das muss man erst mal hinbekommen, in einer Woche gleich fünf innenpolitische Skandale loszutreten: Prominente FPÖ-Mitglieder besuchen die Taliban in Afghanistan, ein SPÖ-Strategiepapier landet beim falschen Adressaten, im roten Wien wechseln Kleingärten unter bemerkenswerten Umständen den Besitzer, der Bundeskanzler gibt Ernährungstipps für armutsgefährdete Familien, und als krönender Abschluss einer Woche mit einer irrlichternden Politik wird nochmals "versehentlich" ein Mail mit der Idee eines Untersuchungsausschusses, den die ÖVP gerne u. a. gegen den aktuellen Koalitionspartner einsetzen würde, in die Runde geschickt. Der Tiefpunkt des Tiefpunkts scheint erreicht. Jetzt, da das in der Koalition lange Zeit beliebte Spiel "Ich gebe dir was, du gibst mir was" auf der Zielgeraden vom "Auge um Auge"-Prinzip abgelöst wird. Statt eines gewünschten festen "Glaube an dieses Österreich" macht sich eine tiefgreifende Abwesenheit von politischer Teilhabe breit.

»Die Schlussfolgerungen aus Nobelpreis Nummer zwei haben Luft nach oben«

Die kurzzeitige Erlösung erfolgte am Dienstag um 11.51 Uhr mit einer Eilmeldung: Physik-Nobelpreis für den österreichischen Physiker Ferenc Krausz, aus dem später der Korrektheit wegen ein österreichisch-ungarischer Nobelpreisträger wurde, der aktuell in Deutschland arbeitet. Erwartbar folgten die Glückwünsche inklusive Eigenlob seitens der Politik. Darin hat man hierzulande ja eine gewisse Übung, die Leistung Einzelner als rotweiß-rote Trophäe hochzuhalten - und es dabei mit der Herkunft nicht ganz so genau zu nehmen. Jedenfalls in jenen Fällen, wo es passt. Wo man eben zu Recht stolz sein kann, auch wenn am Ende drei Länder den Preis für sich beanspruchen. Vor allem ist es eine persönliche Leistung des Forschers und nicht irgendeines Landes allein. Krausz selbst findet das wunderbar, schließlich habe er von allen drei Ländern viel bekommen. In Ungarn die Ausbildung und in Österreich Zeit und Geld für die Grundlagenforschung, welche er dann ab 2003 in Deutschland "zur Blüte gebracht" hat. Apropos Deutschland: Als das Angebot auf dem Tisch lag, war klar, dass er geht, sagt Krausz im Interview mit der "ZIB 2". Weil es hier ein Umfeld für seine Arbeit gibt, das "weltweit einzigartig" ist. Er meint die Ludwig-Maximilians-Universität und die TU München. Beide Universitäten belegen Spitzenplätze im aktuellen Shanghai-Hochschulranking, das besonderen Stellenwert auf Forschungsleistungen legt. Ein Ranking, das hierzulande aufgrund des eigenen mageren Abschneidens eher wenig Beachtung findet. Heuer landete mit der Uni Wien nur mehr eine österreichische Uni unter den top 200.

Die Schlussfolgerungen aus Nobelpreis Nummer zwei haben folglich Luft nach oben. Zweifel, das die richtigen Schlüsse gezogen werden, sind angebracht. Das zeigt der Blick auf das "Jahrhundertprojekt" Digital-Uni Linz. Zur Erinnerung: Die neu zu gründende TU in Linz wurde 2020 von damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz überraschend ins Leben gerufen und soll das "Digitalisierungsaushängeschild Österreichs" mit bis zu 5.000 Studierenden und 150 Professorinnen und Professoren werden. Eine "Universität völlig neuen Typs", in der die "kreativsten und besten Köpfe studieren, lehren und forschen", so der Begleittext aus dem Kanzleramt. Ein Prestigeprojekt also. Nicht mehr, nicht weniger. Starttermin: Wintersemester 2023.

Im Jänner gab es Aufregung bei den Hearings für die Wahl des Gründungspräsidenten, im März schwere Turbulenzen nach der Präsidiumswahl. Juni 2023 hieß es: Räume vorhanden, Lehrpläne unklar. Klar ist mittlerweile, dass bis 2027 ein Stock von 30 Professuren für bis zu 400 Studierende aufgebaut werden soll. Medialer Letztstand im Juli: "Linzer TU sucht wieder neuen Namen". Jedenfalls soll das Wort "University" vorkommen. Das ist schon mal ein Plan für den Forschungsstandort Österreich.

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