Wehrt euch gegen
eine falsche Ehre!

Fast ein Drittel der Österreicher hat Sympathien für Antisemitismus. Es ist Zeit, sich dagegen aufzulehnen

von Leitartikel - Wehrt euch gegen
eine falsche Ehre! © Bild: Matt Observe

Noch ist die Regierung keine 100 Tage im Amt. Man soll sie arbeiten lassen und an ihren Taten messen. Da hat Bundeskanzler Sebastian Kurz recht. Vor allem die Freiheitliche Partei schaut gerne dem Volk aufs Maul. Das Resultat waren Themensetzungen wie Kippen des Rauchverbotes, Doppelpass für Südtiroler, Tempo 140 auf Autobahnen, die medienwirksam verkauft wurden, aber die großen Aufgaben der Regierung nicht einmal streifen.

Ein wirklich wichtiges Thema hat den blauen Regierungspartner früher als gedacht unter Zugzwang gebracht. Die Naziliederbuchaffäre mit grauenhaftem Inhalt ("Gebt Gas, Ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million") hat zutage gebracht, wie schwer sich manche mit der Aufarbeitung der Geschichte tun. Und immer noch - oder ganz plötzlich wieder - werden Zweifel an einem Grundkonsens der Gesellschaft gegen Antisemitismus und Nazivergangenheit geschürt. Achtung! Die Anti-Defamation League hat eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass in Österreich 28 Prozent der Bevölkerung antisemitische Überzeugungen hegen. Das ist viel, dennoch: Antisemiten sind eine Minderheit im Land, dagegen sollte die Mehrheit aufstehen und sich empören!

Da ist Politik gefordert. Deutlich gesagt werden muss, dass Österreich kein Opfer des Nationalsozialismus und auch nicht des so genannten Anschlusses 1938 war. Es mag unterschiedlichste Auffassungen der Parteien in Sachen Liberalismus und Staatsschulden geben, und es ist gut so, aber es braucht Einigkeit gegen Antisemitismus, Rassismus und Verherrlichung der Nazivergangenheit. Deshalb ist auch der sofortige Ausschluss zweier niederösterreichischer SPÖ-Mitglieder mit antisemitischen Tendenzen richtig. Da muss die FPÖ erst Kante zeigen.

»Behandle andere so, wie du selbst gerne behandelt werden würdest«

Unverständlich bleibt manches: Warum darf es Naziliederbücher überhaupt noch geben? Warum fallen diese nicht unter das Wiederbetätigungsgesetz? Warum müssen solche Ergüsse erst gesungen werden, damit es rechtlich relevant wird? Das nennt man Aufarbeitung der Vergangenheit. Eine Historikerkommission einzusetzen, ist im Jahr 2018 gut gemeint und schlecht getroffen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Denn wir und die besagten Burschen wissen genau, dass die Nazis sechs Millionen Menschen umgebracht haben. Apropos Ehre: Burschenschafter sagen gerne, die "Ehre" sei ihr "Gewissen". Was soll das für eine Ehre sein, Menschen den Tod zu wünschen?

Vielleicht sollte man den Burschen mal ein Büchlein von Immanuel Kant in die Hand drücken oder besser eine einfache Interpretation seines Kategorischen Imperativs: "Behandle andere so, wie du selbst gerne behandelt werden würdest." Das nennt man Würde des Menschen und Respekt gegenüber allen -jenseits von Religion und Heldentum. Dafür ist nicht einmal viel Zivilcourage vonnöten.

Jeder Mensch ist frei geboren und muss sich an die Gesetze des Landes halten, egal, woher er kommt. Das heißt für die Hinzugekommenen, unsere Freiheit und unser Recht zu leben; genauso gilt das für jene, die hier geboren wurden. So schwer kann das doch nicht zu verstehen sein.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: mitterstieler.esther@news.at