Und jetzt
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Die Grünen haben Ja gesagt -und Europa erstarrt dem Vernehmen nach in Ehrfurcht. Nachahmer stehen bereit und nehmen den Mund jetzt schon voll

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Das Beste aus beiden Welten" wurde am Neujahrstag kurz vor 22 Uhr offiziell. Verpackt in einer leicht verständlichen Dosis. Sorgsam und einprägsam in der Wortwahl. Unmissverständlich, ja fast schon simpel: "Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen." Vollmundig: "Österreich soll zum europäischen Vorreiter werden in Sachen Klimaschutz." Und immer das ganz Große vor Augen: Wasserstoffnation Nummer eins. Weltweit natürlich, was sonst? Es folgt, was folgen muss. Was genauso auch erwartet wurde und genüsslich zur Kenntnis genommen wird: Lobeshymnen und sehnsüchtige Blicke (Letztere angeblich vom deutschen Gartenzaun), pathetische Anbetungen, ein bisschen Neid und jedenfalls so viele Vorschusslorbeeren, dass einem angst und bange wird. Denn passiert ist nämlich noch nichts. Okay, fast nichts. Es ist ein Aufbruch in eine neue politische Ära. Es ist eine wunderbare Zeit von Premieren -die erste Ministerin, die als Geflüchtete nach Österreich kam. Zudem wird Österreich erstmals von einer mehrheitlich weiblichen Regierung regiert. Dass erstmals Konservative und Grüne gemeinsam auf der Regierungsbank sitzen, ist vor allem eine Vernunftslösung. Und ja, auch das Ergebnis einer simplen Rechnung. Ein ambitioniertes Projekt, das auch dem grünen Zeitgeist entspricht -und das dennoch eher unfreiwillig in Angriff genommen wurde. Denn ohne Ibiza- Affäre säße nach wie vor Heinz-Christian Strache an der Seite von Sebastian Kurz - und eben nicht der hemdsärmelige (und krawattenlose) Werner Kogler. Ob es gelingt, grüne Klimaambitionen mit einem konservativen Ansatz zur Wirtschaftspolitik unter einen Hut zu bringen, wird man sehen -im besten Fall die nächsten fünf Jahre. Rot-Schwarz dauerte vier Jahre, Türkis-Blau knapp eineinhalb. Jetzt also Türkis-Grün. Eine Blaupause für Europa? Nur bedingt. Die Warm-up-Phase geht man eher gemächlich an. Politisch heikle Fragen wie etwa die Bepreisung der CO2-Emissionen sollen später geklärt werden. Auch das Ende des Dieselprivilegs steht nicht im 326-Seiten-Regierungsprogramm. Dafür aber quasi eine Lizenz zum Fremdgehen, die Sebastian Kurz einen "Lösungsmechanismus für Krisenfälle" nennt und die ihm das Suchen anderer Mehrheiten erlaubt. Dazu Kopftuchverbot und Sicherungshaft. Die Machtverhältnisse am Verhandlungstisch waren mit 37 Prozent zu 14 Prozent nun mal klar verteilt.

Ob das Experiment dem Praxistest standhält, werden schon die nächsten Monate zeigen. Und zwischendurch wird man dabei gelegentlich nach Deutschland schauen, wo Grünenchefin Annalena Baerbock mit Blick auf Österreich meinte: "Mit uns wird es keine Koalitionsverträge geben, wo wir Themenfelder ausklammern, schon gar keine so wichtigen Themen wie die Innenpolitik." In Umfragen liegen ihre Grünen konstant bei Werten um die 20 Prozent und darüber -auch dank einer brutal schwächelnden SPD. Ohne Grün ist nach derzeitigem Stand kein Regieren in Berlin möglich. Baerbock und Robert Habeck konkurrieren bei der anstehenden Wahl 2021 längst mit der Union um das Kanzleramt -und bringen folglich weitaus mehr Gestaltungsanspruch und Durchsetzungskraft im Gepäck mit. Dem Partner in spe freie Hand bei Asylfragen und in der Migrationspolitik geben? Sicher nicht. Zumindest in der Theorie im Jahr 2020.

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