Über Mannen und Fakten

Die allgemeine Aufbruchstimmung braucht keine Mahner, Zauderer und lästigen Koalitionspartner. Wird Mückstein dagegenhalten können?

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Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Vor einem Jahr fehlte dem Kanzler gerade noch der Schein zum Heiligsein, zuletzt lief es für ihn nicht so gut. Aber eines muss man ihm lassen: Keiner setzt den politischen Zauberstab so effektreich ein wie er. Da haben die Grünen einmal ein Wochenende lang keinen Gesundheitsminister, und schon ist die Pandemie vorbei. Zwei Tage lang verkündete Kurz auf allen verfügbaren Kanälen nur eine Botschaft: Öffnung! Comeback! Man hatte es bereits vermutet: Die Lage war nur wegen der Anwesenheit dieses Miesepeters Anschober so unangenehm gewesen und droht nun durch die Angelobung des mutmaßlich ähnlich miesepetrigen Mückstein wieder unangenehm zu werden. Im Owizahrer- Interregnum also Kanzlerfestspiele, die auch den größten Skeptikern klarmachen mussten, wer als Einziger in diesem Land das Zeug dazu hat, die Pandemie quasi handstreichartig, zwischen "Heute"-und Gabor-Steingart-Interview, zu bezwingen. Durch rasche Deutung die Fakten bezwingen. So geht das.

Genau betrachtet, sind die Öffnungspläne nicht besonders kühn. Dass irgendwann im Laufe des Mai allmählich geöffnet werden würde, war zu erwarten gewesen, wann denn sonst? Die Aussicht, nur mit aktuellem Antigentest in den Gastgarten zu dürfen, klingt nicht nach wildem, unbeschwertem Sommer. Und der "Grüne Pass" ist bisher mehr Absichtserklärung als Realität. Österreichische Forscher haben herausgefunden, dass Corona-Infizierte nach einem Jahr fast keine Antikörper mehr aufweisen und die Krankheit erneut weitergeben können. Was bedeutet das für die Ankündigung, Genesenen einen "Grünen Pass" auszustellen? Wie gut schützt eine Impfung vor der Weitergabe des Virus? Wie überzeugt man à la longue die Test-und Impfunwilligen? So viele unangenehme Fragen, deren Beantwortung nur schlechte Stimmung machen würde. Deren Problem, wenn sich die Politiker anderer Länder (oder ein Wiener Bürgermeister) noch von den Fakten auf der Nase herumtanzen lassen. Echter Gestaltungswille macht auch vor der Wirklichkeit nicht halt.

Es hilft natürlich, einen loyalen Vizekanzler an der Seite zu haben. Der ist zwar von einer anderen Partei, aber wer würde in Zeiten wie diesen auf den eigenen Vorteil schauen? Die ÖVP taumelt von einer Krise in die andere, aber die Grünen halten sich mit Kritik zurück. Die ÖVP demütigt ihren Koalitionspartner bei jeder Gelegenheit, die Grünen erdulden es. Die ÖVP tut in Abwesenheit eines grünen Gesundheitsministers so, als hätte sie das Virus eigenhändig mit dem Lasso eingefangen und in einen Käfig im Tiergarten Schönbrunn gesperrt, die Grünen schauen zu. Es hat, scheint's, Kurz auch Kogler übermannt. Wird Mückstein dagegenhalten können? Sein "ZIB 2"-Debüt gab Hinweis auf eine gewisse Telegenität; die eindrücklichste Botschaft war, dass er Sneakers "wirklich" mag. Aber man wird sehen.

Ganz anderes Thema. Am Montag um 11.01 Uhr, bemerkenswert pünktlich (in Österreich ist man anderes gewohnt ), trat Robert Habeck in Deutschland vor die Kameras, um Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen anzukündigen. Er tat dies, obwohl bis dahin ihr Mitbewerber, knapp, respektvoll und wertschätzend. Hat Habeck sich ermannt oder Baerbock ihn überfraut oder beides? Deutungen gerne an folgende E-Mail-Adresse.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gasteiger.anna@news.at

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