Streitet euch doch

Ratschläge, Parteien sollten ihre Konflikte im Sinne der Vernunft leise führen, sind verfehlt. Streit informiert Wähler. Und erfüllt die Demokratie mit Leben

von / Leitartikel - Streitet euch doch © Bild: Ricardo Herrgott/News

Jetzt also die Grünen. Der Juniorpartner in der Zweckgemeinschaft namens Regierung steckt in einem Streit über die DNA der Partei. Birgit Hebein, vor einem Jahr noch Landeschefin und Vizebürgermeisterin in Wien, trat aus der Partei aus. "Die grüne Politik erreicht nicht mehr mein Herz." Die 51-Jährige ist nicht die Einzige, die ein Problem mit der Zurückhaltung der Bewegungsspitze gegenüber der ÖVP hat, die zuletzt einige Episoden schrieb, die vor dem Regierungseintritt noch zu einer handfesten Konfrontation geführt hätten: Postenschacher, Chatprotokolle, die ein respektloses Verhältnis zur geliehenen Macht vermuten lassen, Ermittlungen gegen den Bundeskanzler und - das tat Hebein besonders weh - die harschen Äußerungen von Sebastian Kurz und Karl Nehammer zur Flüchtlingspolitik. Immer mehr aus der grünen Basis, die bis heute aus Linken sowie bürgerlichen Umweltschützern besteht, wollen das nicht mehr mittragen.

Die Grünen sind damit dort angekommen, wo die anderen schon sind: in der Auseinandersetzung über die Grundsätze innerhalb der eigenen Gesinnungsgemeinschaft. Über das, wofür man gegenüber dem Souverän steht. Und damit im Zentrum der medialen Paartherapie. Die besagt, dass die Partei jetzt alles, wirklich alles, nur nicht einen öffentlichen Streit über die eigenen Grundwerte gebrauchen könne. Schon gar nicht vor Wahlen (demnächst in Oberösterreich und Graz). Zu lesen und zu hören war das in Kommentaren von Journalisten, Politologen und Beobachtern. Aus Sicht des Wählers möchte man rufen: "Warum eigentlich nicht?"

In Wahrheit hat es sich die politische Klasse dieses Landes in der Vergangenheit viel zu lange viel zu gemütlich gemacht, ist solchen Auseinandersetzungen zu oft aus dem Weg gegangen oder hat versucht, sie mit -zum Teil faulen -Kompromissen zu befrieden. Der Grundsatz lautete: Reden wir nicht mehr drüber. Woher aber sollen wir, die Wähler, die sich auch weiterentwickeln und -zum Glück -immer wechselbereiter werden, wissen, wofür die, denen wir unsere Stimme geben, wirklich stehen? Insbesondere dann, wenn über den nicht geführten Konflikten die Mäntel von Staats-und Parteiräson liegen?

Schlag nach beim SPÖ-Dauerbrenner Pamela Rendi- Wagner gegen Hans Peter Doskozil. Oder bei der lieb gewonnenen Auseinandersetzung zwischen städtischer und ländlicher ÖVP, die in Form leiser Kritik traditioneller Schwarzer an der türkisen Führung gerade wieder aufkeimt . Beständig heißt es von außen: "Streitet euch nicht."

Doch gerade Grundsatzdebatten über die Ausrichtung von Parteien müssen laut und hart geführt und konsequent entschieden werden. Gezeigt, wie es geht, hat die FPÖ, bei der seit der Übernahme durch Herbert Kickl jeder weiß, wofür sie steht. Alles andere als offene Auseinandersetzung lässt die Wähler darüber im Unklaren, was man sich, wenn es drauf ankommt, erwarten darf. Dies gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, dem Koalitionspartner, der einen an die Macht gebracht hat, die Grenzen des Ertragbaren aufzuzeigen. Auch wenn der Preis Regierungskrise (oder gar Neuwahl) heißt. Den Parteien mag das schaden. Die Demokratie erfüllt es mit Leben.

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