Fast 90 Minuten hatte sie gesprochen. Ermüdend. Langatmig und ohne Botschaften. Und dann der Paukenschlag. Wenn die Partei nicht bereit sei, ihren Weg mitzugehen, solle sie das jetzt entscheiden, so die damalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer im November 2019. "Dann lasst es uns heute aussprechen, dann lasst es uns heute auch beenden, hier und jetzt und heute." Die Vertrauensfrage stellt man - wenn überhaupt - nur einmal.
AKK entschied sich im November 2019, ein Jahr nach ihrer Wahl zur Parteichefin, dafür. Ohne vorherige Ansage. Die Delegierten des Parteitages reagierten erst mit Totenstille, dann mit minutenlangem Applaus. Die CDU-Chefin hatte einen Sieg eingefahren. Einen Scheinsieg. Denn ein für alle Mal geklärt wurde an diesem Herbsttag nichts. Vergangene Woche (also nur drei Monate später) hat Kramp-Karrenbauer endgültig die Reißleine gezogen. Innerparteiliche Querelen und mangelnde Rückendeckung hatten sie mürbe gemacht. Auf die Vertrauensfrage ohne Ansage folgt der Rücktritt mit Ansage -und in Raten.
Auch Pamela Rendi-Wagner will nach über einem Jahr als SPÖ-Parteichefin die Vertrauensfrage stellen, sich Luft verschaffen und für Klarheit sorgen. Rund 160.000 Mitglieder sollen im März über die Zukunft der Parteichefin entscheiden: bleiben oder gehen? Eine Vertrauensfrage mit Ansage -und zur Unzeit. Gerade jetzt, wo die Personaldiskussionen in der Partei halbwegs zur Ruhe gekommen waren, wo die Regierung mit Eurofighter, Patientenmilliarde und Justizdebatte Angriffsflächen im Stakkato bietet, rollt sie das Thema ohne Not neu auf. Ausgang ungewiss. Bei der letzten Mitgliederbefragung 2016 lag die Beteiligung der Basis bei unter zehn Prozent. Ein Befreiungsschlag unter denkbar schlechten Vorzeichen also.
Das muss man nicht machen, kann man aber. Wenn es reicht, dann reicht es eben. Einen richtigen Zeitpunkt gibt es nicht -und wenn, dann hat ihn Rendi-Wagner ohnehin schon verpasst. Offensichtlich braucht die Parteichefin diesen Rückhalt für sich persönlich. Das ist zu akzeptieren. Das zeigt Gespür -es ist halt kein politisches Gespür. Es ist ein letzter, verzweifelter Versuch, sich ein Standing zu erarbeiten, während andere freilich schon laut über eine Neuaufstellung -etwa in Form der derzeit scheinbar sehr beliebten Doppelspitze - nachdenken. Aus der Deckung geht derzeit noch keiner. Aber der Blick nach Deutschland zeigt: Lange dauern die "Nachdenkphasen" in Frage kommender Kandidaten im Fall des Falles in der Regel nicht. Die derzeitige Phase der Fassungslosigkeit, Verzweiflung und des Entsetzens wird sich folglich auch in der SPÖ rasch (weil zwangsläufig) legen.
Einstweilen hat Pamela Rendi-Wagner nur eines gewonnen: Zeit. Selbstbeschäftigung und Personaldiskussionen in der Partei gehen folglich in eine neue Runde: Kann Sie es? Kann Sie es nicht? Antworten auf die wichtigen Fragen bleiben einmal mehr auf der Strecke -etwa: Wohin geht die Reise? Und welche Ideen, welche Kampfansagen an den politischen Gegner werden dafür in das rote Reisegepäck gepackt? Aktuell liegt die SPÖ in der "Sonntagsfrage" auf Platz vier. Viel Zeit bleibt nicht. Nicht für Rendi-Wagner. Nicht für die Partei. Im Herbst steht für die SPÖ mit der Wien-Wahl die nächste Schicksalswahl an.
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