Seids eh geimpft und getestet?

Wir haben es in der Hand, wie der Herbst wird. Den entscheidenden Unterschied macht die Impfung. Aber auch mehr Druck und weniger gutes Zureden

von Leitartikel - Seids eh geimpft und getestet? © Bild: News/ Matt Observe

Vielleicht hat er ja recht. Er, der schon immer mit dem klaren Blick in die Zukunft und somit lange vor allen anderen das Licht am Ende des Tunnels gesehen hat. Oder er weiß es eben besser. Mal wieder. Er, Sebastian Kurz, hat also die Pandemie für die Geimpften für beendet und Corona zur Privatsache erklärt. Schließlich wird im Sommer 2021 "getanzt, gefeiert und geheiratet". Für die Ungeimpften gilt: Das Virus wird vor allem sie noch eine Weile beschäftigen. Nun, geimpft sind längst nicht alle, und viele sind es in Wirklichkeit auch nicht -zumindest wenn man sich dem Vergleich mit jenen Ländern stellt, die in der Impfstatistik weit voran liegen. Das Impftempo lässt nach. Längst gibt es mehr Impfdosen als verfügbare Oberarme. Die Pandemie lange vor dem einstigen Ziel, eine Impfquote jenseits der 70 Prozent zu erreichen, plötzlich zur Privatsache zu erklären, ist mutig. Und billig, weil einfach. Der einst oberste Pandemiechef degradiert sich selbst zum schulterzuckenden Zuseher? Das kann nicht gut gehen. Und am Ende (und inmitten einer vierten Welle) stellt er sich womöglich trotzig hin und sagt: "Selbst schuld! Hättet ihr mal von eurer Eigenverantwortung Gebrauch gemacht"? Ja, der Staat kann, darf und soll nicht alles vorschreiben. Aber auch wenn das Ziel, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, erreicht ist, bleibt die öffentliche Gesundheit eine Kernaufgabe des Staates. In guten wie in schlechten Zeiten. Nur weil wieder mehr Freiheiten drinnen sind, ist Corona noch lange nicht vorbei. Das sollten wir nicht verwechseln und vor allem keinen voreiligen Schlussstrich ziehen. Und dennoch probieren wir es einmal mehr mit Appellen, viel Zureden und noch mehr Eigenverantwortung. Wohl wissend, dass wir diese Disziplin nicht wahnsinnig gut beherrschen, lassen wir wertvolle Zeit verrinnen. Die Situation ist jetzt gut. Mit jeder Impfung entscheidet der Einzelne darüber, ob es weiter gut geht. Das Virus wird jedenfalls nicht auf uns warten. Die Pandemie haben wir in den Griff bekommen, weil die Impfung wirkt. Aber nicht, weil wir alle anderen Maßnahmen so super im Griff haben - etwa die Kontrolle des viel zitierten 3G-Nachweises in Gastronomie und Tourismus. Mit dem vielerorts praktizierten "Seids eh geimpft und getestet?" lügen wir uns eher in die Tasche. Der Blick auf die Testquote zeigt zudem: Vorreiter ist hier nur die Bundeshauptstadt. Und ja, auch die Diskussion einer Impfpflicht in sensiblen Bereichen wie etwa der Gesundheit werden wir führen müssen.

Unter den derzeit Ungeimpften sind übrigens auch rund eine Million Kinder bis zwölf Jahre. Die haben jetzt natürlich auch Pech gehabt. Dabei hätten sie wenigstens zwei Halbsätze statt einmal mehr nur ein Schulterzucken verdient. Andererseits: Die Kommunikation folgt der Gedankenlogik, die es mit Blick auf die Jüngsten schon immer gab. Sie sind da, aber sie existieren in der Pandemiepolitik nur als lästiges Anhängsel. Jetzt und im Herbst wohl wieder. Nach dem Sommer wie damals kommt im schlechtesten Fall die Schule wie damals. So wie damals im Coronaschuljahr. Die Kinder vor einer Infektion zu schützen, das kann man wahrlich nicht der Gesellschaft umhängen. Schon gar nicht, wenn man die Pandemie für beendet erklärt hat. Die Kinder zahlen -mit Ansage -einmal mehr drauf. Weil sich Erwachsene nicht impfen lassen wollen, obwohl der überwiegende Teil es könnte.

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