Nach den Brandstiftern einfach ein Biedermann

Falls Sebastian Kurz mit einer eigenen Liste durchstarten sollte, hätte die ÖVP die Chance, sich so hausbacken zu repositionieren, wie sie eigentlich ist

von Leitartikel - Nach den Brandstiftern einfach ein Biedermann © Bild: News

Knapp zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung glauben laut einer im "Kurier" veröffentlichten OGM-Umfrage, dass Sebastian Kurz bei künftigen Wahlen "auf keinen Fall" oder "eher nein" sein Comeback als Kanzlerkandidat geben sollte. Ein ganz anderes Bild hingegen zeichnen die Demoskopen von der Position der ÖVP-Wählerschaft: Denn dort sagen noch immer 84 Prozent unerschüttert "ja, auf jeden Fall" oder "eher ja". Kurzum, die ÖVP leistet sich intern noch den politisch irrationalen, rein sentimentalen Luxus eines 35-jährigen Altkanzlers, obwohl sie mit ihm draußen an den Abstimmungsurnen keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Und schon gar keinen potenziellen Koalitionspartner. Und so hat dieser Luxus zweifelsohne ein Ablaufdatum. Doch einer wie Kurz wirft nicht so einfach hin. Zum einen, weil die Daten zu seinem Standing in ÖVP-Kreisen zur Abwechslung nicht getürkt sind und ihm vorderhand also wirklich noch einmal, ein letztes Mal, den Rücken stärken. Zum anderen, weil sie ihn noch einmal, ein letztes Mal, in seiner gefühlt historischen Bedeutung bestätigen: "Ich allein habe diesen inhomogenen Laden geeint", mag er sich jetzt denken. "Ich allein habe ihn gleich bei zwei Wahlen in lichteste Höhen geführt. Und alle, die jetzt meinen Abgang herbeireden, sind alleine dank mir überhaupt erst in einer Position, die ihren Worten ein bissel Gewicht verleiht." Morbus Strache könnte man diese sehr spezielle Selbstsicht populärpsychologisch nennen. Denn Bastis erster Vizekanzler, der versteht bis heute nicht, wie ihm ein Kickl oder ein Hofer, die er selbst einst groß machte, das nur antun konnten: nämlich ihn aus rein pragmatischen Gründen abzuservieren. Und ähnlich wie sein ausgeknockter Ex-Kumpel aus den Tagen von Türkis-Blau wird es auch Kurz nicht verstehen, weshalb ihn "seine eigenen" Landeshauptleute abservieren. (Denn eines darf man trotz des scheinbar so harmonischen türkisen Interregnums, das nun krachend zu Ende geht, nicht vergessen: Innerhalb der ÖVP galt und gilt die Obmann-Demontage durch die Bundesländer und Bünde über Jahrzehnte hinweg als Paradedisziplin, da verfügt die Partei über jede Menge Routine.)

Und selbst wenn es der darob brüskierte Kurz eines Tages doch noch einmal wissen will und mit einer möglichen eigenen Liste gegen die mögliche eigene Ex-Partei antritt, wäre das für die ÖVP mehr Selbstreinigungsprozess als ernstliches Bedrohungsszenario: Nach den Jahren des uneingeschränkten, inhaltsbefreiten Starprinzips rund um die türkisen Brandstifter (Auszug aus den Chatprotokollen: "Wir zündeln!") sehnt sich gerade der bürgerliche, noch immer ein wenig katholisch geprägte Teil des Landes nach einem Biedermann, einer Biederfrau an der Spitze einer neuen/alten Klientel-und Milieupartei.

"Larger than Life" war gestern, was nun, als Antithese zur Ära Kurz, zählt, sind in erster Linie tadellose Umgangsformen, hart an der Grenze zur Langweile, und ein festes Wertegrüst, hart an der Grenze zur Borniertheit. Das Zeitfenster für einen ganz normalen Politiker, eine ganz normale Politikerin ist also offen wie selten zuvor. Höflich, fad, unbeweglich, aber darin zumindest halbwegs verbindlich. So jemand müsste sich doch selbst in den Reihen einer dezimierten ÖVP finden lassen.

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