Mittelmaß,
mal wieder

Die aktuelle Pisa-Studie liegt auf dem Tisch. Gelassenheit ist ebenso wenig angebracht wie die Bitte der Bildungsministerin, sich in Geduld zu üben

von Leitartikel - Mittelmaß,
mal wieder © Bild: News/ Matt Observe

Noch bevor das Ergebnis auf dem Tisch lag, wurde die erwartbare Antwort darauf schon mal sicherheitshalber in Frageform in die Runde geworfen: Wozu brauchen wir diesen Test überhaupt? Gemeint ist Pisa. Alle drei Jahre sorgen die Ergebnisse der größten internationalen Bildungsstudie hierzulande für Wirbel. Okay, für ein bisschen Wirbel -einen Tag davor und zwei Tage danach. Auch 2019 ist das Ergebnis nicht gut ausgefallen: Mittelfeld. Also Mittelmaß. Mal wieder. Und das ist das denkbar schlechteste aller Ergebnisse, vor allem in einem Land, das gern und für meinen Geschmack viel zu häufig zu den Schlechteren schielt, als sich mit den Besten zu messen (an der Pisa-Spitze in Europa steht übrigens Estland). Oder um es mit den Worten der Bildungsministerin auszudrücken: Die Resultate sind "nicht die große Jubelbotschaft, aber auch kein Grund zur großen Sorge". Und: "Wir brauchen Geduld." Mit Verlaub, aber wenn fast ein Viertel der 15-bis 16-Jährigen in Österreich am Ende ihrer Pflichtschulzeit nicht sinnerfassend lesen kann, dann verdient diese pragmatische Wortspende ein "Nicht Genügend". In Deutschland, das in den getesteten Bereichen vor Österreich (und über dem OECD-Schnitt) liegt, spricht man übrigens von einem "Bildungsschock". Hinzu kommt: Jeder zweite Jugendliche hierzulande liest nur, wenn es sein muss. Und -kleiner Sidestep: das Falsche. Einem Elfjährigen darf man im Gymnasium durchaus gehaltvollere Klassenlektüre als eine herzige und von der Seitenzahl her überschaubare Tiergeschichte wie "Freund mit Schnauze" anbieten Man kann über Pisa streiten, die Methodik kritisieren und die Ergebnisse kleinreden (oder sich damit in großen Lettern rühmen, sollte irgendwann einmal ein Spitzenplatz drin sein). Die Studie untersucht aber eben auch, wie gut ein Bildungssystem im jeweiligen Land funktioniert. Sich mit dem Mittelmaß zufriedenzugeben, kann nicht unser Anspruch sein. Denn die rot-weißrote Kosten-Nutzen-Rechnung fällt denkbar schlecht aus. Wir leisten uns zwar das zweitteuerste Bildungssystem der Welt -in den Ergebnissen spiegelt sich das aber nicht wider. Bereits vor 15 Jahren hat Österreich in Sachen Lesen ein mieses Zeugnis kassiert.

Statt nach Lösungen jenseits der laut getrommelten Deutschklassen und des Sitzenbleibens in der Volksschule zu suchen, träumt man aktuell von Laptops in Klassenzimmern, bittet um Geduld und zeigt mit dem Finger auf die vermeintlichen Verursacher der Mittelmaß-Ergebnisse: Bildung ist hierzulande immer noch eine Frage der Herkunft und des Elternhauses. Kinder von Akademikereltern erzielen rund 90 Punkte mehr als Kinder, deren Eltern maximal Pflichtschulabschluss vorweisen können. 90 Punkte entspricht einem Leistungsunterschied von zwei Lernjahren. Der Fingerzeig allein wird das Problem nicht lösen. Ein (an Kinder und Eltern gerichtetes) "Strengt euch gefälligst mehr an!" auch nicht. Mehr Geld für Brennpunktschulen, frühkindliche Bildung und eine Ganztagsschule, die den Namen auch verdient, aber sehr wohl. Ob es uns passt oder nicht: Dem Thema Bildungsgerechtigkeit werden wir uns stellen müssen. Jeder einzelne Bildungsverlierer ist einer zu viel -und liegt uns irgendwann, irgendwie auf der Tasche. Das sollten wir uns nicht leisten. Die nächste Pisa-Studie steht übrigens 2021 ins Haus.

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