Einmal miese
Pommes für alle

Der Bundeskanzler redet dieser Tage lieber über banale Themen: Pommes und Schnitzel. Er könnte auch über wichtige Dinge reden. Reisefreiheit zum Beispiel.

von Leitartikel - Einmal miese
Pommes für alle © Bild: News/ Matt Observe

Maximal zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Länge durfte sie sich krümmen. Und, bitte schön, keinen Millimeter mehr, sonst wäre die Königskategorie "Extraklasse" futsch gewesen: Jene Verordnung zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken, gerne auch Gurkenverordnung genannt, gibt es nicht mehr. Sie wurde 2009 von der EU-Kommission abgeschafft -und wird trotzdem immer wieder aus der Klischeekiste geholt, wenn mal wieder das Thema Bürokratiewahnsinn auf der Tagesordnung steht. Wie, die Verordnung wurde gar nicht in Brüssel erfunden? Geschenkt. Und als die Regelung fallen sollte, gab es Widerstand - aus Deutschland und Frankreich. Und aus Österreich. Dieser Tage dreht sich hierzulande das politische Geschehen um die Pommes-Verordnung (ja, wir haben wirklich genau dieses und sonst kein anderes Problem), die eigentlich Acrylamid-Verordnung heißt und den Bundeskanzler nervt -der angesichts des nahenden EU-Wahltages lieber auf Märchen als auf Fakten setzt. Zitat: "Kein Mensch braucht EU-Vorgaben, etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes." Eh nicht. Weil um die Schnitzel geht es gar nicht in dieser Verordnung. Aber um Grenzwerte für das als krebserregend geltende Acrylamid, das etwa bei übermäßigem Frittieren von Pommes entsteht. Aber auch bei der Herstellung von Chips oder Brot.

Und nebenbei: Nicht irgendwelche EU-Bürokraten erlassen Verordnungen, sondern der EU-Rat. Und in dem sitzt auch Sebastian Kurz Wie der Bundeskanzler daheim sein Schnitzel frittiert, ist mir egal. Nicht egal ist, was in Restaurants auf den Tisch kommt. Die Verordnungen der EU -Identitätskennzeichnungen, Zusatzstoffe, Hygienevorschriften -für den Lebensmittelbereich umfassen übrigens 60 Seiten. Eine etwa regelt die "Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit von Sprossen und Samen zur Erzeugung von Sprossen". Ist diese dem Kanzler bei seinem EU-Rundumschlag spontan nicht eingefallen? So wie die anderen (seiner Meinung nach) überflüssigen 999 Verordnungen, die er auf Nachfrage leider gerade nicht parat hatte? Nein, die "Pommes-Verordnung" ist einfach stammtischtauglicher. Und hier, an den FPÖ-Stammtischen, müssen von der zum Erfolg verdammten ÖVP bei der EU-Wahl noch ein paar Wählerstimmen geholt werden. Da kann schon ein bisschen was verrutschen. Auch in Richtung Banalität.

Ja, im Wahlkampf dürfen alle Register gezogen werden - die Schlagwörter Regulierungswahnsinn, Bürokratie und Bevormundung machen sich dabei besonders gut. Getreu dem Motto: Läuft es schlecht, ist die EU schuld. Läuft es gut, ist das natürlich ein Verdienst der Regierung. Und nein, Kurz muss nicht kritiklos schweigen, nur weil er immer wieder betont (für meinen Geschmack zu oft), was für ein glühender Europäer er ist. Dieser sehr junge 32-jährige EU-Regierungschef könnte auch eine andere Erzählung liefern. Etwa, dass EU-Gesetze regelmäßig überprüft, vereinfacht, abgeschafft werden. Vielleicht auch irgendwann jene 53, die gerade erst während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft erlassen wurden. Und er könnte über Reisefreiheit und Erasmus-Programme oder "Bevormundungen" wie gestrichene Roaminggebühren und ab sofort ziemlich günstige Telefonate ins EU-Ausland sprechen. Gerne bei Pommes und Schnitzel.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at