Lieber kaltschnäuzig und
laut statt vernünftig

Es ist eine Sache, was man sagt, aber eine andere, was man am Ende tut. Mehr Schärfung würde uns guttun. Vorbilder gibt es.

von Leitartikel - Lieber kaltschnäuzig und
laut statt vernünftig © Bild: Matt Observe/Auftrag News

Ja, Politik kann einfach sein. Auch einfühlsam. Und vernünftig. Vielleicht nicht gerade hier und jetzt in Österreich. Aber anderswo. Neuseelands PremierministerinJacinda Ardern hat das jedenfalls eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Tage nach dem Anschlag von Christchurch grüßte sie demonstrativ
im Parlament mit der arabischen Grußformel „Friede sei mit euch“. Sie flog an den Anschlagsort und besuchte die dortige muslimische Gemeinde – den
Kopf mit einem schwarzen Schal bedeckt. Sie kündigt strenge Waffengesetze nicht nur an, sondern setzt ihre Entscheidung binnen sechs Tagen um. Sie will versöhnen und keine Teilung der Gesellschaft zulassen. Ihr Ton stimmt. Die Worte auch: „Sie sind wir!“ Und eben kein „wir“ und „sie“ (oder dieses längst gängige „die“). Wirkt die 38-Jährige deswegen schwach? Mitnichten. Anerkennung und Respekt wird ihr gezollt. Nicht nur in Neuseeland. Das ist gut so – und beruhigend.
Sind wir doch hierzulande längst andere Töne, Gesten und Taten gewöhnt. Umgesetzt wird bei uns auch. Aber mit einer PR-Maschinerie auf Hochtouren,
viel Getöse und noch mehr Bildern. Ruhige Zwischentöne? Fehlanzeige. Ein Beispiel von vielen: Die Verkündung der Schließung von Moscheen in Wien, die unter Extremismusverdacht standen, ging mit ganz viel Trommelwirbel über die Bühne. Kanzler, Vizekanzler, Innenminister und Kultusminister rückten gemeinsam an einem (sehr) frühen Freitagmorgen aus, um die Dringlichkeit der Angelegenheit in einer Pressekonferenz zu betonen. Viel ist seither
nicht passiert. Also in Sachen Moscheen. Ansonsten schon. Es sind zum Beispiel ziemlich viele Hemmungen gefallen, was sagbar ist – und was nicht. Untergriffige Diskussionen, schwerwiegende Beleidigungen, respektloses und herabwürdigendes Verhalten sind längst an der Tagesordnung.
Immer geht noch ein bisschen mehr.

In der Politik. Am Stammtisch. Vor allem mehr Hass und Neid gegenüber bestimmten Gruppen. Ausgrenzung gab es schon immer. Unverblümt ausgesprochen wird sie erst jetzt und sorgt längst für ein Grundrauschen in der Gesellschaft. Es muss schon viel gesagt werden, um
noch einen Sturm der Entrüstung zu ernten. Trauriger (vorläufiger) Höhepunkt: In einem Redebeitrag im Parlamentbezeichnet FPÖ-Abgeordneter
Wolfgang Zanger Betriebsräte als „Beidl“. Gehen in der Folge kurz, aber doch die Wogen hoch, wird beschwichtigt und heruntergespielt. („Ich wollte sagen: Trinken wir lieber ein Seidl.“) Auch der Vizekanzler rückt aus, um ein bisschen was geradezurücken: Nicht „Pulitzerpreis-verdächtig“ sei der Sager und „Stammtisch-Sprache“. Das ist lieb. Und unehrlich. Okay, Strache will seinem Parteifreund einen Ordnungsruferteilen. Der wird noch nicht mal verhallt sein, da steht schon das
nächste schwerwiegende Problem im Raum – die Frage der Nähe der FPÖ zu den Identitären.

Immer öfter muss der Kanzler ausrücken,um einzufangen, was mittlerweile locker-flockig ausgesprochen wird. Zuletzt nach der Spuckattacke gegen eine Muslima in Wien. „Eine widerliche Attacke, die ich auf das Schärfste verurteile. In Österreich stehen wir für ein respektvolles und friedliches Miteinander aller Religionen!“, schreibt er auf Twitter. Er distanziert sich von den Folgen seiner Politik und der seines Koalitionspartners – endlich, werden viele denken. Aber am Ende ist es eine Sache, was man sagt, eine andere, was man tut.

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