Lasst die Systemdeppen vorgehen

Die Corona-Impfung steht ante portas, aber viele wollen sich nicht impfen lassen. Die Regierung hat wenig getan, um sie zu überzeugen

von
THEMEN:
Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Wenn in den letzten Monaten irgendetwas zu lernen war, dann das, dass diese Corona-Krise anscheinend völlig unvorhersehbar ist und jeden Tag neue Herausforderungen bringt. Alters- und Pflegeheime schützen? Die zweite Welle vorbereiten? Klingt nach ziemlich konkreten, umsetzbaren Plänen, die auch nicht ganz neu sind, aber was wissen wir schon, die wir in den Redaktionsstuben herumsitzen und Computertastaturen malträtieren? Es ist zwar jeder Sechsjährigen zuzumuten, dass sie jeden Morgen ihre Schulsachen beisammenhat, aber die Bundesregierung fantasiert im Sommer lieber von der eigenen Großartigkeit, als über den Herbst nachzudenken.

Seit März ist klar, dass diese Krise erst zu Ende ist, wenn es eine Impfung gibt. Leider hat man aber offenbar darauf vergessen, dass es nicht reicht, dass es sie gibt, sondern dass sie auch verabreicht werden muss. Und zwar an mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, sonst wursteln wir ewig weiter in unseren Homeoffice-Sauerteig-Höllen, und ab und zu stirbt halt wer, oje. Nur die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher, zeigen Umfragen jetzt, ist bereit, sich gegen Corona impfen zu lassen. Und auch das lieber später als früher. Heißt: „Bitte die anderen vor mir.“ Wie sie sich die Lösung der Corona-Krise sonst vorstellen, wird in diesen Umfragen leider nicht erhoben. Scheint aber alles nicht so schlimm zu sein mit den Hilfsmilliarden der Regierung im Hintergrund, die ja von den nächsten Generationen abgestottert werden können.

Verständnis für jeden, der auf seine körperliche Integrität achtet. Verständnis für jeden, der sich gerne eine eigene Meinung bildet. Aber die Corona-Impfungen werden von Wissenschaftlern unter der Einhaltung wissenschaftlicher Standards entwickelt, diesmal eben in höherem Tempo. Man kann das anerkennen. Oder sich für schlauer halten. Aber dann bitte auch für schlauer als die Ärzte, die an Covid-19 verreckenden Intensivpatienten die Schläuche in den Hals schieben. (Lesen Sie die Berichte der amerikanischen Krankenschwester Jody Doering. Ihre Beschreibungen von Corona leugnenden Covid-Patienten, die überzeugt sind, an etwas anderem zu leiden, und erst aufhören, das Krankenhauspersonal zu beschimpfen, wenn sie intubiert werden, sind wirklich gruselig.) Und wie sehen sinnvolle Alternativstrategien aus? „Die braven Systemdeppen gehen vor“ ist keine.

Die österreichische Bundesregierung plant also seit einem halben Jahr, die Corona-Krise mit einer Maßnahme zu beenden, von der viele Bürgerinnen und Bürger bekanntermaßen nicht viel halten. Für diese Glanzleistung belohnt sie sich jetzt mit einem 30-Millionen-Euro-Etat für Eigenwerbung, anstatt das Geld in eine seriöse Impfaufklärungskampagne oder die Corona-gerechte Ausstattung jener Schulen und Universitäten zu stecken, die geschlossen wurden, damit zu Weihnachten ein paar Privilegierte Ski fahren können. Dort, in den (Hoch-)Schulen, würde man nämlich so Sachen lernen wie: Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten, Mitdenken, Solidarischsein. Alles, was jetzt – bitterlich – fehlt.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gasteiger.anna@news.at

Kommentare