Wollt ihr den
totalen Kickl?

Schon seltsam: Der FPÖ-Klubobmann und Rädelsführer der Corona-Leugner ist einer der Hauptnutznießer eines politischen Systems, das er zu stürzen vorgibt.

von Leitartikel - Wollt ihr den
totalen Kickl? © Bild: News

Der Übergang zwischen leicht angeheitert, besoffen und politisch blau verlief am vergangenen Samstag im Wiener Prater erwartungsgemäß fließend: Unten auf der Jesuitenwiese schäumte das Dosenbier, die einen schwenkten Österreich-Fahnen, die anderen schwankten mit Fahne, aber meist ohne Mundschutz. Warum? Weil sich auch da oben am Rednerpult schon längst einer ungeniert selbst demaskiert hatte: FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.

Und zwar als ultimatives Sprachrohr all jener, die in diesem Land gegen alles sind: Corona-Leugner und/oder Verschwörungstheoretiker und/oder Antisemiten, gesinnungstreu oder gedankenlos, gemäßigt oder gewaltbereit. Unzufriedenheiten aller Art einzusammeln, zu nähren und daraus Stimmen zu generieren, ist eben Oppositionsjob, könnte man nun vergleichsweise nüchtern einwenden. Irgendwer muss nach dem Debakel von Ibiza die FPÖ-Wähler ja wieder einfangen. Und wer soll das anstelle des abgetauchten Norbert Hofer denn sonst übernehmen, wenn nicht der kleine Mann mit dem großen Zorn? So weit, so pragmatisch.

Nur eins sollte man nicht ganz außer Acht lassen: Derselbe Kickl, der da zum Sturz des sogenannten Systems aufhusst und nichts dabei findet, wenn sein Prater-Publikum im Namen der sogenannten Freiheit marodierend durch die Leopoldstadt zieht, verkörpert selbst das Gegenteil des klassischen Corona-Verlierers. Kaum wer nämlich macht das Virus so sehr zum persönlichen Karrierevehikel wie er: Bereits vor einem Monat etwa erklärte er in Hinblick auf die kippende Stimmung in Teilen der Bevölkerung im News-Interview, eigentlich gerne persönlich FPÖ-Parteichef werden zu wollen.

Liebe Corona-Leugner, aber wollt ihr wirklich den totalen Kickl? Einerseits gefällt er sich in seiner neuen Rolle als außerparlamentarischer Oppositioneller, als universeller Systemkritiker von eigenen Gnaden, andererseits gibt es in der heimischen Politik kaum jemanden, der schon so lange und so intensiv von ebendiesem politischen System profitiert wie er: sei es als rein steuermittelfinanzierter Geschäftsführer der FPÖ-Parteiakademie, sei es als rein steuermittelfinanzierter FPÖ-Generalsekretär, sei es als rein steuermittelfinanzierter FPÖ-Klubobmann, von seinem Intermezzo als FPÖ-Innenminister einmal ganz abgesehen. Ganze Generationen von Politikerinnen und Politikern der sogenannten Systemparteien kamen und gingen. Doch einer kam bereits vor zweieinhalb Jahrzehnten und ist auch heute immer noch da: Herbert Kickl, derzeit mit einem rein steuermittelfinanzierten Monatsgehalt von 15.380 Euro ausgestattet.

Woraus also, liebe Corona-Leugner, soll ausgerechnet er seine Ahnung von euren ganz alltäglichen Sorgen und Nöten beziehen? Wohl eher nicht aus persönlicher Erfahrung mit der außerparlamentarischen Arbeitswelt. Und noch eines vergesst nicht, wenn euch der blaue APO-Chef wieder ausschickt, um gegen die "Zwangsmaßnahmen" zu demonstrieren: Während euch (übrigens zu Recht) fette Strafen blühen, riskiert Herbert Kickl genau nichts. Denn als Parlamentarier genießt er weitgehende Immunität. Nicht, wie er glaubt, gegen Corona. Wohl aber, wie er weiß, gegen Strafverfolgung. Als einer der Hauptnutznießer eines Systems, das er zu stürzen vorgibt.

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