Die Kanzlerpartei auf
gefährlichem Terrain

Wie aus Michael Landaus Kritik an der Kürzung der Mindestsicherung eine Asyldebatte wurde. Und warum Schweigen der ÖVP dabei nicht hilft

von / Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Die Formulierung ist zweifelsohne hart, doch wenn man schon einmal zugehört hat, wie nachdenklich Caritas-Präsident Michael Landau um jede seiner Aussagen ringt, kann man ermessen, wie ernst es ihm war. "Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung ist hier erstaunlich weit weg von der Lebensrealität armutsbetroffener Menschen. Da gibt es schwere Empathie-Defizite in diesem Bereich", sagte Landau vor Weihnachten in einem Interview mit der Apa zur geplanten Kürzung der Mindestsicherung. Doch bevor sich nun alle anderen zurücklehnen, weil "nur" die türkis-blaue Koalition eine Abreibung bekommt: Landau nimmt die Gesellschaft insgesamt ins Gebet, wenn er sagt: "Der Ton wird rauer, das Klima kälter." Über Menschen in Not werde abschätzig gesprochen. "Ich habe den Eindruck, hier ist der gesellschaftliche Wertekompass ein Stück weit abhandengekommen oder verrutscht." Interessant ist allerdings, wie die FPÖ auf diese Ermahnung reagiert. Sie hob die Debatte in jenes Feld, in dem sie schon seit Jahren politische Stimmung macht -um das es allerdings bei jener Aussage Landaus gar nicht ging: "die Ausländer". Sie unterstellt der Caritas und ihrem Präsidenten, Teil einer "Asylindustrie" und in dieser profitgierig zu sein. Der Tätigkeitsbericht auf der Website der Hilfsorganisation liefert rasch das nötige Hintergrundwissen: Die kirchliche NGO liefert bei der Flüchtlingsbetreuung überwiegend von der (früheren) Regierung bestellte Leistungen. Und diese machen bei weitem nicht den größten Teil ihrer vielfältigen Arbeit aus. Rund 20 Prozent ihres Gesamtbudgets fließen in die Bereiche Asyl, Migration und Integration, Tendenz fallend, analog zu den Flüchtlingszahlen. Der Rest von mehr als 900 Millionen jährlichen Gesamteinnahmen dieses Großunternehmens der Nächstenliebe fließen in Betreuung alter und kranker Menschen, in Pflege und Hospiz, in die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, in Aktionen wie Obdachlosenhilfe und Suppenbus, in Kinder-und Jugendhilfe, in Lebensmittelverteilung an Bedürftige und so weiter. Lauter Dinge, für die die Caritas in Österreich seit Jahren einen guten Ruf genießt. Aber mit dem Thema Asyl und Zuwanderer Stimmung zu machen, das ist der übliche Reflex der Blauen. Und durchaus perfide.

Ebenso interessant ist allerdings, dass die wichtigsten Proponenten der ÖVP schwiegen, obwohl sich ihr Parteichef bisher immer gerne mit Landau fotografieren ließ und bei seinen Events sogar Spenden für die Caritas sammelte. Staatssekretärin Karoline Edtstadler wurde mit einer Belehrung vorgeschickt, beide Seiten mögen sich im Ton mäßigen. Das zeigt, dass Landau mit seiner Kritik einen sehr wunden Punkt der Türkisen getroffen haben muss. Nicht nur schwelt in und um die Partei seit Wochen die Debatte, wieweit ihr Tun eigentlich noch mit den christlich-sozialen Wurzeln der früher Schwarzen zu vereinen sei. Genau bei jenen, die sich in der ÖVP darum Sorgen machen, hat die Caritas viele Unterstützer. Zudem will Sebastian Kurz den Eindruck vermeiden, die Kanzlerpartei stelle sich selbst ins sozial kalte Eck.


Mit diesem Image hat Wolfgang Schüssel nämlich 2006 die Wahl und das Kanzleramt für die ÖVP verloren. Schwarz-Blau eins war damit Geschichte. Ein gefährliches Terrain für Schüssels Erben 2019.

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