Mitten durch das Brandenburger Tor in Berlin zu gehen. Einfach so. Von Ost nach West, von West nach Ost. Nur ein paar Meter durch mächtige Säulen und ohne dabei an Grenzmauern zu stoßen, echte, aus Beton und jene in den Köpfen. Das bedeutet mir viel. Auch heute noch, im 34. Jahr nach dem Mauerfall. Herbst 1989/90 war für mich, die damals 17-jährige DDR-Bürgerin, ein Jahr des brutalen Umbruchs. Neue Schulbücher, neue Hymne, neue Währung, volle Regale, Reise- und Meinungsfreiheit. Ein ganz neues Leben, weil Menschen in meiner Heimatstadt Leipzig in den Oktobertagen 1989 auf die Straße gegangen sind, um gegen das Regime, die Einschränkungen und die erbärmlichen Lebensumstände aufzubegehren. Erst 70.000, später mehr als 300.000 Menschen. Ich war eine von ihnen. Der Boden dafür wurde in einem Land aufbereitet, das letzten Sonntag zur Wahlurne geschritten ist und wo am Wahlabend vom Zweitplatzierten Donald Tusk ein gewichtiger Satz gefallen ist: "Wir haben die Freiheit zurückgewonnen." Vorausgegangen waren auch hier Demonstrationen mit Hunderttausenden. So wie damals, als Lech Walesa, der spätere Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger, mit seinem und dem Mut vieler als Anführer der Gewerkschaft Solidarnosc die Welt hinter dem Eisernen Vorhang erst ins Wanken und dann zu Fall brachte. Polen war das erste Land im Ostblock, in dem die herrschende Partei ihre Macht aufgeben musste. Ohne den Mut und die Zivilcourage der Polen für das Ziel einer Demokratie nach westlichem Vorbild sähe Europa heute anders aus. Mit der höchsten Wahlbeteiligung seit 1989 wendet sich das fünftbevölkerungsreichste Land der EU jetzt ein zweites Mal gegen den Abbau von Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaat. Die seit acht Jahren regierende nationalkonservative PiS-Partei gewinnt zwar zum dritten Mal in Folge die meisten Stimmen, aber es fehlen die Partner für eine Koalition. Es ist unwahrscheinlich, dass sie an der Macht bleibt und ihre Demontage der polnischen Demokratie weiter vorantreiben kann. Höchstwahrscheinlich wird Oppositionsführer Tusk mit einem Bündnis linker, liberaler und konservativer Kräfte eine Dreierkoalition bilden - und an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren.
Es gibt sie also noch, die guten Nachrichten in einer Zeit, die zunehmend aus den Fugen gerät. Wie schnell die Wende in Polen eingeläutet werden kann und ob der Regierungswechsel problemlos über die Bühne geht, ist freilich ungewiss. Die PiS kontrolliert die wichtigsten Staatsorgane, den Verfassungsgerichtshof, das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die Staatsanwaltschaft, das Justizsystem.
Aber Medien, die zu Propagandaorganen verkommen sind, und Steuergelder, die für Parteizwecke eingesetzt wurden, oder die Demontage der Justiz sind kein polnisches Phänomen und zeigen, wie wichtig es ist, gerade jetzt auf Polen zu schauen. Denn das Wahlergebnis macht Mut und zeigt, dass Menschen in Osteuropa den Glauben an eine liberale Demokratie nicht aufgegeben haben. Dass sie mit einer Politik des Nationalismus, der aggressiven und populistischen Töne, der Abschottung und Intoleranz und der Demokratieverachtung nichts anfangen können. Es ist auch eine Wahl, die Populisten wie Viktor Orban den Wind aus den Segeln nehmen könnte.
Bemerkenswert ist, dass sich vor allem die Jungen ihre Demokratie zurückgeholt haben. Mit ihrer Lebensrealität hat etwa das antieuropäische Agieren der bisherigen Regierung nichts zu tun. Leben sie doch in einem Land, das sich weitgehend unbemerkt zu einer der größten Volkswirtschaften der EU entwickelt hat -sozusagen ein Wirtschaftswunderland mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz. Auch hier lohnt es sich, hinzuschauen.
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