Von allem ein bisschen zu viel

Der Wahlkampf nimmt Fahrt auf – das Thema Zuwanderung und Integration darf dabei nicht fehlen. Und auch beim „Sparen im System“ gibt es Redebedarf.

von Leitartikel - Von allem ein bisschen zu viel © Bild: News/ Matt Observe

Ich bin da. Seit 23 Jahren. Und ich gehe auch nicht mehr weg. Möglicherweise denken viele der derzeit 186.841 deutschen Migranten in Österreich so – und ich hoffe, das ist keine schlechte Nachricht. Ich mag Schnitzel. Aber ich muss gestehen, mein Puls bleibt im Ruhemodus, wenn die österreichische Fußball-Nationalmannschaft gewinnt (oder es irgendwie vermasselt). Und ja, ich bevorzuge eher Filterkaffee als Melange. Entschuldigung dafür. In Wahrheit wären meine Befindlichkeiten, Vorlieben und Vorhaben egal. Aber es ist nun mal Wahlkampf. Und da sind wir Ausländer immer für eine knackige Wahlansage gut. Auch diesmal wieder. Schließlich habe sich Österreichs Gesellschaft laut ÖVP-Chef Sebastian Kurz durch Zuwanderung und Migration „massiv“ verändert – offenbar nur negativ. Ob wir Deutschen als größte Migrantengruppe daran schuld sind? Ein bisschen vielleicht schon, wenngleich wir wohl eher in die Kategorie „guter Ausländer“ fallen. Ich spreche die Sprache des Landes. Fehlerfrei. Kopftuch trage ich auch nicht. Ich mag noch nicht mal eine Mütze, Pardon: Haube. Angesprochen
fühle ich mich allemal.

Jedenfalls braucht es eine Reihe von Maßnahmen, um die „österreichische Identität“ zu wahren, wurde bei der Präsentation des ÖVP-Wahlprogramms verlautbart. Regeln des Miteinanders sind einzuhalten; hier gelebte Werte ebenso. Keine Frage. Aber gekürzte Sozialleistungen bei der Vernachlässigung von Erziehungspflichten? Klingt gut, wird aber in der Praxis schwer umsetzbar sein. Deutschförderklassen seien ein „wichtiger Schritt“. Auch das Schulfach „Staatsbürgerkunde“ soll kommen – das gab es schon in der DDR (die gemeinsame Schule bis 14 übrigens auch) –, aber warum nicht? Das Kopftuchverbot ist sowieso das Allheilmittel schlechthin – und muss für so ziemlich alle Missstände herhalten, macht sich gut am Stammtisch, löst aber keine (altbekannten) Probleme, etwa dass ein Viertel der Schulabgänger nach neun Jahren Schulpflicht Probleme beim Rechnen, Schreiben und Lesen hat. Lösungsansätze? Noch Fehlanzeige. Und nein, das verpflichtende Tragen von Lederhosen in der Volksschule (und sei es nur zum Fototermin, wenn Regierungsmitglieder vorbeischauen) löst die Misere auch nicht.

Gerechnet wird nicht nur in der Schule, sondern derzeit auch in den Parteizentralen – vor allem vorgerechnet. Bei der ÖVP eher unfreiwillig: 60.000 Euro für ein Fest beim Szenegastronomen, 33.000 Euro monatlich für einen Strategieberater, knapp 8.000 für den Privatflieger nach Rom … das kann man „normal“ finden, muss man aber nicht. Eine schiefe Optik bleibt allemal; Wahlplakate mit Slogans wie „Einer, der am Boden bleibt“ bekommen jedenfalls einen merkwürdigen Beigeschmack (vor allem, wenn statt des Fotos aus dem Privatjet jenes vom Rückflug in der Economy-Class gepostet wird). „Sparen im System“ schaut anders aus; „neuer Stil“ auch. Und wie verkündet man glaubhaft ein „Ende der Schuldenpolitik“, wenn man als ÖVP selbst auf einem üppigen, ja alarmierenden Schuldenberg sitzt? Die Schulden der Parteien hierzulande sind ein gut gehütetes
Geheimnis. Mit Ausnahme Neos und Grüne mag niemand darüber reden. Wir müssen aber reden. Das Thema unter den Tisch kehren geht nicht mehr. Es kleinreden aber offensichtlich schon. Es sind „immer zu viele Schulden“, meint ÖVP-Generalsekretär Nehammer lapidar. Da geht noch mehr. Bestimmt.

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