Es wird wärmer, leben wir damit

Der Gipfel in Glasgow ist nicht die "letzte Chance für das Weltklima". Selbst ohne eine einzige Maßnahme wird unsere Zivilisation weiter bestehen. Nur anders

von Leitartikel - Es wird wärmer, leben wir damit © Bild: Ricardo Herrgott/News

"Ein Minenfeld!" Es sagt einiges aus über den Zustand einer Debatte, wenn eine geschätzte Kollegin beim Vorabaustausch für den nächsten Leitartikel vor erwartbaren Reaktionen warnt -einen Leitartikel zu einem Thema, bei dem festzustehen scheint, was man meinen darf oder fordern soll. Die Sache, um die es geht, ist der Klimawandel. Oder, genauer: wie Journalisten, Aktivisten (die manchmal dieselben Personen sind) und Politiker darüber sprechen und schreiben. Denn das, was nun im Umfeld des Weltklimagipfels wahrzunehmen ist, stimmt nachdenklich. Außer flächendeckend gestreuten Horrorszenarien und Absolut-Standpunkten hat die sogenannte "Debatte" nämlich wenig zu bieten. So verschwand der neutrale Begriff des Klimawandels fast vollständig. An seine Stelle trat die Klimakrise. Ein Wort, das alle Zwangsmaßnahmen rechtfertigt. Und das jene, die lieber zweimal über Wege aus dem Schlamassel nachdenken, automatisch in die Sphäre der Klimawandelskeptiker oder -leugner drängt. Wer kann sich schon ernsthaft kritisch zu Maßnahmen gegen eine Krise aussprechen? Es ist wie beim Coronavirus. Wer davor warnt, dass Begleitschäden das Ausmaß der Bedrohung durch das ursprüngliche Problem übertreffen könnten, kann nur ein Sonderling sein. Daher lieber: überstürzter Ausstieg aus fossilen Energieträgern, Ächtung von Kernenergie, Verbrennungsmotor, synthetischem Treibstoff und außerstädtischem Leben. Und damit auch: Inkaufnahme eines strategischen Wettbewerbsnachteils Europas gegenüber den USA, China oder Indien. Hauptsache, man kommt als Meinungsmacher oder Politiker nicht in den Verdacht, zu den Bremsern zu gehören. So entstehen Schlagzeilen wie "Letzte Chance für das Weltklima" ("FAZ", 29.10.2021).

Doch was, wenn Übereifer blind macht? Der auch ideologisch getriebene Schlachtruf "Raus aus Kohle und Gas!" treibt Strompreise nach oben. So weit, dass in Spanien schon Bürger auf die Straße gingen. In Großbritannien schlossen energiehungrige Fabriken für Düngemittel, die für manche Bauern damit unerschwinglich wurden. Und in Österreich? Ein Jahr nach Stilllegung des letzten Kohlegroßkraftwerks ist kein Ersatz in Sicht. Allein in Niederösterreich werden 70 von 70 geplanten Windkraftanlagen von Anwohnern bekämpft. Das Klimaschutzministerium fördert inzwischen den Umstieg von Gasheizungen auf Wärmepumpen, die immer mehr Kunden von den Stromversorgern nicht mehr genehmigt bekommen: Die Netze sind überlastet.

Was also tun? Eine bisher kaum besprochene Alternative lautet: kontrollierte Verzögerung statt planloser Vollbremsung. Und lernen, mit unvermeidbaren Folgen zu leben. Menschen sind dank Technologie äußerst anpassungsfähig. Der Klimaforscher und Nobelpreisträger Klaus Hasselmann mahnte zuletzt in der "Zeit" zu Besonnenheit statt hysterischer Untergangsrhetorik. "Warum soll man sich auf eine solche Verschiebung nicht einstellen können? Das hat die Menschheit bisher auch immer gemacht." Es lohnt sich, darüber nachzudenken.

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