Echte Probleme,
falsche Antworten

Die neue Regierung steht und krempelt die Ärmel hoch. Besucht Hotspots, verspricht und vertröstet – und eiert an entscheidender Stelle mal wieder rum

von Leitartikel - Echte Probleme,
falsche Antworten © Bild: News/ Matt Observe

Großer Bahnhof in einem ohnehin schon ziemlich großen Bahnhof. Kanzler, Vizekanzler und Innenminister (!) haben für 30 Minuten eine Polizeistation besucht – am „Hotspot“ Wiener Westbahnhof, der längst hip „Bahnhofcity Wien West“ heißt. Das würde an normalen Tagen als Randnotiz durchgehen. Aber einen Tag, bevor im Ministerrat die Sicherheitsoffensive mit
4.300 zusätzlichen Plan- und Ausbildungsplanstellen eingebracht wird, darf man so einen Termin ruhig ein paar Nummern größer gestalten. Also eine Ehrenrunde durch die Bahnhofshalle, Medienspalier, ehrfürchtig gefaltete Hände. Nein, kein roter Teppich, aber ziemlich viel Tamtam. So viele Polizisten auf einem Fleck sehen die Bewohner des „Hotspots“ des 15. Bezirks normalerweise selten. Höchst selten. Ist auch logisch, schließlich ist die Polizeistation mit nur wenigen Beamten besetzt – tagsüber und nachts. „Das ist herausfordernd“,
findet der Kanzler und fragt gleich, ob es auch „ethnische Konflikte“ gibt. Sie wissen schon, Hotspot! Der Auskunft gebende Polizist kann nur von Ladendieben und hin und wieder aggressiven Personen berichten. Aber vielleicht weiß er es auch nicht so genau, schließlich ist er erst seit ein paar Wochen vor Ort.

Die Autorin dieser Zeilen könnte noch hinzufügen, dass manchmal ein paar komische Typen (Achtung, meist aus Osteuropa) herumhängen. Ein Hotspot eben. Ansonsten sind der Bahnhof und das Areal ringsherum immer tadellos sauber. Keine grindigen Ecken, keine No-go-Areas. Unspektakulär, ich weiß. Aktuell investiert hier ein schwedischer Möbelriese Millionen in einen neuen Standort. Am Hotspot. Der traut sich was. Andere Großstädte haben in solchen Gegenden ganz andere Sorgen. Nur wissen wir das offenbar nicht oder wollen es nicht wissen. Der große Bahnhof hätte also auch ein bisschen kleiner ausfallen können – und die Polizisten vor Ort einfach auf dem „kurzen Dienstweg“ das bekommen hätten können, was sie brauchen, um einen guten Job zu machen. Mehr Planstellen eben.

Was wir an anderer Stelle nicht brauchen, wissen wir seit dieser Woche auch: Eine App, die Erstklässler in spe mittels coolem Videospiel (einen Test in Papierform gibt es auch) screent, ob sie fit für die Volksschule sind. In Anbetracht der Tatsache, dass demnächst Laptops für jedermann Einzug in die Klassen halten sollen, ist eine Schulreifefeststellung via App wohl eine zukunftsweisende Stoßrichtung. Schließlich schreiben wir das Jahr 2020. Die Idee dahinter: die Vorgangsweise am Beginn von Bildungskarrieren zu vereinheitlichen und etwaigen Förderbedarf nach einheitlichen Kriterien festzustellen. Das ist nachvollziehbar. Und realitätsfremd. Und was heißt überhaupt etwaiger Förderbedarf?

Was genau wird sich im Vergleich zum Ist-Zustand ändern? Ein Kind, das derzeit nicht schulreif ist, kommt in eine Vorschule – oder wird nach einem „Vorschulplan“ unterrichtet. Oder spielt einfach ein bisschen in der Klasse. Der Lehrerin kann´man das nicht vorwerfen. Einsam und allein in einer Klasse hat sie ohnehin genug zu tun. Kompetenz- und Potenzialmessung soll es künftig auch für Drittklässler geben – und für die Eltern eine schriftliche Empfehlung für die weitere Schulkarriere. Eine „Karriere“, die hierzulande für viele Achtjährige dann eben noch ein bisschen früher in der Sackgasse endet. Eine bildungspolitische Meisterleistung? Oder lieber nochmal Nachsitzen?

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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