Problem erkannt. Es wird "kein Bundesland aufgehetzt", dafür Geld in die Hand genommen. 4,5 Milliarden Euro sollen in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert und 50.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden, kündigte ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer Montagabend an. Das Ganze wurde einen Tag später sogar mit einer "Garantie" garniert. Also "garantierte echte Wahlmöglichkeit bei der Gestaltung des Familienalltags", so die zuständige Familienministerin. Das Ganze bis 2030. Also bald. Doch bevor sich künftige Elterngenerationen entspannt zurücklehnen, muss erwähnt werden, dass es einstweilen nur eine (überraschende) Ankündigung ist. Konkrete Pläne scheint es nicht zu geben. Wer finanziert was? Die Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund und Ländern werden es zeigen. Hinzu kommt: Woher das Personal auf einem in dieser Branche leergefegten Arbeitsmarkt nehmen?
Keine Frage, das Thema ist komplex. Das Geld - auch das muss irgendwer, irgendwo erwirtschaften - wäre aber zweifelsohne gut investiert. Ebenso darf betont werden, dass mit dieser Ansage der Stellenwert von Familien mit Kindern in der Prioritätenliste mal eben ein paar Positionen nach oben gerückt ist - mehrheitlich wohl auf Druck der Wirtschaft mit Blick auf den Fachkräftemangel. Die Kanzlervision bringt das alles nicht ins Wanken: "Mein Ziel ist es, dass wir diese Lücke jetzt schließen." Jetzt, im Jahr 2023.
Es drängt sich die Frage auf, welches Gewicht dieses "Jetzt" hat. Ein Blick zurück zeigt: nicht viel. Pläne rund um die Kinderbetreuung im Land waren schon immer vor allem Erzählungen mit vielen Versprechungen und wortgewaltigen Vorhaben. Es war eben diese ÖVP, die 2004 gemeint hat, dass das Land auf "gutem Weg ist, zum familien- und kinderfreundlichsten Land der Welt zu werden". Neun Jahre später und mit ein bisschen mehr Realitätssinn in der Erzählung hieß es bei der Präsentation des "ÖVP-Familienpakets": "Wir wollen, dass Österreich das kinderfreundlichste Land in Europa wird." Viele Jahre sind seither ins Land gegangen. Getan hat sich freilich so gut wie nichts.
Keine Wahlfreiheit, keine Vereinbarkeit, keine spürbare Steigerung in Sachen Qualität, etwa bei den Öffnungszeiten. 45 Prozent der Kinder unter drei Jahren sollen 2030 an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung teilnehmen, so die Empfehlung seitens der EU. Der selbsternannte Welt- und Europameister Österreich kommt derzeit auf 29,9 Prozent. "Es darf nicht an der Kinderbetreuung scheitern, wenn Frauen arbeiten gehen wollen", hat der Kanzler spät, aber richtig erkannt. Seinem hehren Ziel, diese "Versorgungslücke" nun zu schließen, werden u. a. die 1.500 ÖVP-Bürgermeisterinnen und -Bürgermeister (von insgesamt 2.093), die letztlich für die Umsetzung zuständig sind, sicher gerne folgen.
Dass die ÖVP in Sachen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zur Abwechslung noble Zurückhaltung übt, ist übrigens klug. In Deutschland gibt es diesen Rechtsanspruch seit zehn Jahren. In der Praxis ist dieser nicht durchsetzbar; Klagen auf Schadenersatz sind selten. Aber der dadurch erzeugte Druck auf die Länder alleine zeigte Wirkung. Je nach Bundesland liegt die Betreuungsquote bei unter Dreijährigen mittlerweile zwischen 36 und 50 Prozent. Die Zahl des pädagogischen Personals erhöhte sich von rund 468.400 (2012) auf 731.000 Beschäftigte (2022). Ein Vorgeschmack auf das, was hierzulande zu erwarten ist. Ein Happy End wäre wünschenswert. Realistisch ist es nicht.
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