Aussortiert
und abgelegt

Im Schulsystem knirscht es. Schon seit jeher. Derzeit besonders und demnächst noch ein bisschen mehr.

von Leitartikel - Aussortiert
und abgelegt © Bild: Matt Observe/Auftrag News

Versagt. Mit neun Jahren. Das erste Mal aussortiert von der Leistungsgesellschaft -mit einer knappen Begründung, in einem zehnminütigen Gespräch: Nein, die Empfehlung für das Gymnasium gibt es nicht, sagt die Volksschullehrerin und senkt den Daumen nach unten. Es reicht nicht. Nicht in Mathe, nicht in Deutsch. Sport, Religion, Werken, Sachkunde -die "Einser"-Fächer sind eben nur nebensächlich, wenn es darum geht, die erste wichtige Weggabelung im Leben zu nehmen: die rechts ins Gymnasium oder die links in die Mittelschule. Rechts der Aufstieg; links der Abstieg in die "Restlschule". Eltern, die das schon einmal mitgemacht haben, wissen es: Der Weg in die Mittelschule ist (zumindest in Wien mit einem Anteil an Schülern mit nicht deutscher Umgangssprache von 74,5 Prozent) eine Einbahnstraße, auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird.

Betroffene Eltern könnten sich jetzt auch entspannt zurücklehnen, ein "Das wird schon"-Mantra aufsagen und abwarten. Und ja, ich weiß: Nicht jeder muss eine akademische Laufbahn einschlagen. Nicht jeder bringt die Voraussetzungen mit. Aber mit dem Zurücklehnen ist das so eine Sache. Das ist nämlich in der Praxis nur schwer möglich. Spätestens am Ende der vierjährigen "Wir unterrichten alle Kinder nach dem gleichen Lehrplan"-Zeit kommt das böse Erwachen: Wer an der AHS einen Vierer in Englisch hat, darf ohne Prüfung die nächste Schulhürde nehmen. Wer in der Mittelschule eine Drei "grundlegend" hat, muss beweisen, was er draufhat. Das kann man gut finden -oder eben ungerecht. Eine Prüfung für alle wäre fairer. Aber um Fairness, gar um Chancengleichheit geht es im Schulsystem nicht. Wer etwas werden will, muss liefern. Von der ersten Minute an. Das fängt dieser Tage mit den Erstklasslern in spe und dem Start für die Schuleinschreibung an -und findet vier Jahre später zwischen Weihnachtsferien, Schularbeiten, Semesterferien und der alles entscheidenden Schulnachricht seinen ersten Höhepunkt. Natürlich gibt es auch noch ein zweites Schulhalbjahr. Ebenfalls mit Schularbeiten zwischen ganz viel Ferien und noch mehr Fenstertagen. Aber eben nicht unbedingt die Chance, noch mal die Kurve zu kratzen. Denn die (begehrten) Schulplätze werden jetzt vergeben.

Damit das böse Erwachen nicht erst im zarten Alter von neun Jahren kommt, wird künftig schon ein Jahr früher "vermessen". Schüler brauchen Bewertung, hieß es, als die Kompetenzmessung, wieder verpflichtende Ziffernnoten an Volksschulen und das Sitzenbleiben ab der zweiten Schulstufe eingeführt wurde. Und: Es sei wichtig, dass sich die Eltern orientieren können. Doch was wollen wir den Eltern sagen, deren Nachwuchs in der zweiten Klasse (!) sitzenbleibt? Was soll das Kind mit dieser Botschaft anfangen? Und was heißt das für die zuständige Lehrerin, wenn ihr Schützling einen Fünfer schreibt? Einfach weiter im Stoff kann nicht die Lösung sein, wenngleich sie schon heute gerne zum Einsatz kommt. Ein System, das stolz auf eine Sitzenbleiben-Option in der Volksschule ist, hat versagt. Punkt.

Aber vielleicht hilft mir eine Imagekampagne aus der Grübelei. Die scheinen ja wieder in Mode zu kommen -etwa für pflegende Angehörige. Auch andere können ein paar aufmunternde Worte gebrauchen. Spontan fallen mir berufstätige Mütter ein -ich sage an dieser Stelle schon mal danke. Und ich verspreche: Ich werde erst wieder jammern, wenn sich die 14 Wochen Schulferien so gar nicht mit meinem (deutlich weniger gut gefüllten) Urlaubstagekonto vereinbaren lassen. Aber das ist eine andere Geschichte

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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