Armut? Haben wir hier nicht

Wenn die Zahl der Mindestsicherungsbezieher steigt, stimmt anderswo etwas in der Gesellschaft gar nicht mehr

von Julia Ortner © Bild: News/Ian Ehm

Ob bürgerliche Managerin oder linker Kreativunternehmer, beim Thema Mindestsicherung regt sich der "Leistungsträger“ in vielen von uns: Wer nicht leistet, soll nicht essen. Und was heißt Armut, ist das nicht alles relativ? Daher eine kleine Begriffserklärung abseits von spröder Statistik, die ich zu Aufklärungszwecken gern verwende: Arm ist nicht nur der Obdachlose, der nachts in Einrichtungen wie der "Gruft“ Zuflucht sucht. Wenn man in einer feuchten Wohnung leben muss, sich das Heizen nicht leisten kann, chronisch krank ist, abgetragene Kleidung nicht ersetzen kann, wenn eine kaputte Therme gleich Ausnahmezustand bedeutet - dann pflegt man keinen bescheidenen Lebensstil, dann ist man arm.

Und hier fängt das Grundproblem in der Debatte um die Reform der Mindestsicherung an, über die sich SPÖ und ÖVP nicht und nicht einigen können: Viele Entscheidungsträger begreifen nicht, was Armut bedeutet. Sie sind zu weit weg von der Lebenswelt einkommensschwacher Bürger, da helfen auch fragwürdige Selbstversuche à la "Wahnsinn, ich hab einen Monat von Mindestsicherung gelebt!“ nichts. Natürlich fragt man sich manchmal beim Anblick des Gehaltszettels: Wofür zahle ich so hohe Steuern? Die Antwort ist banal: Für Pensionen, Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, soziale Absicherung - und sozialen Frieden.

Das zweite Problem rund um die Mindestsicherung ist das sture Ausblenden der Realitäten. Wenn die Zahl der Empfänger - auch durch die Fluchtbewegung, 16 Prozent der Bezieher sind Flüchtlinge, bald werden es doppelt so viele sein - leider kontinuierlich steigt, stimmt in anderen Bereichen der Gesellschaft etwas gar nicht mehr: steigende Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, zu wenig Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge, hohe Wohnkosten, schlechte soziale Aufstiegschancen. Sozialexperten wie Martin Schenk sagen: Es wäre notwendig, politisch dort etwas zu tun, wo die vorgelagerten Systeme nicht funktionieren - also bevor Menschen in die Mindestsicherung abrutschen, aus der sie laut Statistik immer seltener herauskommen. Bevor sie Anspruch darauf erheben dürfen, müssen sie alles bis auf ein "Vermögen“ von 4189 Euro verbrauchen. Man muss erst verarmen, um vor der Armut bewahrt zu werden, auch interessant. Die Mindestsicherung, 838 Euro monatlich für Alleinstehende, die arbeitswillig sein müssen, soll Probleme abfedern, die ganz woanders liegen. Doch die Mindestsicherung kann Arbeitslosigkeit nicht auflösen. Sie ist nur das unterste Netz, damit Menschen überleben können.

An der Mindestsicherung zeigt sich auch, dass manche eine andere Gesellschaft wollen. Eine, die klar zwischen "Leistungsträgern“ und "Leistungsempfängern“ trennt. Dass die Mindestsicherung 2015 gerade 0,8 Prozent aller Sozialausgaben ausgemacht hat und trotz Anstieg nicht das größte Problem im Staat darstellt - egal; dass ohne Mindestsicherung wohl viele Menschen auf den Straßen schlafen würden - egal; dass man in einer Gesellschaft ohne soziale Absicherung mit Sicherheitspersonal hinter hohen Mauern leben müsste - vielleicht doch nicht ganz egal.

Alleine für die eigene Lebensqualität braucht man eine reformierte Mindestsicherung, wenn einen schon alles andere unberührt lässt. Man sollte die Maßnahme nicht kaputtreden, sondern vereinheitlichen und nicht nur mit Kürzungen drohen, die wenig Sinnvolles bringen. Denn die armen Menschen werden nicht verschwinden, nur weil man so tut, als gäbe es sie nicht.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: ortner.julia@news.at

Kommentare

Österreichs Amtsträger sind Korruptionsprivilegiert ,-steht so im Internationalen Korruptioswahrnehmungsindex (was für ein Wort, deshalb mein Lieblingswort) ,darum funktioniert nix ,aber schon gar nix in Österreich.Punkt!

Die Mindestsicherung ist ebenso Wirtschaftsförderung wie die Pensionszuschüsse des Staates. Die angebliche Wirtschaftspartei ÖVP hat's nur nicht gecheckt ! Ihr Sozialabbauprogramm würde die Wirtschaft empfindlich treffen.

Sylvia Kreye

Bravo für diesen gelungenen Leitartikel! Endlich mal eine Journalistin, die sich traut, die Wahrheit offen auszusprechen! Warum wird eigentlich immer nur über eine Kürzung der BMS diskutiert? Warum sollen die Probleme immer nur auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden, während die Reichen immer reicher werden?

Ohnehin ein Frechheit sondergleichen, dass Scheinasylanten hier üppigste Sozialhilfegelder erhalten, während dessen unverschuldet in Not geratene Einheimische keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten, obwohl sie zum Teil Jahrzehnte lang in das Sozialsystem einzahlten.

Seite 1 von 1