Alles auf Anfang

Österreich versucht mal wieder einen politischen Neustart. Mit einem halben Rücktritt und vollmundigen Ansagen. Ein klarer Schnitt sieht anders aus

von Leitartikel - Alles auf Anfang © Bild: News/ Matt Observe

Die anfängliche Schnappatmung in Deutschland pegelt sich schön langsam wieder ein. Jetzt, da die Erkenntnis einsickert, dass Sebastian Kurz, der junge Vorzeigekonservative aus Österreich, wohl doch eher ein "Mann ohne Moral", ein "Illusionskünstler", ein "entzaubertes Wunderkind" ist. Der Siegernimbus ist jedenfalls weg, der rosarote Blick auf den perfekt sitzenden Slim-Fit-Anzug, die geschliffene Sprache und die einprägsam gewählten Worte getrübt. Der vermeintliche Heilsbringer hat nämlich nicht geliefert. Jedenfalls seltener mit Blick auf das eigene Land. Dafür viel öfter im Hinblick auf die eigene Reputation und den eigenen Machterhalt. Aber jetzt schlagen wir ja in Österreich ein neues Kapitel auf. Jetzt, da Sebastian Kurz nicht mehr der Kanzler dieses Landes ist, auch wenn er nicht zurück-, sondern nur "einen Schritt zur Seite" getreten ist. Rückkehr von den einen nicht erwünscht und von den anderen noch nicht so richtig ausgeschlossen. Ausgang ungewiss. Auf seinem Sessel im Kanzleramt sitzt jedenfalls seit Montag dieser Woche zunächst einmal eine "untadelige Person". Das ist nicht nichts für einen Neuanfang.

Jetzt soll also das verloren gegangene Vertrauen in diesem Land aufgebaut werden, die Sacharbeit in den Vorder-und das Taktieren in den Hintergrund rücken. Und ja, dem Land dienen wollen die handelnden Personen auch wieder. Auch das ist nicht nichts für einen Neuanfang. Das klingt alles schön. Einmal mehr schön. Jedenfalls fast zu schön, um wahr zu sein. Weil so schön klang es schon einmal. Zum Beispiel damals, als das "Beste aus zwei Welten" das Licht der Welt erblickte und ein neuer Stil -so das zentrale türkise Wahlversprechen seinerzeit -Einzug halten sollte. Und das ist bekanntlich noch gar nicht so lange her. Möglichkeiten, zu zeigen, dass den vollmundigen Ansagen dieser Tage auch echte Taten folgen, gibt es jedenfalls mehr als genug. Das Transparenzgesetz und das neue Gesetz zur Sterbehilfe, zwei Großprojekte der türkis-grünen Koalition, hätten längst abgeschlossen sein sollen. Schon länger auf sich warten lässt eine weitere Reform des Parteienfinanzierungsgesetzes. Bei der Abschaffung des Amtsgeheimnisses ist die Regierung ebenfalls säumig. Und natürlich braucht es ein neues Mediengesetz, mit dem die Unsitte der Korruption per Anzeigenschaltung beendet wird. Ach ja, ein bisschen mehr Pandemie werden wir nach der ganzen politischen Aufregung demnächst wohl auch wieder zu handeln haben. Also was ist jetzt mit 3 G am Arbeitsplatz?

Zu sagen, dass die Lage ernst ist, ist das eine. Es zu zeigen, wird die weitaus schwierigere Übung. Jetzt versuchen wir also einen Erneuerungskurs mit einer sich fortan misstrauisch beäugenden türkis-grünen Regierung? Mit einem halben Rückzug von Sebastian Kurz, der auf der Ersatzbank und mit den Fäden der Macht in der Hand auf seine neuerliche Chance wartet? Mit ein bisschen weniger "Arsch" hier und nicht mehr allzu viel gnadenloser Selbstvermarktung und Showpolitik dort? Mit seinem halben Abgang ersparte Sebastian Kurz dem Land einen dritten Gang zu den Wahlurnen in nur vier Jahren. Das ist nicht nichts für einen Neuanfang. Viel ist das alles aber auch nicht.

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