Zukunftsforscher: "Wir haben
weniger freie Zeit als je zuvor"

Dienstag zum Yoga-Kurs, Mittwoch Treffen mit den Mädels im neuen Sushi-Lokal, dazwischen die Kinder zum Fußballtraining und Cheerleading-Kurs fahren. Donnerstag endlich die DIY-Herbstdeko fertig machen und das Mittagessen mit den Schwiegereltern planen. Am Wochenende dann zum Weinherbst oder auf den Berg. Dazwischen alles schön in den sozialen Netzwerken dokumentieren. Wohin führt das?

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weniger freie Zeit als je zuvor" © Bild: shutterstock

Die Österreicher bleiben in ihrer FreizeitGetriebene. Dabei bräuchten wir uns gar keinen Stress machen. Denn Freizeit haben wir genug. Die Lebenserwartung ist in den vergangenen 90 Jahren von 60 auf 80 Jahre angestiegen, parallel dazu hat sich die Wochenarbeitszeit europaweit halbiert und der jährliche Urlaubsanspruch liegt für die meisten bei fünf Wochen – noch nie hatten wir also so viel Freizeit wie heute und trotzdem gestaltet sich der Alltag in der sogenannten „Spaßgesellschaft“ furchtbar anstrengend. Wie kann das sein?

Es geht um die Definition von „Freizeit“

"Die 'Freizeitgesellschaft' gibt es nicht, das ist ein dummer und irreführender Begriff“, sagt der Freizeitforscher Peter Zellman. Obwohl heutzutage 53 Prozent unserer Lebenszeit als Freizeit gelten, handelt es sich nicht wirklich um "freie Zeit". Gemeint ist selbstbestimmte Zeit für uns selbst. „Überall mitmachen zu müssen ist ein Fehler“, sagt er. Vielmehr sollte man die richtigen Prioritäten setzen, damit das selbstbestimmte Freizeitvergnügen nicht zur reinen Pflichterfüllung wird.

Bewusst Prioritäten setzen

Schuld an daran sei auch die Wirtschaft, die uns Menschen mit einem immensen Angebot vorgaukle, was man nicht alles braucht. Allein das Freizeitangebot in Österreich ist in den vergangen 30 Jahren um das Vierfache angestiegen. Politik und Bildungsinstitutionen hätten verabsäumt den jungen Leuten diese Entwicklung bewusst zu machen“, sagt Peter Zellmann Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung.

Heute passiert keine Rebellion sondern Evolution

Während sich Papst Franziskus jüngst besorgt zeigte, dass vielen Jugendlichen die Leidenschaft fürs Leben fehle, findet Zellmann dennoch lobende Worte für die jungen Menschen, die im Sog der Digitalisierung heranwachsen. „Noch nie gab es ein solch aufgeklärtes Gesundheits- und Ökologiebewusstsein wie in dieser Generation“, sagt er.

»Heute passiert keine Rebellion sondern Evolution«

Im Vergleich zu der 1969er Generation passiere heute keine Rebellion sondern Evolution. Obwohl Fernsehen, Telefonieren, Computer spielen oder im Internet surfen die liebsten Beschäftigungen der Österreicher in ihrer Freizeit sind, würden sich die meisten in Wahrheit nach Harmonie und Freude sehen. Wie kriegt man das in unserer schnelllebigen Zeit hin? Laut Zellmann sollte man sich jeder einzelne viel öfter die folgenden zentralen Fragen stellen:

Fragen die helfen mehr „freie Zeit“ zu gewinnen

"Was ist mir wirklich wichtig? Was bereitet mir Freude? Brauche ich das wirklich? Wie eigenverantwortlich kann ich über meine freie Zeit bestimmen? Von generellen Empfehlungen wie ein Buch zu lesen ist gut, viel am Computer zu machen ist schlecht, halte er nichts. Jeder müsse selbst bestimmen, was schlussendlich sinnvoll ist.

Wie war das früher mit der Freizeit?

Aus den Fünfzigerjahren haben Forscher überliefert, dass es damals die drittliebste Freizeitaktivität war, aus dem Fenster zu schauen. Auf die Fensterbank aufgestützt, am besten mit einem Kissen unter den Ellenbogen. Heutzutage könnte man vermutlich kaum etwas Schrägeres von sich geben, als nach dem Wochenende zu berichten, man habe mal so richtig ausgiebig aus dem Fenster geguckt.

Die zweitbeliebteste Freizeitaktivität war der Verwandtenbesuch, die beliebteste bestand darin, mit den Kindern zu spielen. Letzteres taucht in den Listen unserer Tage gar nicht erst auf, obwohl sich die meisten Eltern in ihrer Freizeit sicher viel mit ihrem Kind beschäftigen.

Fazit: Wir brauchen mehr freie Zeit

Insgesamt, resümiert Peter Zellmann, gehe es den Österreichern nicht darum, mehr Freizeit zu haben: „Die freie, selbstbestimmte Zeit nur für sich – diese Zeit ist den Menschen zu wenig.“ Es sei ein Paradoxon, das über Arbeitszeitmodelle diskutiert werde, denn das sei nicht das Thema. Vielmehr sei es nicht gelungen, die sogenannte Freizeit mit möglichst viel freier Zeit für sich selbst auszustatten.