Der Weg zum Glück

Warum Zufriedenheit keine Frage der äußeren Umstände ist

Die Suche nach Glück ist zu einem Lebensinhalt geworden. Sie lässt Menschen um die Welt reisen oder ins Kloster ziehen und nährt eine ganze Ratgeber-Industrie. Dabei liegt das Glück so nah. Es ist vor allem eine Frage der inneren Haltung. Vier Geschichten vom gefundenen Glück

von Leben - Der Weg zum Glück © Bild: Matt Observe

Als Christina Gart die Rettung ruft, ahnt sie, dass es diesmal das letzte Mal sein wird. Harry würde die gemeinsame Wohnung nie wieder betreten. Nie wieder Eierspeise zum Frühstück bereiten. Nie wieder mit den Kindern in den Zoo gehen. Harry - ihr Mann, ihre große Liebe würde sterben. Neun Monate hatten sie mit dem Krebs gerungen. Fortschritte erzielt und Rückschläge kassiert. Für kurze Zeit sah es so aus, als ob sie die Krankheit besiegen könnten. Aber sie war stärker. An diesem Montag platzte in Harrys Kopf eine Metastase. Zwei Wochen kämpfte sein Körper noch gegen den Tod. Dann gab er auf. Christina hielt Harrys Hand, als er starb. Sie war 38 Jahre alt. Harry auch. Die gemeinsamen Kinder vier und sechs.

Eine glückliche Familie, eine glückliche Frau

Zweieinhalb Jahre später sitzt Christina in einem gemütlichen weiß-blauen Strandkorb inmitten ihres Gartens in Wien-Floridsdorf. Der Strandkorb war ein Geschenk von Harry. Genau wie die Holzplattform, auf der er steht und die Harry noch vom Krankenbett aus in Auftrag gegeben hatte. Gegenüber thront auf Stelzen ein buntes Holzhaus, das an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt erinnert. Harry hatte es im Internet für die Kinder erworben und eigenhändig bunt angestrichen. In diesem Garten spürt man ihn noch - den Geliebten, den Vater. Und das, was er hinterlassen hat: Glück. Eine glückliche Familie, eine glückliche Frau.

Glücklich trotz schwerer Schicksalsschläge?

Kann jemand wie Christina Gart überhaupt glücklich sein? Nein -hätte der griechische Philosoph Aristoteles vor zweieinhalbtausend Jahren gesagt. Wer schwere Schicksalsschläge erleidet, kann nicht als glücklich bezeichnet werden, auch wenn er sich geistig und durch sein Handeln um die richtige Lebenshaltung bemüht. Aber stimmt das? Warum sind dann manche Menschen, die alles zu haben scheinen, unglücklich? Und warum führen andere trotz eines Schicksalsschlags ein glückliches Leben? Seit Jahrhunderten versuchen Philosophen, Psychologen, Neurologen, Genetiker und Sozialforscher herauszufinden, welche Kräfte es sind, die uns helfen, auch schlechte Zeiten zu überstehen. Die Körper und Geist gesund halten. Was ist das Geheimnis eines glücklichen Lebens?

Eine Frage der Haltung

Eine der umfassendsten Studien, die je zu diesem Thema verfasst wurden, ist die sogenannte Grant-Studie. Es handelt sich dabei um ein einzigartiges Mammutprojekt, bei dem Psychologen und Mediziner der renommierten Harvard-Universität seit mittlerweile fast 80 Jahren die Lebensläufe von 742 Männern verfolgen, um herauszufinden, wo die Weichen für das Glück gestellt werden. Seit dem Teenageralter wurde deren Gesundheit, ihr Privatleben, ihre Berufskarrieren und Lebenszufriedenheit in regelmäßigen Abständen abgefragt. Ärztliche Atteste, vom Blutbild bis zum Gehirn-Scan, wurden studiert und in zahllosen Fragebögen mussten die Probanden Antworten auf Fragen wie diese geben: Was stört Sie gerade in Ihrem Leben? Was macht Sie glücklich? Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Eheleben? Wie oft masturbieren Sie? Noch leben die letzten Probanden, das Projekt ist nicht abgeschlossen, trotzdem zeichnen sich entscheidende Erkenntnisse ab. Die Wichtigste: Glück und Zufriedenheit sind nicht allein eine Frage der äußeren Umstände.

Eine Frage der inneren Haltung

Glück und Zufriedenheit resultieren vielmehr aus echten und tiefen Bindungen zu anderen Menschen und sie sind eine Frage der inneren Haltung. Wem es gelingt, Herr über seine Gedanken zu sein, wer seine Gefühle kennt und nicht verdrängt, wer akzeptiert, was sich nicht ändern lässt, bereit ist, neugierig nach vorne zu sehen und aus dem Gestern für das Morgen zu lernen, der hat die besten Chancen, glücklich zu werden.

Christina Gart zieht das, was sie Glück und Zufriedenheit nennt, aus ihrer Dankbarkeit für alles, was sie hat. "Ich hatte 15 Jahre lang etwas ganz Besonderes. Ich durfte mit einem großartigen Mann zusammen sein und es sind zwei wunderbare, gesunde Kinder aus dieser Beziehung hervorgegangen. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umsehe, dann ist das so viel mehr, als die meisten haben. Viele sind in ihren Beziehungen oder in ihrem Leben unglücklich. Ich war so glücklich und ich bin es bis heute. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass das Leben anders kommt, und trotzdem bin ich dankbar für das, was ich habe. Denn diese Erfahrung kann mir niemand nehmen."

Glück ist erlernbar

Diese Haltung hatte Christina nicht von Anfang an. Als sie im Jänner 2014 mit der Diagnose Hautkrebs das Todesurteil für ihren Mann bekam, fiel auch die sonst so fröhliche und quirlige Frau in ein tiefes schwarzes Loch. "Da war Schock. Da waren Panik und tiefe Verzweiflung. Ich hatte schreckliche Angst davor, Harry leiden zu sehen. Und ich konnte mir nicht vorstellen, das Leben mit den zwei kleinen Kindern allein zu gehen. Ohne ihn." Was folgte, war eine Zeit der Trauer und der Stille. Bis die beiden durch Zufall auf die sogenannte Maly-Meditation stießen. Eine Heilmeditation, die das Immunsystem stärken und die Selbstheilungskräfte aktivieren soll. Durch die Einbeziehung der Angehörigen soll sie auch eine Atmosphäre der Geborgenheit und Zuversicht schaffen. Ihr Mann, erzählt Gart, sei mithilfe dieser Meditation zwischenzeitlich wieder aufgeblüht, habe neuen Lebensmut gefasst und wieder begonnen, Sport zu betreiben.

»Es hat uns geholfen zuversichtlich nach vorne zu blicken. «

An seinem Tod konnte auch das Meditieren nichts ändern, "aber es hat uns geholfen, wieder zueinanderzufinden. So konnten wir die Schockstarre nach der Diagnose überwinden, zur Ruhe kommen und zuversichtlich nach vorne blicken." Bis heute meditiert Christina Gart täglich und zieht daraus eine gewisse Gelassenheit, "ein Urvertrauen, dass ich alles schaffe und bekomme, was ich brauche. Auch wenn es natürlich immer wieder schlechte Tage gibt, an denen mir Harry unendlich fehlt, sehe ich mich nicht als Opfer. Ich bin glücklich und davon überzeugt, dass Glück erlernbar ist."

Phönix aus der Asche

Die Fähigkeit, in Leiden und Scheitern nicht nur das Unglück zu sehen, ist ein wesentlicher Eckpfeiler auf dem Weg zu einem glücklichen und erfüllten Leben. Rück- und Schicksalsschläge sind wichtig, um Veränderungen in Gang zu setzen. Es entstehen neue Aufgaben und wir werden offener für Alternativen im Leben.

© Matt Observe Rafaela Salzer, 38 Jahre Nachdem sie keine Kinder bekommen konnte, kündigte sie ihren Job, machte sich mit einem Bademodenlabel selbstständig und lebt mit Freund und Hund am australischen Bondi Beach

Auch Rafaela Salzer hatte früher eine andere Vorstellung von einem glücklichen Leben. Kinder hätten dazugehören sollen. Oder zumindest eins. Aber so sollte es nicht kommen. Nach zwölf kraftraubenden und vergeblichen In-vitro-Fertilisationsversuchen musste die in Australien lebende Wienerin einsehen, dass sich das Glück nicht erzwingen lässt. Und aus der Enttäuschung entstand Tatendrang. "Die Tatsache, dass wir mit dem Thema Baby abschließen konnten, hat irgendwie auch Energie für Neues freigesetzt und neue Möglichkeiten aufgetan." Die 38-Jährige beschloss, ihren stressigen Konzernjob an den Nagel zu hängen. "Vorher hätte ich diesen sicheren Job mit Blick auf unseren Kinderwunsch nicht aufgeben wollen. Obwohl ich schon immer mit dem Gedanken der Selbstständigkeit geliebäugelt hatte." Der Weg war wieder frei, also widmete sich Rafaela dem, was ihr Spaß macht - australische Bademode -, und gründete gemeinsam mit ihrem Freund Beach Life Australia, ein Unternehmen, mit dem sie Bademode kleinerer und größerer Labels in Europa vertreibt.

»Heute bin ich wirklich rundum glücklich und zufrieden.«

"Heute bin ich wirklich rundum glücklich und zufrieden. Ich arbeite an einem der schönsten Orte der Welt, am Bondi Beach, bin mein eigener Chef und habe die Möglichkeit, mit den besten Bademodenmarken der Welt zusammenzuarbeiten. Auch wenn die Selbstständigkeit natürlich manchmal anstrengend ist, genieße ich unsere Unabhängigkeit und Freiheit sehr", erzählt Rafaela. Seit Kurzem komplettiert auch noch Hund Lumi das Glück der Jungunternehmer.

Glück entsteht durch Sinn

"Glück entsteht dann, wenn wir Dinge tun, die uns sinnvoll erscheinen; die wir tun, weil wir sie wichtig und richtig finden", sagt die Psychologin Tatjana Schnell, deren Forschungsgebiet die empirische Sinnforschung ist. "Das Streben nach Glück an sich ist hingegen kein guter Weg, um glücklich zu werden. Denn wer primr nach Glück strebt, wählt meist den leichteren Weg, die angenehmere Entscheidung. Das darauf folgende Wohlgefühl ist jedoch kurz und flüchtig", sagt Schnell.

© Matt Observe Markus Obleser, 52 Jahre Natürliches Essen wie in der Steinzeit veränderte sein Leben. Er wollte seinem Arbeiten Sinn geben, stieg aus dem Immobiliengeschäft aus und betreibt heute eine kleine Paläo-Greißlerei

Hätte Markus Obleser-Dietrich den leichteren und angenehmeren Weg genommen, wäre er geblieben, was er war: Ein gut vernetzter Immobilienunternehmer ohne finanzielle Sorgen. Stattdessen betreibt er seit knapp zwei Jahren nahe der Wiener Mariahilfer Straße auf 18 Quadratmetern Österreichs erste Bistro-Greißlerei mit Paläo-Produkten, also der sogenannten Steinzeitdiät.

Paläo -das ist sein Leben. Als Markus vor einigen Jahren zum ersten Mal mit dieser Ernährungsform in Berührung kam, war das für ihn wie ein Erweckungserlebnis, erzählt er. Weg war das permanente Unwohlsein, weg das schmerzhafte Sodbrennen, das ihn schon lange quälte. Innerhalb kürzester Zeit speckte Markus 15 Kilo ab und fühlte sich wie neugeboren. Dabei war alles so einfach: "Paläo ist keine Hexerei, im Gegenteil. Dem Körper wird einfach nur das zugefügt, was er braucht. Viel Gemüse, viel Fisch, Fleisch und wenig Fett." Und vor allem keine künstlichen Zusatzstoffe. Allerdings ist es nicht leicht, wirklich "cleane" Produkte zu finden, also entwickelte Markus selbst Produkte. Von eingelegten Essiggurken über Marmeladen, Müsli bis hin zu Nudeln. Und es entstand der Wunsch, diese Art des Essens, der er so viel Lebensqualität und Lebensfreude zu verdanken hatte, an andere Menschen weiterzugeben. Die Idee für ein Shop-Bistro wurde geboren.

»Ich bin meiner Bestimmung gefolgt. Auch wenn es ökonomisch lachhaft ist im Vergleich zu dem, was ich vorher hatte, bin ich über die Entscheidung sehr glücklich.«

Seinen Job als Partner in einer Immobilienfirma hängte Markus dafür an den Nagel und eröffnete Von Walden, wo er auch Frischgekochtes anbietet und Workshops veranstaltet. "Ich bin meiner Bestimmung gefolgt. Auch wenn es ökonomisch lachhaft ist im Vergleich zu dem, was ich vorher hatte, bin ich über die Entscheidung sehr glücklich. Ich lebe eine unendliche Liebe zu diesem Ernährungsthema und bekomme so viel positives, dankbares Feedback von den Kunden. Oft arbeite ich sieben Tage in der Woche, aber ich merke es nicht mal, weil ich liebe, was ich tue. Weil es Sinn für mich macht. In der Früh freue ich mich schon auf meinen Laden und auf den ersten Kaffee. Mein Leben hat seit dieser Entscheidung sehr viel mehr Leichtigkeit bekommen."

Was bei Markus leicht klingt, ist für viele die schwerste Übung ihres Lebens - manche schaffen sie nie: erkennen, was einem wichtig ist, und danach handeln. Sinn finden in dem, was man tut, egal, was andere dazu sagen.

Angst vor Veränderung

Oft ist es die Angst vor der Veränderung, vor der Konsequenz, die uns an Situationen festhalten lässt, die uns eigentlich unglücklich machen. An einer lieblosen Ehe oder einem stumpfsinnigen Job.

»Ich hätte gern gewusst, dass es keine Veränderung gibt, ohne dass man dafür mit Angst bezahlen muss, und wie wunderbar glücklich und frei es macht, Dinge zu tun, vor denen man sich fürchtet.«

Die Kinderbuchautorin Cornelia Funke fand dazu schöne Worte: "Ich hätte mit 16 gern gewusst, dass das Einzige, was zwischen mir und dem Leben steht, die eigene Angst ist, und dass man sie nicht füttern darf, indem man ihr nachgibt. Ich hätte gern gewusst, dass es keine Veränderung gibt, ohne dass man dafür mit Angst bezahlen muss, und wie wunderbar glücklich und frei es macht, Dinge zu tun, vor denen man sich fürchtet."

© Matt Observe Familie Kuntner Carmen und Markus Kuntner haben zwei kranke Kinder. Trotzdem sind sie dankbar und vielleicht glücklicher als andere, weil sie lieben, was sie haben, und wissen, dass nichts selbstverständlich ist

Eine Situation, vor der sich alle Eltern wohl am meisten fürchten, kennen Carmen und Markus Kuntner: zu erfahren, dass das eigene Kind krank ist. Das Lehrerehepaar hat zwei Kinder und bei beiden wurden in der Schwangerschaft schwerste Fehlbildungen festgestellt. Zweimal standen sie vor der Entscheidung, ob ihr Kind leben oder sterben soll. Zweimal rieten ihnen die Ärzte, sich doch auf eine neue Schwangerschaft, ein gesundes Baby zu konzentrieren. Und zweimal entschieden sie sich, das in ihren Augen einzig Richtige zu tun.

Glück durch Dankbarkeit

Lea, die ältere, kam mit einem offenen Bauch zur Welt. Viel zu früh musste sie zweieinhalb Monate vor ihrem errechneten Geburtstermin per Kaiserschnitt geholt werden, nachdem ihr Herzschlag immer schwächer geworden war. Eine Woche lang schwebte das winzige Wesen zwischen Leben und Tod. Hirnblutung, Nierenversagen - täglich wurden die Eltern mit neuen Hiobsbotschaften konfrontiert und die Ärzte waren kurz davor, die lebenserhaltenden Geräte abzustellen. Aber Carmen weigerte sich, ihr Kind aufzugeben. Und sie sollte recht behalten. Nach vier Monaten im Wiener Allgemeinen Krankenhaus durften die Kuntners Lea zum ersten Mal mit nach Hause nehmen. Heute ist Lea fünf Jahre alt und bis auf eine Spastik im Fuß und eine geringe Entwicklungsverzögerung - beides Nachwirkungen der Hirnlutung - ist ihr der schwere Start ins Leben kaum anzumerken. Ein Jahr nach Leas Geburt war Carmen wieder schwanger - mit Jonas. Es war derselbe Arzt, der schon Leas offenen Bauch diagnostiziert hatte und den Eltern diesmal mitteilen musste, dass auch ihr Sohn krank sein würde: hypoplastisches Linksherzsyndrom, einer der schwerstmöglichen und nicht heilbaren Herzfehler. Und wieder sagten die Eltern Ja zu ihrem Kind.

Was wäre, wenn

Jonas ist heute drei Jahre alt. Drei große Operationen am offenen Herzen musste er bereits über sich ergehen lassen. Die Kinderintensivstation des Wiener AKH kennen die Kuntners mittlerweile in- und auswendig. Genauso wie das ohnmächtige Bangen während jeder Operation. Bei der letzten wurde bei Jonas vermutlich ein Nerv verletzt, seitdem kann er seinen Arm kaum noch bewegen. Aber so eine Kleinigkeit kann seine Eltern nicht mehr schrecken. Sie wissen, dass sie Glück haben. Glück, dass beide Kinder leben. Glück, dass es ihnen so gut geht. Und auch Glück, dass es Carmen und Markus geschafft haben, all diese Herausforderungen als Paar zu meistern.

» Ich frage nie: Was wäre, wenn. Stattdessen weiß ich zu schätzen, was ich habe, weil ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist.«

Dass andere sie oft fragen, ob man als Mutter von zwei kranken Kindern überhaupt glücklich sein kann, ärgert Carmen. "Ich tue mir nicht leid. Im Gegenteil. Ich empfinde eine tiefe innere Zufriedenheit und Dankbarkeit für das Leben, das wir führen. Ich liebe meine Kinder, genau so, wie sie sind. Ich frage nie: Was wäre, wenn. Stattdessen weiß ich zu schätzen, was ich habe, weil ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist", sagt Carmen.

"Was immer auch geschieht. An uns liegt es, Glück oder Unglück darin zu sehen", sagte der Jesuitenmönch Anthony de Mello. Carmen und Markus haben sich entschieden. Sie sehen das Glück.