Landwirtschaft: Warum Gentechnik nicht automatisch schlecht ist

Warum "Bio" nicht automatisch besser ist und wir mit Verzicht auf Gentechnik, Kunstdünger und Glyphosat die Welt womöglich gar nicht besser machen, darüber schrieb der Agrarwissenschaftler Timo Küntzle ein Buch, das zahlreichen Narrativen widerspricht.

von Weizenfeld © Bild: wundervisuals

Eigentlich ist es ganz einfach: Gentechnik in Lebensmitteln ist gefährlich. Kunstdünger in der Landwirtschaft vergiftet Umwelt, Essen und uns selbst. Pestizide wie Glyphosat schaden uns mehr, als sie helfen. Und überhaupt ist Nahrung mit Auszeichnungen wie "Bio" oder "Ohne Gentechnik" konventionell hergestellten Produkten überlegen: Sie schont Klima, Umwelt und Menschen. Klingt logisch, oder? Schließlich liest, hört und sieht man all das täglich - zum Beispiel - in Presseaussendungen von Greenpeace, in der Zeitung oder im Fernsehen.

Wenn wir uns nur nicht irren. Da gibt's nämlich einen, der viele der gängigsten Erzählungen über unser Essen gerade fundamental in Frage stellt. Dieser eine ist Timo Küntzle. Der 47-Jährige ist Bauer, Agrarwissenschaftler und Journalist. Als solchen schmerzt es ihn schon seit einigen Jahren, wenn Kollegen ein romantisiertes und realitätsfernes Bild der Landwirtschaft zeichnen. So viel kann er während der Erntesaison gar nicht am elterlichen Hof mit dem Traktor fahren, um all das Kopfschütteln darüber wieder abzuarbeiten. Also hat er sich hingesetzt und ein Buch geschrieben.

Timo Küntzle
© Ricardo Herrgott/News WISSEN STATT GLAUBEN. Küntzle stützt seine Positionen auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die Medien, Bio- und Anti-Gentechnik-Lobby ausblenden

Okay, manchmal war er dafür auch unterwegs. Für Recherchen etwa, die sich nicht über Telefon oder Internet abwickeln ließen. Fast zwei Jahre hat er dafür gebraucht. Und jetzt, da das Ergebnis mit dem Titel "Land-Verstand: Was wir über unser Essen wirklich wissen sollten" vorliegt, geht es eigentlich erst richtig los.

Das Buch "Landverstand: Was wir über unser Essen wirklich wissen sollten" von Timo Küntzle können Sie hier erwerben.*

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Wissenschaft als Maßstab

Küntzle legt sich mit seinen Thesen nämlich mit allen an, die "Bio"-Produktion von Lebensmitteln für die Lösung aller Probleme halten. Oder mit jenen, die glauben, Gentechnik in der Landwirtschaft sei verzichtbar und nur von sinistren Agrarkonzernen gefördertes Teufelszeug. Wobei: "These" ist eindeutig der falsche Ausdruck. Küntzles Recherchen beruhen nicht auf Glauben, sondern auf Fakten und Forschung.

Kontrovers sind seine Ausführungen trotzdem. Zumindest dann, wenn man sie dem Mainstream der veröffentlichten Meinung gegenüberstellt. Doch gerade das macht Küntzles Positionen insbesondere für jene Menschen interessant, die gerne einmal auch Dinge hören wollen, die eben nicht alle sagen. Zum Beispiel?

Erst vergangenen Woche feierte die "Kronen Zeitung" in einem Beitrag 25 Jahre "Gentechnik-Volksbegehren", für das es Global 2000 und der Zeitung einst gelang, 1,2 Millionen Menschen "gegen die ,Frankenstein'-Verfahren zu mobilisieren".

Küntzle hingegen sagt: "Pfeifen Sie auf 'Ohne Gentechnik'-Produkte. Richtig gemacht führt Gentechnik zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft mit reduziertem Einsatz von Pestiziden, Dünger und Land." Die wissenschaftlichen Quellen für seine im Ton stets freundlichen, in der Sache aber konsequenten Äußerungen liefert er im Buch gleich mit.

Blick hinter die Fassade

Dabei will der auf einem Bauernhof in der Nähe von Karlsruhe Aufgewachsene gar kein Provokateur zwecks der Provokation sein. Was er will, das ist, zum Nachdenken anzuregen und seinem Publikum einen Blick hinter die Fassaden von Bio-Industrie, Medien und NGO-Kampagnen ermöglichen. So weiß bisher wohl kaum jemand, dass weltweit mehrere Tausend Pflanzensorten zugelassen sind, die auf genetischen Mutationen beruhen, die durch Radioaktivität oder chemischer Behandlungen hervorgerufen wurden. Und zwecks Ausnahmeregelung als "Bio" oder "Ohne Gentechnik" verkauft werden dürfen. Und dass das niemand bemerkt hat, weil es niemandem schadet. Wissenschaftlich bestätigt.

Preisträger gegen Greenpeace

Im Lauf der Recherche sind dem Gelegenheits-Mähdrescher-Fahrer noch weitere Merkwürdigkeiten untergekommen. Bevor er sie aufschrieb, sortierte er sie gedanklich während der Arbeit auf dem - konventionell betrieben - elterlichen Hof in Baden-Würtenberg.

Etwa den Widerspruch, dass Gentechnik in der Landwirtschaft, medial und von NGOs befeuert, geächtet ist, gleichzeitig aber 159 Nobelpreisträger einen offenen Brief an Greenpeace schrieben und der Organisation vorhielten, dass deren Fundamentalopposition gegen diese Technologie als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gesehen werden könne. Dies deshalb, weil gentechnisch veränderte Organismen nach Erkenntnissen der Wissenschaft nicht nur sicher, sondern der Schlüssel zur Ernährung einer immer weiter wachsenden Weltbevölkerung seien.

Küntzle, der sich selbst als Umweltschützer und Verfechter möglichst nachhaltiger Landwirtschaft sieht ("Das bin ich meiner kleinen Tochter schuldig"), wunderte sich deshalb zuletzt über eine Sache immer wieder. Nämlich, dass es nicht selten dieselben Personen sind, die im Umgang mit der Corona-Pandemie - zu Recht - Wissenschaftlichkeit einfordern, eben diese Wissenschaftlichkeit bei der Beurteilung von und bei Erzählungen über Landwirtschaft teils völlig aussparen. Beispiele hierfür gäbe es (fast) wie Sand am Meer. Oder eben Kartoffeln auf dem Acker. Einige davon überraschen.

Traktor versprüht Pestizide
© iStockphoto.com/CactuSoup BESSER ALS IHR RUF. Pestizide sind öffentlich verpönt, sichern laut Forschung jedoch die Ernährung von Milliarden Menschen und schützen vor noch viel schädlicheren Pilzgiften

Die Sache mit den Bienen

Zu sehen ist das vor allem beim Reizthema Pestizide. Glyphosat, das bekannteste von ihnen, ist offenbar deutlich besser als sein Ruf. Koffein, so die Wissenschaft, sei überhaupt 13 Mal giftiger. Ganzheitlich hätten Pestizide übrigens deutlich mehr Leben gerettet als gekostet. Sie schützen Ernten und damit Menschen vor noch viel gefährlichen Pilzgiften genauso wie den Boden vor Erosion.

Auch das Bienensterben sei differenzierter als in Schlagzeilen zu betrachten. Tatsächlich geht die Zahl der Wildbienen nämlich weltweit zurück. Honigbienen hingegen bevölkern die Erde aktuell so dicht wie nie zuvor. Und dass ausgerechnet Biobauern ihre "gesunden" Feldfrüchte mit Schwermetallen wie Kupfer vor Schädlingsbefall schützen, überrascht Sie, liebe Leserinnen und Leser, vermutlich dann auch nicht mehr.