Österreich, das
Land der Titel

Das Gesetz kennt 1.500 Titel. Doch nicht alle wurden legal erworben

Kein Politiker braucht einen akademischen Grad. Doch wer sich einmal einen Titel zulegt, muss auf Dauer mit ihm leben - denn einmal erworben, wird man ihn nie wieder los.

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PLAGIATE - Österreich, das
Land der Titel

Es ist mühsam. Wer bereits an seiner Diplomarbeit oder Dissertation gearbeitet hat, weiß, was es bedeutet, Stunden, Tage, Wochen, Monate oder auch Jahre in die Fertigstellung einer wissenschaftlichen Arbeit zu investieren. Fast immer sind leere Kilometer dabei - und in vielen Fällen wird die Arbeit niemals fertig.

Doch es geht auch anders. Zwei bis drei Tage dauert das Verfassen einer Dissertation, schätzt der Medienwissenschaftler Stefan Weber. Nämlich dann, wenn man (große) Teile des Konvoluts einfach abschreibt: "Das gängige Modell ist, eine ältere Dissertation aus einem anderen Land als Vorlage zu nehmen."

»Der Imageknick ist da, und den bekommt man nur schwer wieder weg«

Diese Vorgehensweise kann freilich Konsequenzen haben. Gerade eben hat die Universität Graz dem Landesrat Christian Buchmann seinen Doktortitel wegen eines nachgewiesenen Plagiats aberkannt. Er firmiert nun nur noch als Magister, konnte aber immerhin seinen Sitz in der steirischen Landesregierung vorerst behalten. Und das, obwohl der Wert von Titeln von den Politikern deutlich überschätzt werde, so Politikberater Thomas Hofer. Aber auch das sei kein Freibrief für Buchmann: "Der Imageknick ist da, und den bekommt man nur schwer wieder weg."

Schlampige und Betrüger

Dass solche Fälle wie der von Buchmann überhaupt an die Öffentlichkeit kommen, ist Weber zu verdanken. Er hat sich bereits 2002 auf die Überprüfung von universitären Schriften spezialisiert - und steht in Österreich damit ziemlich alleine da (siehe Kasten Seite 35). Dabei gebe es genügend zu tun: "Ich gehe davon aus, dass bei den in Österreich veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten Plagiate in einem hohen einstelligen Wert dabei sind." Das sind dann die Arbeiten, deren Überprüfung tatsächlich zum Verlust eines akademischen Grades führen würde: "Man muss dabei aber natürlich zwischen Schlampigen und Betrügern unterscheiden: Eine vergessene Fußnote allein ist noch kein Plagiat."

Wenn solche Fälschungen auffliegen, wird es für alle, die in der Öffentlichkeit stehen, äußerst gefährlich. Ganz besonders für Politiker. So kam Webers Karriere in der Plagiatsforschung mit der Überprüfung der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg erst so richtig in Schwung: Der damalige deutsche Verteidigungsminister trat nach Verlust seines Titels zurück. Bei EU-Kommissar Johannes Hahn (dem früheren Wissenschaftsminister) hatte der Medienwissenschaftler weniger Erfolg. Die Universität Wien entschied trotz Plagiatgutachtens gegen eine Aberkennung: An den damaligen Standards gemessen, sei die Arbeit in Ordnung, so die Begründung.

Der Gesamtverlierer in solchen Fällen sei "das Image der Politik", sagt Politologe Peter Filzmaier. Auch weil bei Volksvertretern die Redlichkeit als Tugend "ohnehin nicht an erster Stelle" angesiedelt sei, so Hofer. Dabei brauchen Politiker gar keine Titel: "Ganz im Gegenteil: Sie sollen ja berufsbezogen einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, lauter Akademiker wären da gar nicht repräsentativ", sagt Filzmaier. Lediglich beim Justizminister mache ein Studium der Rechtswissenschaften tatsächlich Sinn.

»Titel werden überschätzt«

Im Parlament funktioniert dieses Prinzip: 97 der 183 Abgeordneten kommen mit ihren Vor- und Nachnamen aus, darunter auch die Erste Nationalratspräsidentin Doris Bures. Auf Regierungsebene sieht es freilich anders aus: Lediglich Sozialminister Alois Stöger und Außenminister Sebastian Kurz sind (noch) titellos. Beide haben allerdings eine studentische Vergangenheit: Stöger verweist auf einen Studienabschluss der sozialen Praxis an der Marc Bloch Universität (ohne Titel) und Kurz hat sein 2005 begonnenes Jus-Studium aufgrund seiner politischen Ämter unterbrochen. Geht es nach Hofer, müssen die zwei daran auch nichts ändern: "Titel werden überschätzt. Immerhin hatten wir mit Werner Faymann einen Bundeskanzler ohne Titel, der sich sieben Jahre lang gehalten hat."

Doch auch in den Bundesländern überwiegt die Zahl der Akademiker in den Landesregierungen. Im Schnitt haben lediglich zwei Landesräte keinen Titel - darunter allerdings mit Hans Niessl, Herbert Schützenhöfer und Günther Platter gleich drei Landeshauptmänner. "Man hat mit Titel nicht mehr Chancen als ohne Titel", sagt Hofer: "Und doch ist es etwas speziell Österreichisches, selbst auf Wahlplakaten den Titel dem Namen hinzuzufügen."

Nichts aus dem Ausland

Zudem bleibt es meist nicht bei den akademisch erworbenen Graden. Insgesamt 1.500 Titel sind in Österreich gesetzlich verankert - zu den 900 bisher bekannten sind soeben die Titel aller 15 Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Landestitel dazu gekommen. "Ein Titel ist im Prinzip eine Kurzformel für die Qualifikation", sagt Heinz Kasparovsky, Autor des bereits in fünfter Auflage erschienenen Buches "Titel in Österreich". Dies funktioniere allerdings nur, solange der Titel eine gewisse Bekanntheit habe: "Im Ausland erworbene Titel werden in Österreich wenig Aussagekraft haben."

Doch auch unter den hierzulande üblichen Bezeichnungen findet sich manch Kurioses und Amüsantes (siehe Kasten auf der nächsten Seite). Berufstitel wie Ministerialrat, Professor oder Kammersänger zu kennen, gehört hingegen fast schon zur Allgemeinbildung. Dennoch gebe es ein weit verbreitetes Missverständnis, alle Titel betreffend, so Kasparovsky: "Der Titel muss nicht geführt werden." Das würden alle, die einen solchen haben, ausschließlich freiwillig machen. Mit ein paar Ausnahmen: "Das Gesetz sieht vor, dass etwa Physiotherapeuten in der Berufsausübung nach außen hin erkennbar sein müssen."

Grauzone bei Zitaten

Trotzdem nutzt die Mehrzahl der Österreicher ihre hart erworbenen Titel auch im Alltag. Andere wie Bundeskanzler Christian Kern und der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser verzichten im politischen Leben, obwohl sie durchaus stolz darauf sein könnten. Immerhin hat bei beiden eine Überprüfung durch den Medienwissenschaftler Weber ergeben, dass sie bei Magisterarbeit (Kern) und Dissertation (Kaiser) korrekt gearbeitet haben.

Dazu reicht es laut dem Experten aus, dass die Zitate anderer Quellen korrekt wiedergegeben werden: "Nicht in Ordnung ist es, den ersten Satz zu zitieren und dann seitenweise einfach abzuschreiben." Natürlich gebe es eine Grauzone zwischen Fehlern und einem Plagiat: "Aber Zitierregeln haben immer schon gegolten." Freilich ist es auch möglich, dass ein Betrug einfach nicht bemerkt wird. So müssen für eine Überprüfung die in Frage kommenden Arbeiten gescannt oder in Buchform vorliegen. "Wer nicht erwischt werden will, müsste also seine eigene Arbeit gleich nach der Fertigstellung sperren lassen oder die gebundene Variante über Jahre hinweg immer wieder selbst ausleihen." Prominenten wird dieser Tipp allerdings nicht wirklich helfen, wurde doch bereits vorausschauend eine Vielzahl von Diplomarbeiten und Dissertationen digitalisiert.

Dazu kommt, dass es nicht machbar ist, sich im Nachhinein von den eigenen - oder eben abgeschriebenen - Texten und dem dazugehörigen akademischen Grad zu distanzieren. "Es ist unmöglich, auf einen einmal verliehenen Titel zu verzichten", sagt Weber. Wer bei seiner Diplomoder Doktorarbeit mehr als nur getrickst hat, sollte auf eine öffentliche Karriere also besser verzichten. "Die Sensibilität müsste aufgrund der bekannten Fälle eigentlich steigen", sagt Hofer: "Vor allem Politiker in spe passen jetzt sicher besser auf." Zumindest setzen sie sich hoffentlich stärker mit den geltenden Regeln für wissenschaftliches Arbeiten auseinander. Das ist zwar mühsam, zahlt sich aber auf lange Sicht karrieretechnisch aus.

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