Die kalkulierte Kurzschlusshandlung

Im Vorfeld des ÖVP-Parteitags versuchte Sebastian Kurz, dem Kanzler die Show zu stehlen. Das ist ihm mit Hilfe von Medien gelungen. Falls diese künftig nicht mehr mitspielen, bleibt ihm als Verstärker ein Geschenk der Partei: Millionen Follower auf Social-Media-Kanälen.

von Medien & Menschen - Die kalkulierte Kurzschlusshandlung © Bild: Gleissfoto

Alles Kurz oder was? Letztlich schon. Obwohl er wählerisch war. Sonntag ein vierseitiges Interview von Conny Bischofberger in der "Krone", Mittwoch ein halbstündiges Gespräch mit Gerhard Jelinek auf ServusTV. Dazwischen der Rücktritt von Elisabeth Köstinger, der Margarete Schramböcks Abgang beschleunigt hat. Wer diese Dramaturgie für Zufall hält, der glaubt auch immer noch, dass Sebastian Kurz "die Balkanroute geschlossen" habe, sich die Vorwürfe gegen ihn "als haltlos herausgestellt" hätten und "die gesundheitlichen Folgen der Pandemie überstanden" seien. Doch das Licht am Ende des Tunnels waren in diesem Fall die Scheinwerfer auf dem ÖVP-Parteitag. Der Ex-Kanzler versuchte, seinem Nachfolger schon im Vorfeld die Show zu stehlen. Das ist ihm gelungen.

Kurz erhielt mindestens so viel Medienaufmerksamkeit wie Karl Nehammer, bis er dann auf der Bühne in den Schatten gestellt wurde - von Wolfgang Schüssel. Der war einst Kanzler, als sein deutscher Kollege Gerhard Schröder meinte: "Zum Regieren brauche ich 'Bild','BamS' und Glotze." Doch Kurz braucht nicht einmal mehr zu regieren, um per "Krone" und ServusTV wieder ins Rampenlicht zu treten. Denn zahlreiche andere Tagesmedien spielten mit. Die Frage nach seiner Rolle auf dem Parteitag ließ sie wochenlang ähnlich umfangreich orakeln wie zu Rede und Wahlergebnis von Nehammer. Die Antwort darauf gaben schließlich nicht ganz deckungsgleiche Wahrnehmungen: Was für "Die Presse" Standing Ovations waren, wirkte für die "Krone" nach "eher flauem Applaus". Zumindest der Medienspuk um die Phase Kurz -für eine Ära war sie nicht lang genug -ist also nicht vorbei. Sender wie Blätter prügeln ihn und helfen ihm. Wie einst Jörg Haider. Der Ex-Wunderknabe bringt auch ohne öffentliche Funktion Quote. Dadurch bleibt er ungeachtet aller Kritik größer, als er ist. Die vierte Gewalt hinterfragt zu wenig ihre zwiespältige Rolle bei seinem Aufstieg und Fall. Doch sie hat es zumindest selbst in der Hand, wie viel Raum sie dem Absteiger künftig gibt.

Kurz ist aber nicht angewiesen auf herkömmliche Medien, um wieder in den öffentlichen Ring zu treten. Ihm folgen 990.000 Nutzer auf Facebook, 480.000 auf Twitter, 340.000 auf Instagram und 120.000 auf TikTok. Die ÖVP hat ihm diese Accounts geschenkt, deren Aufbaukosten nur vermutet werden können. Sie lassen sich leider nicht nachweisen, weil es in einer Phase geschah, als die Plattformen das Sponsoring von politischen Postings noch nicht auswiesen. Allein zwischen Februar und Oktober 2016 hat Kurz auf Facebook 230.000 Fans gewonnen. Zum Vergleich: Im steirischen Landtagswahlkampf 2019 haben, damals schon im FB-Werbebericht veröffentlicht, die Grünen für ihre Spitzenkandidatin Sandra Krautwaschl am meisten für dieses Netzwerk ausgegeben -mehr als 100.000 Euro. Sie hat aber immer noch weniger als 10.000 Follower auf Facebook. Das lässt die Dimension des Aufwands für Kurz erahnen.

Die FPÖ hat Heinz-Christian Straches Account, der ähnlich stark war wie jener von Kurz, deaktiviert. Ein logischer Schritt anlässlich einer Trennung im Streit. Auch für die Volkspartei sind die Social-Media- Auftritte ihres Ex-Chefs nichts mehr wert. Aus dieser Perspektive ist die Weitergabe eine nette Geste an einen, der sich zumindest offi ziell in Frieden mit den Seinen zurückzieht. Doch für ihn bedeuten diese Accounts einen enormen Gewinn. Er kann damit immer noch Millionen Menschen erreichen. Nicht von ungefähr gelten Social Media schon als fünfte Gewalt. Der auf Facebook zumindest bis 2023 gesperrte und von Twitter bis zur allfälligen Übernahme durch Elon Musk verbannte Donald Trump ist ein negatives Musterbeispiel dafür.

Wenn eine Firma ihrem Chef zum Abschied den Dienstwagen überlässt, muss er dieses Geschenk versteuern. Es gibt also auch abseits laufender Ermittlungen und diesseits manch jenseitiger Rückkehr-Wunschträume noch sehr konkrete Themen zur quotentreibenden Fortsetzung von: Alles Kurz oder was?