Zwei Jungstars
brechen Tabus

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Sebastian Kurz wollen die EU-Politik aufmischen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz wird am Freitag in Paris mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron über die Zukunft der Europäischen Union sprechen. Beide Politiker haben 2017 angekündigt, die EU reformieren zu wollen. Ähnliche Ansichten vertreten sie dabei in Sicherheits- und Migrationsfragen, in anderen Bereichen zeigen sich deutliche Unterschiede.

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Kurz bei Macron - Zwei Jungstars
brechen Tabus

Beide wollten ein effizienteres Europa, doch nehme Kurz eine defensive Haltung ein und möchte "die Subsidiarität schützen", erläuterte Florent Marciacq der Forscher am Österreichisch-Französischen Zentrum für Annäherung in Europa (ÖFZ) in Wien. "Macron will mehr Europa, mit weniger Beteiligten. Er treibt voran und engagiert sich. Er versucht nicht zu schützen, was er hat", sagte Marciacq in Anspielung auf den ÖVP-Chef. Dieser wolle in jenen Fragen, bei denen Europa derzeit "nicht gut funktioniert", die Nationalstaaten stärken.

Unterschiede im Finanzbereich

Besonders deutlich werden die Unterschiede im Finanzbereich. "Kurz war nicht sehr begeistert vom Budget für die Eurozone und dem Euro-Finanzminister", sagte Marciaq mit Blick auf Macrons wirtschaftspolitische Pläne. Dagegen seien sie etwa beim Bürokratieabbau oder der Verkleinerung der EU-Kommission einig, "komplementär" seien ihre Sichtweisen auch beim Thema Türkei-Beitritt.

»Ohne Deutschland wird es nicht gehen«

Kurz habe sich Paris als erste bilaterale Reisedestination ausgesucht, um zu zeigen, wie sehr er sich für Europa interessiere. "Das Zentrum für die Diskussion über die Zukunft Europas liegt in Frankreich", sagte Marciacq. Beide Politiker seien "junge Leader", was eine Verständigung auf persönlicher Ebene erleichtern könnte. "Ohne Deutschland wird es nicht gehen", fügte er hinzu.

»Macron ist ein Präsident, der keinen Dialog ablehnt. Sein Stil ist es, mit allen zu reden«

Als Gutheißen des umstrittenen Bündnisses mit der rechtspopulistischen FPÖ dürfe Macrons Empfang für Kurz aber nicht verstanden werden. "Macron ist ein Präsident, der keinen Dialog ablehnt. Sein Stil ist es, mit allen zu reden und ihnen das Gefühl zu geben, dass er sie alle priorisiert und sie wichtig sind", betonte Marciacq.

Der Experte glaubt auch, dass Macron einen Ausgleich mit den Visegrad-Staaten in der Flüchtlingsfrage versuchen könnte. Zwar sei er bei diesem Thema näher an der Position der deutschen Kanzlerin Angela Merkel als andere, "lässt aber die Tür offen" für die eine Quotenverteilung strikt ablehnenden mittelosteuropäischen Staaten. "Er ist nicht gegen Quoten. Seine Botschaft ist: Jeder muss beitragen."

Man bricht ein Tabu, das nicht sehr konstruktiv war

Dass nun auch in Österreich eine rechtspopulistische Partei an der Macht ist, löse in der EU "eine Reflexion aus, wie man Mitgliedsstaaten, die anders denken, inkludieren kann", sagte Marciacq. Bisher habe man dies verabsäumt. "Man bricht ein Tabu, das nicht sehr konstruktiv war."

Wie steht Frankreich zum "Brexit"?

Österreich solle sich gegenüber Frankreich vor allem um die östliche Partnerschaft sowie die Erweiterungspolitik auf dem Westbalkan bemühen, betont der Experte. "Es darf kein Vakuum am Westbalkan geben. Das wird in Frankreich immer weniger beachtet."

Beim Brexit verhält sich Frankreich "ziemlich konstruktiv", sagte Marciacq. Es nehme eine "Mitteposition" ein, weil es auch die Interessen der vielen Franzosen in London berücksichtigen müsse. Ein Problem werde sicher der Einnahmeausfall durch den Austritt des Nettozahlers Großbritanniens werde. Politisch könnte der Brexit dazu führen, dass die EU stärker geeint wird.

"Ohne Großbritannien ist die EU viel homogener und es wird leichter sein, einen Konsens zu finden", verwies der Experte auf die vielen Ausnahmen ("Opt outs") für die Briten. Vor allem habe der Brexit gezeigt, dass es problematisch sei, "einem Land viele Opt outs zu geben, nur damit es bleibt". Daher könnte bei den EU-27 die Bereitschaft sinken, Ausnahmen für einzelne Mitglieder zuzulassen.

Zur Person

Politikwissenschafter Marciacq ist stellvertretender Generalsekretär des Österreichisch-Französischen Zentrums für Annäherung in Europa. Der Think Tank mit dem Status einer internationalen Organisation geht auf eine Initiative des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (SPÖ) und seines französischen Amtskollegen und späteren Präsidenten Jacques Chirac zurück. Das Zentrum feiert heuer sein 40-jähriges Gründungsjubiläum.

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