Kurz und Kogler:
Ein seltsames Paar

Wahlsieger, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Sebastian Kurz und Werner Kogler. Doch sollten sie gemeinsam regieren, brauchen sie auch Berührungspunkte. Und die gibt es.

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Koalition - Kurz und Kogler:
Ein seltsames Paar

WERDEGANG

Frühstart in die Politik

Werner Kogler war schon Politiker mit einem Gemeinderatsmandat in Graz, da krabbelte Sebastian Kurz noch in seinem Meidlinger und Waldviertler Kinderzimmern herum. Ein Altersunterschied von rund 25 Jahren trennt auf den ersten Blick, doch die beiden Gewinner der Nationalratswahl vergangenen Sonntag haben auch etwas gemeinsam. Nämlich: (fast) ein ganzes Berufsleben in der Politik. Sebastian Kurz (Jahrgang 1986) erzählt gerne, dass er als Gymnasiast bei der ÖVP Meidling vorstellig geworden ist, weil er mitarbeiten wollte - und auf gut Wienerisch abgeschasselt wurde. Er fand Zugang bei den damals noch Schwarzen in der Inneren Stadt, trat der Jungen ÖVP bei, übernahm deren Führung und richtete sich die früher belächelte Teilorganisation nach seinen Vorstellungen her. Heute ist das eine schlagkräftige Truppe, deren Mitglieder von Kurz an Schaltstellen der Politik platziert wurden. Seine Blitzkarriere - vom Wiener Gemeinderat über das Integrationsstaatssekretariat ins Außenministerium an die ÖVP-Spitze und ins Kanzleramt - verdankt er nicht nur politischem Talent, Strategie und sozialer Intelligenz, sondern auch dieser Hausmacht.

Grüner der ersten Stunde

Werner Kogler (geboren 1961 in Hartberg) hat die Partei, die zum ihm passt, selbst mitbegründet. 1981 bastelte er mit Gleichgesinnten die Grüne Alternative Liste Graz, kurz drauf jene für die Steiermark. 1985 wurde er in den Gemeinderat gewählt, später wechselte er zunächst als parlamentarischer Mitarbeiter nach Wien, um ab 1999 selbst ein Nationalratsmandat innezuhaben. Bis 2017 prägte Kogler die grüne Arbeit im Parlament. Der studierte Volkswirt, Umweltökonom und Jurist saß im Finanz-und Budgetausschuss, machte sich als Aufdecker im Hypo-Skandal einen Namen und tingelte mit seiner realsatirischen "Hypo-Tour" durch die Wirtshaussäle. Seinen längsten Auftritt hatte Kogler allerdings 2010 im Budgetausschuss des Parlaments mit einer Fillibuster-Rede von zwölf Stunden und 42 Minuten. Deren letzter Satz: "Das ist eigentlich schon alles, was ich sagen wollte. Das soll's gewesen sein. Wir sind gespannt, ob Sie unsere dargebrachten Vorschläge aufnehmen werden." Man darf gespannt sein: Wird Sebastian Kurz demnächst etwas von Koglers Vorschlägen ins Regierungsprogramm aufnehmen?

BERÜHRUNGSPUNKTE

Man sieht sich immer dreimal

Othmar Karas, heute Vorzeigeeuropäer der ÖVP, war 1984 der Kormoran. Bei einer Pressekonferenz traten Politiker als Tiere verkleidet gegen den Kraftwerksbau in der Hainburger Au auf. Schwarze und Grüne saßen Schulter an Schulter. Am Sonntag traf man Karas bestens gelaunt bei der Wahlparty der ÖVP. Ob sich der Kormoran Türkis-Grün wünscht? "Sie kennen meine Meinung", lächelt er.

Werner Kogler war 1984 als "Schlepper" tätig, wie er selber sagt. Er fuhr Aubesetzer im Kleinbus nächtens an den Wachposten vorbei. Aufgeschlossene Bürgerliche, "linke" Grüne und "bürgerliche Grüne" - da gab es früh Allianzen.

Erster Versuch: gescheitert

Nach der Wahl 2003 verhandelten Wolfgang Schüssel und Alexander Van der Bellen über eine Koalition. An wessen Beharrungsvermögen diese gescheitert ist, wird in beiden Parteien unterschiedlich erzählt. Ungewöhnlich im politischen Tagesgeschäft ist aber: Nach Ende der Gespräche machte man sich gegenseitig keine Vorwürfe. Die Parlamentarier Van der Bellen und Andreas Khol trafen sich weiterhin zum Plausch. Eine VP-Verhandlerin von damals trug Sonntag demonstrativ Schwarz-Grün: Maria Rauch-Kallat. Van der Bellen, heute Bundespräsident, darf sich offiziell keine Präferenz erlauben. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, er möchte 2019 vollendet sehen, was 2003 doch nicht begonnen hat. In Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gab und gibt es ja schon schwarzgrüne Bündnisse, die funktionieren.

Die Ausgangslage für 2019? Bei der ÖVP vermerkt man positiv, dass TV-Duelle zwischen Kurz und Kogler ohne schwere Untergriffe verlaufen sind. Die Gesprächsbasis zu anderen Parteichefs ist zudem durch das Misstrauensvotum gegen Kurz im Parlament gestört. Bei diesem waren die Grünen nicht dabei - weil sie gar nicht konnten. Es ist kurios: Aber das verbessert das Gesprächsklima.

STIL &AUFTRITT

Anders & gleich

Kurz und Kogler sind gleich stark in ihrem Auftreten, jeder in seinem Stil", sagt der Kommunikationstrainer Peter Altmann. Der Unterschied: Kogler bleibe authentisch im Dialekt und bodenständig, "er sucht im Gespräch die Komfortzone, bricht den Dialog runter auf ein Niveau, wo man sich zusammensetzt und vernünftig miteinander redet." An Kurz fällt dem Experten auf, dass seine Art, zu sprechen, "erwachsener" geworden ist, "der Stimmsitz ist weiter unten, das passiert, wenn die Ziele, die Sie sich gesetzt haben, aufgehen." Vom Typus sei Kurz für ihn weniger ein "österreichischer Politiker, er verkörpert den Weltpolitiker, der noch andere Ziele in seiner Karriere hat."

Kurz ist derzeit der wohl am besten geschulte Redner in der Politik. "Er verzieht nicht einmal mehr eine Miene, ist sehr beherrscht, das ist ein großes Talent zur Diplomatie", sagt Altmann. Bei Kogler fällt ihm auf, dass sein Blick beim Reden oft wandert, weswegen er seine Botschaft nicht immer beim Angesprochenen platzieren kann. Aber: Der Grünen-Chef "bleibt er selbst, hat seine Körpersprache nicht wegtrainiert".

In der Praxis sieht das so aus: Kurz betritt den Raum, stellt sich in Pose, setzt sparsame Gesten und bleibt bei seiner Message. Wenn Kogler eine Kamera auf sich gerichtet sieht, dreht sich sein Körper regelrecht ein, er windet sich -zum Leidwesen mancher Fotografen. Dann legt er los, mit großen Gesten. Er macht kein Medientraining, in seinem engsten Kreis erzählt man aber, dass der Chef bisweilen zu einem Monolog ansetzt "und dann weiß man, das ist jetzt kein Gespräch, sondern er probiert etwas aus." Altmann meint: "Er bringt seine Aussagen auf den Punkt wie Kurz, es ist halt eine andere Art. Er macht aus jedem sterilen Medienraum eine Almstube, in der man auf der Eckbank sitzt."

STANDING IN IHRER PARTEI

Alpha-Tiere

Als Sebastian Kurz die ÖVP übernahm, lautete seine Bedingung: "Alles hört auf mein Kommando". Die zerstrittenen Schwarzen zu mit einer Zunge sprechenden Türkisen umzumodeln, war eine Leistung. Zwar murrten etliche in der ÖVP über die Koalition mit der FPÖ und die Abkehr von christlich-sozialen Werten, doch alle akzeptieren das letzte Wort ihres Chefs.

Als zerstritten galten auch die Grünen, doch Werner Kogler hat sich in den Monaten nach der Wahlniederlage 2017 den einhelligen Rückhalt erarbeitet. Mit einem winzigen Team arbeitete er an der Auferstehung der Partei -ohne Gehalt, das ringt allen Respekt ab. "Dass wir die Bundespartei damals nicht in Konkurs geschickt haben, war die eigentliche Leistung", sagt Kogler selbst. In Verhandlungen mit den Banken setzte der Volkswirt die finanzielle Konsolidierung der Partei auf. Inhaltlich brachte er die Grünen auf neuen alten Kurs: Klima und Umwelt.

Einer entscheidet

In der ÖVP hat sich Kurz die Letztentscheidung über alle Wahllisten ausbedungen. Bei den Grünen führte die Wahl der Kandidatinnen und Kandidaten früher oft zu Grabenkämpfen und beleidigten Rückzügen. Auch das hat Kogler geschafft: Zwar gibt es weiter einen Wahlmodus, doch er konnte personelle Wünsche durchsetzen. Aber: Kurz wird - egal, zu welcher Koalition -kaum Widerspruch aus seiner Partei bekommen. Kogler braucht die Zustimmung der Gremien zu einem Bündnis mit der ÖVP. Das wird haarig.

Was Kurz und Kogler gemeinsam haben: Ihre Fähigkeiten wurden intern nicht gleich erkannt. Kurz wurde als JVP-Chef mit dem Geilomobil belächelt, Kogler, die langjährige Nummer zwei, despektierlich als "Handtaschenträger" von Eva Glawischnig tituliert. Der eine, Kurz, wollte immer nach oben. Dem anderen, Kogler, ist das irgendwie passiert. Beide machen das Beste draus.

DIE VERHANDLUNGEN

Teams &Themen

Sebastian Kurz tritt auf, einen halben Schritt hinter ihm sein engstes Team. Dieses Bild kennt man von den Verhandlungen 2017, und die gleichen Gesichter wird man heuer wieder sehen. Der ÖVP-Chef hat zumindest angekündigt, "seine" Minister auch in die nächste Regierung mitzunehmen.

Aus Landesparteien, Umwelt-NGOs und Wissenschaft will sich Kogler Unterstützung für Gespräche holen. Schon jetzt wird spekuliert, wer Ministerien übernehmen könnte. Listenzweite Leonore Gewessler, früher Global-2000-Geschäftsführerin, könnte ein großes Klimaministerium führen, genannt für weitere Ämter, etwa Außen-und Infrastrukturministerium, werden der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober oder der frühere Parteimanager Lothar Lockl. Und Kogler selbst.

Wie legen wir es an?

Doch wie geht man in diese Koalitionsgespräche? Management-Coach Regina Maria Jankowitsch sagt: "Beide Parteien haben die Möglichkeit, Einzigartiges und Erstmaliges für Österreich zu schaffen. Für die Grünen wäre der Sprung von der Opposition in die Regierung eine große Chance. Es ist wichtig für die Gruppendynamik und Gesundheit einer Organisation, dass sie einmal die Seite wechselt."

Beide Parteien hätten zudem stark die Jungwähler angesprochen, "sie können sich als Koalition für die Jugend und die Zukunft verkaufen." Ob die Parteispitzen und ihre Teams einander dabei sonderlich sympathisch sind, sei gar nicht wichtig, so Jankowitsch. "Sympathie ist keine Kategorie professioneller Arbeit. Man erwartet von ihnen, dass sie ihren Job machen." Das große Thema Klima könne die ÖVP alleine nicht abdecken. "Jetzt ist jener Moment in der Geschichte, wo beide Seiten über ihren Schatten springen sollten."

Wie so unterschiedliche Parteien an ein Ziel kommen? "Wichtig ist, zuerst ein gemeinsames Ziel zu definieren, nicht gleich Details zu diskutieren und sich zu verheddern. Dann hat man emotional schon etwas geschafft und hat ein Erfolgserlebnis", so Jankowitsch.

"Marketingtechnisch" sei es sogar ein Vorteil, dass Kurz und Kogler so unterschiedlich sind. "Jeder spricht ganz andere Leute an, was der eine nicht so gut kann, kann der andere."

LAST EXIT

Die Stolpersteine

Am Anfang jeder Verhandlung stehe auch die Frage, "wie komme ich gesichtswahrend aus dieser Sache wieder raus", erklärt Management-Coach Regina Maria Jankowitsch. Dabei könne man sich immer auf Inhalte berufen, bei denen man sich eben nicht gefunden habe. Und genau da bieten sich fast schon zu viele Möglichkeiten.

Beim Thema Klimawandel hat sich die ÖVP auf ein Nein zu CO2-Steuern festgelegt. Die Grünen sprechen von "Umsteuern" und einem Klimabonus, was die Sorgen der Pendler schmälern soll. Zudem will man den Faktor Arbeit entlasten, was der Wirtschaft gefallen wird. Und man will Arbeitsplätze mit grüner Technologie schaffen. So könnte man sich annähern.

Schwieriger wird es bei Zuwanderung und Integration. Mit diesen Themen hat Kurz Wähler geholt, deren Rückwanderung zu den Blauen muss er verhindern. Werner Kogler wiederum darf hier nicht allzu pragmatisch sein, denn sonst gibt es einen Aufstand, etwa bei den Wiener Grünen.

Thema Bildung: Die Grünen sind für die gemeinsame Schule, die ÖVP dagegen. Die ÖVP hat mit der FPÖ Noten in den Volksschulen eingeführt, die Grünen halten das für pädagogische Steinzeit.

Es geht auch um Stilfragen: "Die Grünen stehen für transparente Kommunikation, der ÖVP musste man alles aus der Nase ziehen. Die beiden Parteien werden sich über ihre Kultur einigen müssen, nicht nur über Inhalte", sagt Jankowitsch.

Und zuletzt: Bisher ist kein Koalitionspartner von Sebastian Kurz am Ende besser dagestanden als vorher. Ex-Kanzler Christian Kern hat Kurz deshalb schon als "schwarze Witwe" tituliert. Mag sein, dass Kogler das Schicksal seiner beiden Vorgänger ein bissel unrund macht.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 40/19