Abgehoben, um zu stürzen

Erst Jörg Haider. Dann Karl-Heinz Grasser. Dann Heinz-Christian Strache. Und nun auch noch Sebastian Kurz: Die Karrieren von Österreichs politischen Popstars weisen augenscheinliche Parallelen auf. Alle vier wurden von einem devoten Umfeld so weit gepusht, bis sie die Kontrolle über die eigene Wirkungsmacht verloren. Strache nennt das "einen Arschtritt Gottes".

von
Abgehoben, um zu stürzen

Sebastian Kurz als wesentlich jüngeren, wesentlich bürgerlicheren Strache zu positionieren - das war, auch wenn in der ÖVP heute keiner mehr was davon wissen will, der ursprüngliche Plan. Und er ging zunächst auch auf, die Leute klatschten, jubelten und wählten. Und der Auserwählte? Der hob ab, schwebte und stürzte. Wie zuvor Heinz-Christian Strache, ironischerweise sogar über denselben Ermittlungsakt. Wie zuvor Karl-Heinz Grasser. Wie zuvor Jörg Haider. Gescheitert an sich selbst.

"Denn irgendwann", sagt Ökonom und Kulturwissenschaftler Walter Ötsch, dessen Untersuchung des "Phänomens Jörg Haider" ein Standardwerk zur Demagogie des jüngeren österreichischen Rechtspopulismus darstellt, "irgendwann implodieren solche Systeme - und lassen, da es zuvor für eine lange Phase fast nur um die eine Person an der Spitze und so gut wie nie um echte Inhalte ging, eine ausgehöhlte Partei zurück."

Wir erinnern uns: Haider war der erste Anti-Establishment-Held der Zweiten Republik, posierte in Badehose am Wörthersee, ließ die Alt-Nazis gute Menschen sein und die Ausländer böse. Doch dann zerriss er am Parteitag von Knittelfeld die eigene Partei und verzweifelte innerlich daran. Grasser wiederum - verheiratet mit dem Geldadel der Swarovskis, zu schön, zu jung, zu intelligent - widmete sich irgendwann vornehmlich der Operation Beauty und tingelte mit Slim-Fit-Anzug und Föhnwelle durch deutsche Talkshows, um uns und den großen Nachbarn zu zeigen, wie sexy ein Nulldefizit eigentlich sein könnte -ehe er im Buwog-Sumpf versank und hauptberuflich zum Angeklagten wurde.

»Irgendwann implodieren solche Systeme - und lassen eine ausgehöhlte Partei zurück«

Strache schließlich, der ungekrönte König der Bierzelte, wollte im Rahmen einer feuchtfröhlichen Balearennacht gleich die halbe Republik an eine gefakte Oligarchennichte verscherbeln. Das dabei gefertigte Video wurde zum populärsten Kurzfilm des Landes und der Hauptdarsteller über Nacht vom Vizekanzler zum kleinen Mann.

Ein Solo im gleißenden Licht

Tja, und dann kam Kurz, dann kamen die manipulierten Meinungsumfragen, die frisierten Rechnungen, die Entmachtung des Ex-Parteichefs. Und das alles nur, um sich selbst "für mein Land" im gleißenden Scheinwerferlicht zu positionieren.

"Der gesunde Narzisst ist empathiefähig", schreibt die Psychotherapeutin und Philosophin Monika Wogrolly in ihrer Analyse zum Phänomen Kurz. "Während Trump oder Erdoğan ganz klar zu rücksichtslos selbstverliebten, malignen Narzissten erklärt worden sind, hat das tadellose Image von Sebastian Kurz erst vor Kurzem an Strahlkraft eingebüßt: der Heilsbringer unter Narzissmus-Verdacht. Aber ist das noch gesund?" Gute Frage.

Auch interessant: Narzissmus auf der Führungsebene

Auf jeden Fall aber, davon ist der Gerichtspsychiater und Profiler Reinhard Haller überzeugt, gelte es heute fast schon als cool und erstrebenswert, nur noch die Ich-AG zu pflegen, unverschämt, ohne Rücksicht auf Verluste. Und: Für eine Ich-AG ist im Falle von Kurz, wie zuvor bei Strache, wie zuvor bei Grasser, wie zuvor bei Haider, zunächst alles angerichtet!

© Lukas Barth - Pool/Getty Images

"Kurz musste ja nur kopieren und übernehmen, was ich schon über Jahre hinweg vertreten habe", sagt Strache in vollster Überzeugung. Lernen von den Besten, so sieht er das. Lernen von den Berüchtigtsten, so könnte man das sehen, wenn man sich in die ersten strategischen Konzepte der türkisen Kurz-VP einliest.

"FPÖ Themen, aber mit Zukunftsfokus" heißt es etwa in dem Positionspapier, an dem bereits einige jener Personen mitarbeiteten, die nunmehr im Zusammenhang mit dem aufgepoppten "Inserate Gate" als Beschuldigte geführt werden. Dafür, so die Kurz Ultras weiter, brauche es zunächst aber den Typus des "Wählerverstehers, den Strache perfekt beherrscht".

Die religiöse Überhöhung

Inhalte? Nicht so wichtig. Führerkult? Unverzichtbar. "Der Wahlkampf", so der Plan von Kurz zu Beginn des Jahres 2017, "muss auf die Person des Spitzenkandidaten zugespitzt werden. () Wer soll das Land führen? Auf diese Frage müssen wir alles hin framen. Da müssen inhaltliche Fragen genauso zurückstehen () wie die flächendeckende Abbildung eines Teams mit mehreren individuellen Playern und Zielen." Denn: Die "ÖVP alt" sei derzeit "in einer Mitläuferrolle". Daher "müssen wir die ÖVP hintanstellen und den Spitzenkandidaten zum Herausforderer stilisieren". Aber es kommt noch besser: "Kurz ist der Herausforderer für einen neuen Weg die personifizierte Hoffnung."

»Es ist wichtig, sich auf das zu konzentrieren, was zählt: Familie, Gesundheit, Psychohygiene«

Personifizierte Hoffnung? Schwierig, bei so einem überspannten "Framing" nicht in die eigene Narzissmusfalle zu tappen!

Charismatiker und Sekte

"Meist verlangt eine erfolgreiche demagogische Politik eine charismatische Person, die eine ,Bewegung' um sich schart, die im Kern wie eine Sekte funktioniert", konstatiert Ökonom und Kulturwissenschaftler Ötsch in seinem gemeinsam mit der Journalistin Nina Horaczek verfassten Buch "Populismus für Anfänger". Und was bei malten Haider noch die politisch weitgehend unbedarfte Buberlpartie war, sind im Falle des frischgebackenen Ex Kanzlers die sogenannten Prätorianer.

Haider gabelte seine Handlanger noch in In Lokalen und Imbissbuden auf, steckte sie in dick auftragende Boss Anzüge und ließ sie in blindem Gehorsam seine Befehle exekutieren. Kurz' Kumpelei wiederum verlief subtiler: Seine supertreuen, superdevoten Vertrauensleute stammten allesamt aus dem Politbiotop und machtenihre ersten großen Karriereschritte noch innerhalb der alten ÖVP, meist sogar bereits in Regierungsbüros. Leitmotiv der Basti Buben: Je mehr der Star nach außen hin glänzt, desto mehr diskrete Macht fällt intern auch für uns ab. "Held", "Leader", so bezeichneten sie ihre Lichtgestalt in ihren internen Chats und sich selbst als "Jünger". Und akzeptierten auch demütig jede göttliche Zurechtweisung: "Danke, dass du mich gleich angerufen und betoniert hast", schreibt etwa Thomas Schmid an Kurz. Denn: "Das macht eine Freundschaft aus." Und: "Ich bin einer deiner Prätorianer, der keine Probleme macht, sondern löst."

Neue Macht, alte Machart

Thomas Schmid, ehemals mächtiger Generalsekretär im Finanzministerium, dann skandalumwitterter Vorstand der staatlichen Beteiligungsholding Öbag, nunmehr zwangsweise Privatmann, fungierte als Drehscheibe für eine Handvoll weiterer Kurz-Vertrauter, die erst das Machtgefüge in der Partei und dann das Land auf den Kopf stellten. Und zwar -auch das wurde in den Strategiepapieren zur Machtergreifung nach alter, vielfach erprobter FP-Tradition so festgelegt - getreu dem Motto: "Wir halten dagegen, gegen das System." Ungeachtet dessen, dass "System" auch die eigene Partei, die eigene Startplattform, beinhaltet. Die gesamte Welt werde "im Bild von ,Wir und die Anderen'" erklärt, schreibt Ötsch, hier finde das "demagogische Weltbild seinen krönenden Abschluss".

»Kurz ist der Herausforderer für einen neuen Weg - die personifizierte Hoffnung«

"Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist", texte Herbert Kickl bereits 1994 für Haider und 2008 wortgleich für Strache. "Einzige Möglichkeit ist, eine Position einzunehmen, die diese Stimmung bedient: Anders sein - Anti-Establishment", texten Kurz und seine Prätorianer ein paar Monate vor dem Wahlsieg im Jahr 2017 für ihr Strategiepapier.

Und so kam, was kommen musste, und die "personifizierte Hoffnung" verlor den Überblick über die eigene Macht. Was sich in den Worten von Psychotherapeutin Wogrolly so liest: "Der dem Geilomobil entstiegene Deus ex Machina traf auf etwas, das ihn im jugendlichen Narzissmusrausch nur beflügeln konnte: auf eine fast schon an Massenhysterie grenzende kollektive Idealisierung seiner Person. Er wurde vom Popstar zum Mythos."

Verglühende Mythen

Doch die Mythen, auch sie verglühen: Strache ist heute Privatier, der vom Ersparten lebt. Grasser beklagte mehrfach, dass man ihn finanziell zugrunde gerichtet habe, beide sind sich darüber einig, dass ihr Niedergang rein politisch motiviert wäre. Und Haider? Ach, Haider.

Auch Sebastian Kurz, der vorerst letzte in der Galerie der gefallenen Populisten, muss seine Karriere erstmals so richtig redimensionieren, vorerst zum Klubchef mit deutlich mehr Zeit für die Familie.

"Wie sehr muss ihn Gott lieben, dass er ihm diesen Arschtritt verpasst hat", sagt Heinz-Christian Strache. Und lächelt dabei nur ein bisschen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 41/2021.