Alles für die Macht

Wie der neue ÖVP-Chef seinen Fans die Welt erklärt

Sebastian Kurz, der neue ÖVP-Obmann, jongliert im anlaufenden Wahlkampf mit einfachen Bildern und Botschaften. Zu einfachen, wie der jüngste Vorwurf, Beamte des Außenministeriums hätten die Islam-Kindergarten-Studie umgeschrieben, nahelegt.

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POLITIK - Alles für die Macht

Bevor Sebastian Kurz die Bühne betritt, um vor mehr als 1.000 De legierten eine Rede zu halten und sich anschließend zum ÖVP-Chef küren zu lassen, werden seine designierten Stellvertreterinnen vorgestellt. Die Kameras sind auf sie gerichtet, sie lächeln und winken. Am Rand des Bildes, aus dem Augenwinkel quasi, sieht man Kurz, der neben ihnen sitzt. Er wirkt angespannt. In wenigen Sekunden wird die Geschichte ihren Lauf nehmen. Er wird aufstehen, reden, er wird zum jüngsten ÖVP-Obmann aller Zeiten gewählt werden.

Schon als er Richtung Bühne geht, ist die Anspannung nicht mehr zu sehen. Alles unter Kontrolle. Die Geschichte beginnt - ausgerechnet mit einer heiter-schmerzhaften Anekdote aus seiner frühen Zeit als unbeliebter, angefeindeter Integrationsstaatssekretär. Das Kalkül ist klar. Hier steht einer, der sich nicht unterkriegen lässt, einer, der weitermacht, der sich durchsetzen kann. Das Wort "Gegenwind" fällt relativ bald in Kurz' Rede am Parteitag in Linz, dann "Mut".
"Hören wir auf damit, unsere Probleme schönzureden, und sagen wir lieber ehrlich, was wirklich Sache ist!"

Verknalltes Lächeln

Zwei Wochen davor. Ein heißer Sommerabend im Juni. Am Salzburger Hauptbahnhof herrscht das übliche Gewusel. Verschwitzte Touristen, Menschen auf dem Weg nach Hause. Zwei ältere Frauen aus der Vorstadt bewundern die aufwendige Flechtfrisur eines afrikanischen Mädchens. Mittendrin ein älteres Paar in Tracht, das irgendwie gar nicht hierher passt, und das heißt was, nicht weit von hier ist Land, da kann man im Dirndl schlafen gehen, wenn man will. Salzburg ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Veränderungen der letzten Jahre sind hier deutlicher zu spüren als zum Beispiel in Wien, der Großstadt. Achtjährige Mädchen mit Kopftuch im O-Bus, junge Männer, deren ungelenkes Verhalten zeigt, dass sie noch nicht so lange hier leben. Alles verschiebt sich. Die Eindeutigkeit fehlt. Vielleicht ist es das, was so beängstigend ist.

Die beiden älteren Leute steigen in den Bus. Sie fahren durch das nicht so hübsche Bahnhofsviertel und durch den Problemstadtteil Lehen. Sie steigen beim Messegelände aus. Sie gehen die letzten Meter zu Fuß zur Salzburgarena. Sie sind gekommen, um Sebastian Kurz zu sehen.

Kurz hält hier heute Abend eine seiner "Klartext"-Veranstaltungen ab. Als "Diskussion" wird er sie selbst später auf Twitter bezeichnen, in Wirklichkeit ist es eine Werbe-,eine Vorwahlkampfveranstaltung.

Mehr als 2.000 Menschen sitzen in der gut gekühlten Halle und warten auf ihn. Kurz nach halb sieben tritt er gemeinsam mit Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer zu pompöser Musik auf. Das Publikum tobt nicht vor Begeisterung, aber der Applaus ist sehr wohlwollend, und über das Gesicht vieler huscht dieses verknallte Lächeln, das man immer wieder beobachten kann; es zeugt nicht von großer Leidenschaft oder dem Wunsch, Unterwäsche auf die Bühne zu werfen, es ist, sagen wir es auf gut Neudeutsch, ein "Crush".

Katrin Prähauser, im normalen Leben Moderatorin bei Servus TV, geht mit Kurz artig die üblichen Themen durch, Migration, Integration. Anschließend stellt sie ausgewählte Publikumsfragen, die via SMS abgegeben werden konnten. Als Kurz sagt, es sei absurd, Islam-Kindergärten zu fördern, ist der Applaus besonders laut, es sind sogar einzelne zustimmende Pfiffe zu hören. "Was bedeutet Eigentum für Sie?", will Sepp Zauner aus Lamprechtshausen wissen. Eigentum sei sehr wichtig, sagt Kurz und landet in einem eleganten Bogen wieder bei seinem Leib-und-Magen-Thema: "Wenn sich jemand eine Eigentumswohnung in Wien schafft, ist er viel stärker verwurzelt in Wien, als wenn er in einer Gemeindewohnung wohnt, die nicht ihm gehört, und stattdessen baut er sich nebenbei ein Haus in der Türkei." Deutschlandsberg, ein paar Tage später. Die Sorge ist groß, es könnte jemand umfallen. Nicht wegen Sebastian Kurz, nicht nur, sondern in erster Linie wegen der Hitze, die sich immer noch in der Koralmhalle staut, obwohl es draußen schon abgekühlt hat. Freitagabend, 20 Uhr, die Stimmung ist gut. Gleich drei Vorredner haben sich angesagt, um ihren Star anzupreisen, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer nimmt sogar in Kauf, zu spät zum Jubiläumskonzert des Landesjugendblasorchesters in Stallhofen zu kommen. Eine halbe Stunde lang befragt Moderatorin Sandra Thier Kurz zu Themen wie Vollholler und Neuwahlen, dann werden Publikums-SMS vorgelesen, und Kurz lässt das Bierzelt-Ich vulgo Rampensau raus.

»Viele sagen mir: Schön, dass Sie da sind, aber im Fernsehen kann ich mir das nicht anschauen«

"Wie halten Sie es aus, dass Sie im Parlament ständig attackiert werden?", lautet eine Frage. "Das mit dem Attackieren stört mich weniger", antwortet Kurz. "Aber grundsätzlich zum Parlament: Es gibt größere Freuden im Leben." Gelächter im Saal. Er sei ein überzeugter Demokrat, führt Kurz weiter aus, und da stehe das Parlament zu Recht im Zentrum. Das Problem sei "die Art und Weise, wie da miteinander umgegangen wird. Und was ich so absurd finde, es ist eh teilweise ohne jegliche mediale Beobachtung und obwohl keiner zuschaut, dreschen sie sich dort, als wäre es ein Gladiatorenkampf." Noch mehr Gelächter, Applaus. "Viele sagen mir: Schön, dass Sie da sind, aber im Fernsehen kann ich mir das nicht anschauen, ich dreh ab, wenn da Politiker rausschauen. Das sollte uns zu denken geben."

Gebührende Demut

Anschließend verhält sich der Politiker, der irgendwie kein Politiker sein will, doch wie ein Politiker und steht für Fotos zur Verfügung. Hunderte, Tausende Aufnahmen von Kurz und potenziellen Wählern finden so ihren Weg in die sozialen Medien und illustrieren die Erzählung von dem anderen, dem bürgernahen Volksvertreter. Geduldig posiert er mit seinen Sympathisanten, nimmt Glückwünsche mit gebührender Demut entgegen. "Viel Erfolg bei der Wahl!""Ja, hoffentlich, schauen wir einmal!""Sie schaffen das im Herbst.""Ich werde mich bemühen." In diesen Begegnungen verschwindet der kühle Stratege, der Machtmensch, der in seinen Reden aufblitzt, hinter der perfektionierten Rolle des netten Kumpels, des idealen Schwiegersohns mit den guten Manieren und der kerzengeraden Haltung. Bitte, danke, schauen wir einmal.

Zurück in Salzburg. Die Veranstaltung ist vorbei, ein paar Fans stehen noch um Fotos an. Das Paar in Tracht fährt wieder mit dem Bus nach Hause. Halb neun, ein lauer Abend, vielleicht geht sich noch ein Glas Wein auf dem Balkon aus. In aller Zuversicht. Denn das mit Kurz, das könnte was werden. "Was mir so gefällt: Es sind so klare Aussagen. Er ist wirklich gut und geschickt. Und er traut sich was."

Sankt Sebastian

"Herr Kurz, wie wollen Sie die EU davon überzeugen, die Mittelmeerroute zu schließen? Oder wollen Sie notfalls im Alleingang tätig werden?" Man sieht Sankt Sebastian vorm inneren Auge schon über dem Mittelmeer schweben und die Flüchtlingsschiffe eigenhändig Richtung Afrika zurückschieben. Die Frage, gestellt bei einer vom "Kurier" organisierten Publikumsdiskussion ein paar Tage später, zeigt, wie groß das Vertrauen in ihn ist.

Es geht um Migration, Integration. Kurz erläutert das Problem des kompetitiven Arbeitsmarktes. Dann steht ein Mann auf und stellt eine Frage, die eine tagelange Diskussion verursachen wird. "Wie kann man die Konflikte mit den islamischen Kindergärten lösen?" Kurz holt aus, schildert das Problem und sagt, das verpflichtende Kindergartenjahr werde nur wirken, "wenn die Kinder auch in einen ordentlichen Kindergarten gehen". Man müsse die Qualitätskriterien erhöhen, damit islamische Kindergärten nicht mehr gefördert werden können.

"Kurier"-Chefredakteur Brandstätter: "Damit wir richtig zitieren: Es soll keine islamischen Kindergärten geben?"
Kurz: "Richtig."
Applaus.
Brandstätter: "Ich wollte nur dem Kollegen helfen, dass der eine richtige Schlagzeile hat."

Heiße Themen

Tags darauf in Brüssel. Elf Uhr am Vormittag, es ist heiß. Die Stadt befindet sich im Ausnahmezustand. Militärfahrzeuge parken an ausgewählten Ecken, auf den Gehsteigen liegen mit Stacheldraht umwickelte Straßensperren bereit. Von irgendwo ist immer das Geheule von Polizeisirenen oder das Knattern von Helikoptern zu hören. Konvois brettern auf abgesperrten Fahrspuren durch die Stadt. Falls noch wer Fragen zum Sicherheitsstatus Europas im Sommer 2017 hat - hier ist die Antwort.

Im Vorfeld des EU-Gipfels, der am Nachmittag beginnen wird, treffen sich die Vertreter der europäischen Volksparteien im eleganten Palais des Académies. Medienvertreter dürfen auf einem kleinen Podest, das in der Einfahrt aufgebaut wurde, stehen und die eintreffenden Politiker um Interviews bitten. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der kurz nach elf eintrifft, will zum Beispiel nicht. "Es ist zu früh", scherzt er und betritt das Gebäude. Österreichische Journalisten wissen schon, dass sie nicht leer ausgehen werden. Der designierte ÖVP-Chef, ist heute erstmals dabei, er hat für 11.15 Uhr ein kurzes Pressegespräch angekündigt. Vor der Fassade des neoklassizistischen Gebäudes beantwortet Kurz gut acht Minuten lang Fragen zu den Themen Migration und Islamkindergärten. Als der ORF-Reporter kritisch nachfragen will, dreht Kurz auf dem Absatz um und geht kommentarlos.

»Jeder, der hier eine schnelle Antwort verspricht, jeder, der hier mit Patentrezepten agiert, führt die Leute hinters Licht«

Obwohl auch Bundeskanzler Kern an diesem Tag in Brüssel ist und als Kanzler am EU-Gipfel teilnimmt, dominiert Kurz mit seinem kurzen Statement die ORF-Berichterstattung. Die "Zeit im Bild"-Sendungen in der Früh und zu Mittag berichten über seine am Vorabend geäußerten Überlegungen zu den Islam-Kindergärten. Der erste Beitrag der "Zeit im Bild" um 19.30 Uhr ist dem EU-Gipfel gewidmet. Kern kommt darin zwar zu Wort - allerdings nur mit einem Zitat, das sich auf Kurz' Forderung, die Mittelmeerroute zu schließen, bezieht: "Jeder, der hier eine schnelle Antwort verspricht, jeder, der hier mit Patentrezepten agiert, führt die Leute hinters Licht." Es folgt ein weiterer, umfangreicher Beitrag über Islam-Kindergärten.

Beide Themen, Mittelmeer und Kindergärten, stehen schon länger auf Kurz' politischer Agenda. Sie bilden das Fundament für den anlaufenden Wahlkampf. Nach einem Bericht der Wiener Stadtzeitung "Falter" wurde dabei auch aktiv mitgeholfen: Beamte des Außenministeriums haben die 2016 erschienene Studie über Wiener Islam-Kindergärten, auf die sich Kurz stets bezieht, umgeschrieben und zugespitzt, so der Vorwurf. Aus der konsensualen Darstellung, dass Eltern ihre Kinder in Islam-Kindergärten "selbständig, respektvoll und liebevoll erzogen" wissen wollen, wurde etwa der Wunsch der Eltern, ihre Kinder "vor dem moralischen Einfluss der Mehrheitsgesellschaft schützen".

Harte Sätze mit einfacher Aussage. Sätze, die Eindruck machen. Sätze, die Ängste schüren. Und sich leicht verbreiten lassen. Zumindest solange das mediale Interesse groß ist und inhaltliche Kritik als kleinliches, kurzsichtiges Hickhack des politischen Gegners abgetan wird. Sebastian Kurz' Forderung, die Mittelmeerroute zu schließen, sei "in Brüssel nur ein Randthema", erklärt Moderatorin Lou Lorenz an diesem Abend zu Beginn der "ZiB 2". Trotzdem wird sie in dem darauffolgenden Beitrag ausführlich besprochen. Wie groß das Problem der Parallelgesellschaften tatsächlich sei, sei schwer festzustellen, man wisse nämlich nicht, wie viele Islam-Kindergärten es in Wien wirklich gibt, sagt Lorenz ein paar Minuten später. Es folgt der zwölfte "ZiB"-Beitrag über Islam-Kindergärten an diesem Tag. Inklusive Zitat aus Kurz' Acht-Minuten-Kurz-Interview in Brüssel. So, könnte man zynisch sagen, geht Kommunizieren. So leicht ist die Öffentlichkeit zu beeinflussen. So merkwürdig verzerren sich in dieser Gemengelage In-und Output.

Zurück beim Parteitag in Linz. Die Islam-Kindergärten kommen nicht zur Sprache. Es geht hier mehr um Symbolik. "Wir gegen den Rest der Welt", das ist ein weiteres Bild, das oft beschworen wird. Was auch immer der Wahlkampf bringt, was auch immer die Medien schreiben, das hat alles keine Relevanz, wenn man sich auf dem richtigen Weg weiß. Gerne erzählt Kurz, wie er nur gegen erbitterte Widerstände die Schließung der Balkanroute durchsetzen konnte. Wie er missverstanden, ja verbal "verdroschen" wurde, wenn er seine Forderungen vorbrachte. Jetzt sei "die Bundespolitik vor allem davon geprägt, sich gegenseitig anzupatzen und schlechtzumachen", schließt er seine Rede. Die nächsten Monate würden "schmutzig" werden, warnt er, aber "auch wenn wir jetzt schon die Zielscheibe aller sind, wir werden dabei nicht mitmachen!".

Kalte Semmeln

Erst einmal herrscht aber Feierlaune -die schmutzigen Vorwürfe betreffend die Islam-Studie werden erst ein paar Tage später öffentlich bekannt -, und der Parteitag endet mit einem großen Volksfest. Vor der Bühne ist eine türkise Tür aufgebaut. Auf der Bühne steht Sebastian Kurz und erklärt Tausenden Sympathisanten, dass die Bewegung hier und jetzt beginne und dass es "unser Ziel ist, diese Tür ganz weit zu öffnen für alle, die mitmachen wollen". Schließlich sei es bei ihm ja anders gewesen. Er sei zu jung, sagte ihm ein ÖVP-Mann, als er, 17-jährig, bei der Partei andocken wollte, er solle sich in ein paar Jahren noch einmal melden. Gelächter im Publikum. Es ist noch ungeklärt, wie viele Ave-Marias der glücklose Funktionär beten musste, um das wieder gutzumachen.

"Liebe Freunde, ich weiß, wir sind heute schon viele, aber wir haben ein großes Ziel, wir wollen noch mehr werden. Wir wollen gemeinsam dieses Land verändern. Zum Positiven verändern!"

Am frühen Abend ist Sebastian Kurz wieder einmal in einer Menschentraube verschwunden und pflegt den Publikumskontakt via Handyfotoerstellung. Peter L. Eppinger, der Sprecher der Bewegung, öffnet und schließt unermüdlich die "offene Tür". Die Gratiswürstel gehen weg wie die kalten Semmeln, die ihnen beiliegen. Der Rest der Bewegung befasst sich vorübergehend vorwiegend mit Bier. Es wird ein langer Sommer.