Otto Waalkes: "Verlorene
Generation? Alles nur Gerede!"

Fünf Jahrzehnte auf der Bühne, und Otto Waalkes ist auf magische Weise immer aufs Neue der Alte. Nur, dass ihn die Kinder jetzt noch mehr lieben als damals. In der warmherzig-anarchischen Kinogroteske "Catweazle" erreicht er alle und macht Mut in komplizierter Zeit.

von Kultur - Otto Waalkes: "Verlorene
Generation? Alles nur Gerede!" © Bild: Ricardo Herrgott

Jetzt ist er 73, und die Kinder lieben ihn wie nie zuvor in den 50 Jahren, in denen Otto Waalkes auf der Bühne und im Film nicht älter geworden ist. Und ein noch größeres Wunder: Sie lieben ihn wie ihresgleichen, und nicht etwa wie einen noch so
unterhaltsamen Großvater.

Otto Waalkes wurde am 22. Juli 1948 in Emden, der größten Stadt Ostfrieslands, als Sohn strenggläubiger Baptisten geboren. Sein Studium der Kunstpädagogik finanzierte mit als Komiker und Sänger. Seine erste LP, mit dem Titel "Otto" verschaffte ihm 1972 den Durchbruch. Waalkes hat einen erwachsenen Sohn und lebt in Hamburg.

Otto Gerhard Waalkes verkörpert die unschuldige Anarchie, die Kindern und Narren eignet. Aber da sein Witz in der Apo-Bewegung um Robert Gernhardt wurzelt, blieb genug Unberechenbarkeit und Doppelbödigkeit, um ihm auch die Großen zu Füßen zu zwingen. Derzeit begeistert er Kinder wie Alte als Magier Catweazle in den sich wieder belebenden Kinosälen. Im Gespräch hält er die Hand schützend über die Kleinen und amüsiert sich über den Korrektheitswahn.

Herr Waalkes, wenn wir uns die pandemische Lage vergegenwärtigen: Wäre es nicht schön, wenn wir uns wie Catweazle drei Jahre zurückversetzen könnten?
Lieber drei Minuten, dann hätte ich genug Zeit, mir eine Antwort auszudenken. Das würde mir reichen.

Corona würden Sie nicht gern wegzaubern? Wie sind Sie denn da durchgekommen?
Ich saß zu Hause, habe gestreamt, viel gemalt und Waldspaziergänge gemacht, das war Balsam für meine Seele. Am Ende kannte ich alle Bäume mit Vornamen. Für andere war das natürlich schwerer. Ich habe versucht, die etwas aufzumuntern. In Hamburg habe ich eine Litfaßsäule entdeckt, keine Plakate mehr, nur rauer Zement. Drüber stand "Kultur in Hamburg". Da habe ich einen Ottifanten drunter gemalt, eine Träne im Auge. Für meine Bandmusiker habe ich die Zeit überbrückt, bis die staatliche Überbrückungshilfe kam, was etwas gedauert hat. Alle sind einigermaßen zurechtgekommen. Jetzt steigen die Zahlen wieder, Delta, Gamma. Ich bin froh, dass am Ende des Alphabets Omega steht und nicht Otto.

Was sagt Otto, der Lebenshelfer, unter diesen Umständen Kindern, die ein Jahr lang nicht in die Schule gehen durften?
Kinder können mit diesen Dingen doch besser umgehen als die Eltern, hoffe ich zumindest. Das habe ich gespürt, wenn ich mit Kids in Hamburg zusammen war. Die gehen viel selbstverständlicher damit um. Denen, die damit nicht klarkommen, kann ich auch keinen guten Rat geben. Ich bin kein Lebensratgeber. Als Komiker kann ich nur versuchen, etwas Optimismus zu verbreiten. Durch Clips, die ich ins Netz stelle, oder jetzt gerade durch den "Catweazle"-Film. Wenn das nicht hilft, dann wüsste ich auch keinen Rat mehr.

» Was sollten die sagen, die einen oder zwei Weltkriege mitmachen mussten?«

Das Gerede von der verlorenen Generation?
Ist eben Gerede. Was sollten die sagen, die einen oder zwei Weltkriege mitmachen mussten? Vielleicht war es sogar ein gewonnenes Jahr, weil wir viele Dinge kennengelernt haben, von denen wir zuvor keine Ahnung hatten. Ich sehe das nicht ganz so tragisch. Ich hoffe, dass mein Optimismus nicht allzu frivol wirkt.

Corona hat aber auch die unangenehmen, bedrohlichen Seiten der Menschen gezeigt, nicht?
Ja, vielleicht gibt es zu viele Meinungen auf der Welt -aber das ist auch das Schöne an der Demokratie, da gibt es Mehr- und Minderheiten, zum Teil radikale, das muss man zulassen.

Und die Vernaderer, die Blockwarte, die jetzt ihre Mitmenschen bespitzeln? Das soll ja typisch deutsch sein.
Ich dachte immer, das sei die österreichische Königsdisziplin.

Ach, ich vermute, das ist auf der ganzen Welt so, zumindest da, wo es viele Verbote und Gebote gibt. Der hat seine Maske schief auf, der war nach 22 Uhr auf der Straße, der hat trotz des Ernstes der Lage laut gelacht. Kleinkram! Das sind Verhaltensweisen, die man nicht überbewerten sollte. Aber "Vernaderer", das Wort muss ich mir merken.

Sie sind für Generationen die Ikone der Freiheit, der Anarchie. Wie geht es Ihnen, wenn heute alles zensiert wir, was nicht politisch korrekt formuliert wird?
Beginnen wir beim Binnen-I und seinen Derivaten. Das gehört dazu, das sind Experimente. Wer weiß, ob es sich durchsetzt? Die Sprache ist geduldig und macht am Ende doch, was sie will.

Aber bis dahin können Sie nur gegen den gerade tobenden Shitstorm abducken, nicht?

Auch das hat es in anderer Form schon immer gegeben. Wir Komödianten spielen damit, Gegenwind macht uns nur schneller. Und irgendwann legt sich das. Wie kann ich gegen die Sinnlosigkeit mancher dieser Sprachregelungen sein? Ich habe selbst viel Nonsens geredet. Warum heißt es "die Bergwacht" - aber "der Berg ruft"? Und wieso heißt es "die Fahrerflucht" - müsste man nicht "die Fahrerin flucht" sagen? Manches macht sich von selbst lächerlich - warum sollte man es dann so ernst nehmen?

Aber der Shitstorm wird allmählich zur Existenzbedrohung für viele.
Als Ostfriese bin ich sturmerprobt. Aber das, was manchmal durch die sozialen Medien weht, riecht schon übel. Nur weil einer bei der Fußball-EM das Tor nicht trifft und zufällig eine dunklere Hautfarbe hat, muss er sich rassistisch beleidigen lassen? Aber schlechte Verlierer wird es immer geben, jetzt erreichen sie leider Tausende im Internet. Doch apropos Verlierer - wollten wir nicht über meinen neuen Film "Catweazle" reden?

© Ricardo Herrgott

Gern. Was für einer ist denn der?
Catweazle ist ein Sonderling. Die Welt kann sich verändern, er kann sogar durch die Zeit gereist sein -aber der Sonderling bleibt sich treu. Er ist in jeder Welt ein Außenseiter, und Catweazle ist eine Karikatur der Realität. Für einen Komiker ist das eine Rolle nach Maß, deswegen bin ich gern in diese haarige Haut geschlüpft. Außerdem zeigt Catweazle, dass auch Außenseiter Freunde brauchen. Er findet einen und den Weg zurück in seine Welt.

Würden Sie sich selbst einen Sonderling nennen?
Das bin ich doch immer gewesen! Nicht, weil ich es wollte - mir blieb nichts anderes übrig. Das Rätselhafte ist, dass sich so viele Menschen mit einem Außenseiter identifizieren können. Und es rücken immer wieder Generationen nach.

Das Zielpublikum von "Catweazle" zum Beispiel, sechs und sieben Jahre wie die Filmkinder.
Moment, der Film ist für die ganze Familie, und die Filmkinder (Julius Weckauf und Gloria Terzic) sind schon etwas älter. Während der Dreharbeiten kam Corona. Wir drehten im Hamburger Hafenviertel, und plötzlich fiel die letzte Klappe: Lockdown. Keiner wusste, für wie lange. Ich hatte befürchtet, wenn wir weitermachen, habe ich plötzlich eine junge Dame und einen bärtigen Halbstarken vor mir. Kinder können sich ja so schnell verändern. Die beiden blieben, wie sie waren: textfest und improvisationsbereit.

»Leider kann man Corona nicht einfach ein- und ausschalten. Das könnte nicht mal Wittgenstein«

Und dann kommt der erste Regisseur und knipst ihnen das Leuchten aus. Ist der Song "An-Aus" eine philosophische Einlassung zur Zeit?
Stimmt, das ist in der Corona- Zeit entstanden. Leider kann man Corona nicht einfach ein- und ausschalten. Das könnte nicht mal Wittgenstein.

Wenn Sie nun Catweazle wären: Was würden Sie sich wünschen? Ich weiß, die Frage explodiert vor Originalität.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte? Frieden auf Erde, Harmonie zwischen den Menschen, keine Vorurteile mehr oder ein neues iPad.

Catweazle will ja in die Vergangenheit, um sein Meerschweinchen und sein Kaninchen zu retten. Sind Sie ein solcher Tierfreund?
Es brauchte ein Motiv, warum Catweazle unbedingt zurück will in die Vergangenheit. Eine Liebschaft machte keinen Sinn, da fielen mir nur Tiere ein. Dass Tiere umkommen, das will doch keiner. Ich wollte übrigens gern, dass Catweazle in der Badewanne mit dem Elektrofön und wachsender Begeisterung seine Haare zu Berge stehen lässt.

Um Gottes Willen!
Sehen Sie, Ihre Reaktion zeigt, dass es richtig war, die Szene herauszuschneiden. Kinder hätten das nachmachen können. Das habe ich eingesehen, aber leid tat es mir trotzdem, es sah toll aus. Dass Kinder versuchen werden, nach Catweazles Vorbild tausend Jahre durch die Zeit zu reisen, befürchten die Produzenten anscheinend nicht. Das ist drin geblieben.

Wie gefällt dem Satiriker der Todestrieb der grünen Kandidatin Baerbock? Dass man von einer guten Startrampe so ins Unglück rennt?
Ich bin kein Satiriker. Und einer Politikerin, die etwas ungeschickt agiert, gleich einen Todestrieb zu unterstellen - das ist wohl nur im Vaterland von Sigmund Freud naheliegend.

Könnten Sie in dieser öden Korrektheitszeit eigentlich noch die Scherze machen wie in den Achtzigerjahren?
Manche mache ich tatsächlich immer noch und werde nicht lockerlassen, bis das Verfallsdatum erreicht ist. Missverständnisse kann man nie ausschließen. Schon im ersten Otto-Film gibt es eine Geschichte, in der es um Sklavenhandel geht. Da kommt heute automatisch der Rassismus- Vorwurf - dabei wollten wir genau den entlarven. Damit muss man leben.

Und warum kommt der Elefant auf Twitter in Regenbogenfarben?
Soll er immer nur Grau in Grau kommen? Dazu ist er ein zu modebewusstes, niedliches Tier. Ich muss es ja wissen, denn ich habe den größten Teil meines Lebens mit meinen Ottifanten verbracht. Der erste ist mir schon in meiner Schulzeit zugelaufen.

Können Sie erklären, warum Ihre Scherze über die Jahrzehnte frisch bleiben?
Sie müssen bedenken, dass die zu einer Zeit entstanden sind, als es nur zwei Fernsehsender gab. Damals sahen 40 Millionen zu. Die haben den restlichen 40 Millionen die Gags erzählt. Vieles war in Reimform, es gab viele Parodien auf bekannte Melodien, Hauptsache, kurz und einprägsam. So was vergisst man nicht. Nicht mal ich vergesse diese Zeilen, obwohl ich immer vergesslicher werde. Wer mir nicht glaubt, kann sich im nächsten Jahr live davon überzeugen: Da möchte ich wieder auf Tournee gehen.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (30/2021) erschienen.