José Carreras: "Ich kann dem Leben nicht genug dankbar sein"

Einer der Größten dankt ab - mit Wehmut, wie er News wissen lässt, und für ein großes humanitäres Projekt. Am 14. September nimmt der Jahrhunderttenor José Carreras mit einem Konzert Abschied von der Wiener Staatsoper. Ein Rückblick auf seine Triumphe und den Sieg über die Leukämie

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Einer der Abende wird das, an denen im Publikum die Tränen fließen. Eine wahre Ära endet am 14. September in der Wiener Staatsoper: José Carreras, einer aus der Reihe der Jahrhunderttenöre, nimmt Abschied von dem Haus, dem er seit 47 Jahren verbunden ist. "Ich freue mich schon sehr darauf und bin unendlich dankbar, dass ich auch mit bald 75 Jahren zum Abschied von diesem wunderbaren Haus noch einmal hier auf der Bühne stehen und singen darf", teilt er auf News-Anfrage zum Konzert mit. "Ehrlich gesagt, bin ich schon jetzt etwas nervös, wenn ich daran denke", setzt er fort. Unvergesslich seien ihm die großartigen Vorstellungen in diesem Haus. Unvergesslich die 45 Minuten währenden stehenden Ovationen nach einer Aufführung von "La Bohème" mit Karajan am Pult.

Die Liebe, die ihm das Wiener Publikum stets entgegenbrachte, sehe er als Verpflichtung. Und die Zuneigung ist ungebrochen, der Abschiedsabend ist längst ausverkauft.

Sein letzter Auftritt an der Staatsoper liegt 17 Jahre zurück. Carreras nutzte damals das Jubiläum, seine 30-jährige Zugehörigkeit zur Staatsoper, für eine Gala zugunsten seiner Stiftung, mit der er die Bekämpfung von Leukämie unterstützt. Eine Krankheit, die er selbst Ende der Achtzigerjahre überwunden hatte.

Auch seinen mit "Adieu und Danke" übertitelten Abschied stellt er in den Dienst der Humanität. Mit ihm tritt Elina Garanca auf. Beide spenden ihre Gagen "Cape 10", dem so beispiellosen wie beispielgebenden Projekt des Mediziners Siegfried Meryn, einem Zentrum für Bedürftige und Kranke in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs.

Er könne dem Leben gar nicht dankbar genug dafür sein, was es ihm gegeben habe, blickt der nun Abschiednehmende zurück. Josep Maria Carreras i Coll wurde am 5. Dezember 1946 als Sohn eines Lehrers im Arbeiterviertel Sants von Barcelona als jüngstes von drei Kindern geboren. Sein Vater war Republikaner und durfte unter dem faschistischen Regime Francos den Lehrberuf nicht mehr ausüben. Die Familie emigrierte nach Argentinien, kehrte aber nach einem Jahr nach Barcelona zurück. Der Vater verdingte sich als Verkehrspolizist, die Mutter nahm eine Stelle als Friseurin an, und der kleine José wurde zur Attraktion des Salons. Denn er liebte es, den Kundinnen etwas vorzusingen. Woher der Bub sein Talent hatte, konnten sich die Eltern nicht erklären, denn mit Musik hatten sie nichts zu tun.

Wie im Kino

Ein Kinobesuch stellte die Weichen für Josés Leben. Vater und Sohn sahen "Der große Caruso" mit Mario Lanza. Als Carreras zu Hause den Tenor, den er auf der Leinwand gesehen hatte, imitierte, wurde die Mutter aufmerksam und brachte ihn zur Gesangslehrerin Magda Prunera. In Chris Hunts Dokumentation "A Life Story" aus dem Jahr 1991 erinnert sich die Pädagogin an die erste Begegnung: Das Kind sang "La donna è mobile" aus "Rigoletto" vor, und fortan ergab eins das andere. Mit sieben Jahren nahm er die Arie des Herzogs im Tonstudio des lokalen Radiosenders auf. Das blieb nicht ohne Folgen. Ein Mitarbeiter der Oper in Barcelona war auf ihn aufmerksam geworden. Mit elf Jahren stand Carreras zum ersten Mal als Knabensopran auf der Bühne. Als er aber sein Gesangsstudium beginnen sollte, verlor er den Menschen, der stets an seinen Erfolg als Sänger geglaubt hatte: Seine Mutter erlag ihrem Krebsleiden.

Carreras begann ein Chemiestudium, um im Kosmetikunternehmen seines Bruders arbeiten zu können. Die Abirrung hielt nur ein Jahr vor: Mit einer kleinen Tenorpartie in "Norma" ersingt er sich die Aufmerksamkeit einer der damals bedeutendsten Sopranistinnen. Montserrat Caballé beginnt den jungen Kollegen zu fördern. "Er hatte etwas Entschlossenes, aber er war auch scheu. Er kam mir vor wie ein kleiner Bruder", blickte sie Jahre später zurück.

Sie verschafft ihm namhaftere Auftritte, erste Engagements in den USA führen ihn an die New York City Opera, nach London, nach Italien und Wien. Am 28. Jänner 1974 debütiert der damals 27-Jährige an der Wiener Staatsoper als Herzog in " Rigoletto". Die Covent Garden Opera in London folgt. Die "New York Times" nennt ihn nach ersten Auftritten an der Metropolitan Opera den "Tenor der neuen Generation".

Zehn Jahre im Triumph

Carreras begann, mit den bedeutendsten Dirigenten zu arbeiten. Herbert von Karajan holte ihn nach Salzburg, Riccardo Muti spielte mit ihm "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci" ein. "Damals war er noch sehr jung", blickt Muti im Gespräch mit News zurück. "Wie er diese Rollen interpretierte, Mascagnis Turiddu und Leoncavallos Canio, das war, was seine Phrasierungen und seine Interpretation betrifft, außerordentlich. Ich nahm mit ihm dann auch noch das Verdi-Requiem mit Jessye Norman, Agnes Baltsa und Evgeny Nesterenko auf", erzählt er und fügt hinzu: "Zu seinem Abschied von der Bühne möchte ich ihm für alles, was er für die Oper getan hat, danken."

Zehn Jahre pendelt Carreras zwischen den bedeutendsten Opernhäusern der Welt. Leonard Bernstein holte ihn als Tony für die Einspielung seiner "West Side Story", das Repertoire erweitert sich ständig. Den Don José in "Carmen" singt er mehr als 100 Mal und formiert mit Agnes Baltsa ein operales Traumpaar.

Aus dem Leben gerissen

Dann geschieht das Unvorstellbare. Bei Dreharbeiten für einen "Bohème"-Film in Paris im Juli 1987 fühlt er sich nicht in Form. Er lässt sich im Krankenhaus untersuchen und kehrt nicht mehr ans Set zurück. "48 Stunden nach der Untersuchung wusste ich, was ich hatte", erinnerte er sich vier Jahre später. Die Diagnose Leukämie war in den Achtzigerjahren fast ein Todesurteil. Die Überlebenschancen standen eins zu zehn.

Ein noch junger Mann, der alles hatte, Familienvater von zwei Kindern und im Zenit der Karriere, stand an der Kippe zwischen Leben und Tod. Zwei Jahre zuvor war sein Cousin an Leukämie verstorben. "Ich kämpfte um mein Leben, ich wusste, dass ich wieder singen werde", sagte Carreras wenige Jahre später im Interview.

Fans schickten Genesungswünsche aus aller Welt, Kollegen und Freunde sprachen ihm Mut zu. Als er mit einem Spezialflugzeug in eine Klinik in Barcelona überstellt wurde, besuchte ihn Montserrat Caballé täglich. Rachmaninows zweites Klavierkonzert in c-Moll hörte er sich während dieser schweren Zeit immer wieder an. "Eines Tages hat es mir eine ungewöhnliche Kraft verliehen, die mir geholfen hat, diese Heimsuchung zu überstehen", blickt er heute zurück. Zehn Monate währte das Martyrium. Carreras gab nicht auf. Er unterzog sich der damals noch neuen Stammzellentherapie in Seattle. Rainer Storb, einer seiner behandelnden Ärzte am Fred Hutchinson Medical Center, nannte den Heilungsprozess "sehr schmerzhaft. Carreras war einer der ersten Überlebenden von Blutkrebs, es war ein dreifaches Wunder, dass er wieder so gut singen konnte."

Fragt man ihn heute, ob ihn die Krankheit verändert habe, gar zu einem besseren Menschen gemacht habe, meint er in der Stellungnahme für News: "Nicht besser. Ich denke, dass ich nachdenklicher geworden bin, nachgiebiger und gesprächsbereiter als davor. Ich denke, dass das jedem so geht, der eine so schwere Prüfung durchmachen muss. Außerdem bin ich wohl solidarischer geworden."

Andere hätten ihm ein so hohes Maß an Zuneigung und Großzügigkeit erwiesen, dass er jetzt der Gesellschaft, aber auch der Medizin und der Wissenschaft etwas schuldig sei, sagt er. Seine Antwort war die Gründung der José-Carreras-Stiftung, die in mehreren Ländern die Erforschung des Blutkrebses finanziert und Betroffene unterstützt. "Meine Leukämie-Stiftung ins Leben zu rufen, war eine Möglichkeit, diese Schuld abzutragen", resümiert er.

Rückkehr ins Bühnenleben

Schon ein Jahr nach der Diagnose kehrte er ins Leben zurück, zunächst als Opernbesucher in seiner Heimatstadt Barcelona, als Plácido Domingo auf der Bühne stand. Als der erfuhr, wer im Publikum war, holte er ihn zum Verbeugen vor den Vorhang, die erste Wiederbegegnung mit seinem Publikum. "Da sieht man, dass diese angebliche Rivalität zwischen den beiden nur hochstilisiert war", sagt Georg Springer, damaliger Chef der Bundestheater-Holding. "Nur etwas trennte die beiden, eine unüberwindbare Kluft. Fußball. Carreras war Barcelona-Anhänger und Domingo Real Madrid. Beide sind mir wirkliche Freunde, die ich im Leben nicht versäumt haben möchte."

Am 21. Juli 1988 stand Carreras in Barcelona wieder auf einer Bühne. Die spanische Königin Sophia reihte sich unter die Gratulanten. Im September kehrte er für einen Liederabend an die Wiener Staatsoper zurück.

Luciano Pavarotti sagte später: "Uns war nur wichtig, dass er wieder in unser Leben zurückkehrte." Pavarotti, Domingo und Carreras erfanden dann "Die drei Tenöre". Ein Konzert anlässlich der Fußball-WM 1990 in Italien sollte es werden, die Einnahmen gingen an einen guten Zweck: Pavarotti spendete für medizinische Einrichtungen, Domingo für Opfer eines Erdbebens in Mexiko und Carreras für seine Leukämie-Stiftung.

Als sich das Projekt dann zum Erfolgsmodell des Jahrzehnts auswuchs, kam auch die Häme von Kritikern und Puristen. 2004 kommentierte Carreras die Anfeindungen im Interview mit News so: "Diese Angriffe sind Teil des Spiels. Ich habe auch diese Meinungen zu akzeptieren, aber das heißt nicht, dass ich ihnen recht gebe. Man kann es nie allen recht machen. Nie." Einen seiner letzten großen Erfolge mit einem Rollendebüt verschaffte ihm der damalige Staatsoperndirektor Ioan Holender mit der Wiener Erstaufführung von Verdis "Stiffelio" im Oktober 1996.

Wie er in Erinnerung bleiben will

Sollte er Bilanz über die Opern ziehen, die ihn am stärksten bewegt haben, würde er "Carmen" nennen, lässt er News wissen, fügt jedoch hinzu: "Es wäre aber ungerecht, in diesem Zusammenhang ,La Bohème', ,Maskenball,',Werther',,Andrea Chénier' unerwähnt zu lassen." Wenn er nun die Chance des Wiederbeginns hätte?"Darauf habe ich zwei Antworten. Ich wäre gerne Wissenschaftler, Arzt, mit der Fähigkeit, der Gabe und dem Glück, das definitive Heilmittel für Leukämie und jede Form von Krebs zu entdecken. Noch lieber würde ich aber mein jetziges Leben erneut leben können: Das gäbe mir die Möglichkeit, das eine oder andere besser zu machen Ich finde, dass ich außerordentliches Glück hatte. Es wäre undankbar von mir, wenn ich mich über mein Leben beklagen wollte. Es war und ist mir vergönnt, eine Fülle von Erfahrungen zu machen, die mich menschlich bereichert haben. Ich kann dem Leben, trotz allem, gar nicht genug dankbar sein für alles, was es mir gegeben hat und noch gibt." In Erinnerung aber möchte er "als Mensch mit einwandfreier moralischer Haltung bleiben, als jemand, dem Fehler unterlaufen sind wie jedem von uns, der sich aber bei wichtigen Entscheidungen immer bemüht hat, mit Augenmaß und Aufrichtigkeit zu handeln."
Da erheben wir uns in Bewunderung von den Sitzen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr.36/21

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