Günther "Gunkl" Paal: "Distanz gehört zu den schönsten Dingen, die zwischen Menschen entstehen können"

Kabarettist Günther "Gunkl" Paal hat kein Problem mit einem weiteren Lockdown. Er lebt mit der Feststellung, dass Künstler nun eben Pause haben. Gleichzeitig propagiert er Redefreiheit, weil eine Demokratie aushalten muss, dass es auch Deppen gibt

von Kultur - Günther "Gunkl" Paal: "Distanz gehört zu den schönsten Dingen, die zwischen Menschen entstehen können" © Bild: Ricardo Herrgott

Der Künstler hat jetzt Pause." Mit dieser knappen Analyse beschreibt Gunkl nicht nur den Fakt, dass er Corona-bedingt nicht vor Publikum spielen darf. Der Wiener Kabarettist bezieht sich damit auch auf aktuelle Aktivitäten von Kollegen wie Angelika Kirchschlager und Alfred Dorfer. Sie bemühen als Teil einer Initiative aktuell das Verfassungsgericht im Aufbegehren gegen die Schließung von Kulturbetrieben. Gunkl hält dagegen: "Wenn alles funktioniert, ist es natürlich Aufgabe des Künstlers, in Möglichkeiten herumzudenken. Aber da, wo sich die Welt an harten Fakten manifestiert, muss man auf die hören, die tatsächlich etwas zu sagen haben. Und das sind aktuell eben Ärzte, Virologen und Epidemiologen. Der Künstler hat jetzt Pause."

Der 59-jährige Günther Paal, wie Gunkl mit bürgerlichem Namen heißt, ist Rationalist. Österreichs vermutlich klügster Kabarettist ist ein ebenso kühner wie kühler Denker. Deshalb lässt er gefühlsgesteuertes Jammern über fehlende Auftrittsmöglichkeiten nicht gelten: ",Das stört mich aber ' ist kein Argument. Wo viele Menschen zusammenkommen, gibt es Ansteckungen. Das ist so. Deswegen sollte man das Zusammenkommen von vielen Menschen hintanhalten. Dass es die Kultur auch trifft, ist Pech. Es gibt große, bestimmende Phänomene im Leben -und da gehört Pech einfach dazu. Also: Ja, dann verzichten wir im Moment eben auf Auftritte."

Gunkl geht Probleme und Herausforderungen aus Prinzip sachlich an. Seine Analysen sind das Ergebnis logischer Überlegung eines Mannes, der bei sich selbst schon vor Jahren das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus, diagnostiziert hat: "Ich habe eine Dokumentation gesehen und mir gedacht: 'Schau her, interessant. Da bin ich dabei.'" In weiterer Folge hat er seinen lange Zeit gehegten Verdacht zwar nie formal von einem Mediziner untersuchen lassen, aber immerhin "den Fragebogen einer Asperger-Vereinigung abgearbeitet. Das Ergebnis war für mich eine Bestätigung -aber keine, bei der ich die Faust in den Himmel gereckt habe." Eher, erinnert sich Gunkl, war es ein "Hab ich mir eh gedacht"-Moment. "Überrascht gewesen wäre ich, wenn ich Asperger nicht gehabt hätte."

© Ricardo Herrgott Günther "Gunkl" Paal fertigt als Hobby Messer aus vielschichtigem Damaszener Stahl

Die (Selbst-)Diagnose, die er schließlich 2017 in seinem Programm "Zwischen Ist und Soll" öffentlich zum Thema gemacht hat, hatte für Gunkls Leben und Selbstbewusstsein keine Konsequenzen: "Ich bin, wie ich bin. Und damit kann ich sehr gut leben. Wenn man ohnehin kein großes Bedürfnis nach dem Bad in der Menge und vielen Sozialkontakten hat, dann geht einem ja nichts ab."

Das Gute an der Distanz

Tatsächlich zählt der Künstler, der als Bassist der Band Wiener Wunder in österreichischen Filmklassikern wie "Müllers Büro","Muttertag" und "Freispiel" zu bewundern war, vermutlich zu den wenigen Menschen, denen auch ein weiterer Corona-Lockdown kein Kopfzerbrechen bereitet hat. Wer die optimale Entfernung zu seinen Mitmenschen "zwischen Steinwurf und Tagesritt" verortet, kommt mit behördlich verordneten Abstandsregeln offenbar problemlos zurecht: "Distanz ist nicht nur körperlich sinnvoll, finde ich. Auch dass man sich der geistigen Distanz zu anderen Menschen bewusst ist, ist wichtig. Distanz zählt zu den schönsten Dingen, die zwischen Menschen entstehen können."

»Von meiner Bühnenarbeit bleiben Gedanken. Beim Messerschmieden erschaffe ich etwas«

Das soll nicht heißen, dass der Sprachvirtuose, der vor seinem Erfolg als Kabarettist jahrelang als Kellner in Wiener Szenelokalen gearbeitet hat, nicht großen Gefallen an Menschen finden kann. Etwa, wenn er die Bühne mit seinem Kollegen Gerhard Walter ("Herz &Hirn II") teilt: "Was ich grundsätzlich an Menschen schätze, ist, wenn sie einen freundlichen Zugang zur Menschheit haben und sich im Zweifel für eine positive Möglichkeit entscheiden. Von Gerhard Walter stammt ein wunderschöner Satz:'Menschen sind besser als ihr Ruf.' Menschen, die so denken, mag ich."

Den Trotteln auf der Spur


Als Kabarettist wurde Gunkl mit allen relevanten Preisen geehrt, unter anderem mit dem "Salzburger Stier"(1996 für "Das Beste aus den nächsten sechs Programmen mit Ausnahme des fünften"), 2005 erhielt er den Deutschen Kleinkunstpreis, 2018 den Österreichischen Kabarettpreis. Im neuen Programm "So und anders -eine abendfüllende Abschweifung" beschäftigt er sich intensiv mit den Konsequenzen, die daraus entstehen, dass wir Ereignisse, die Nachricht über diese Ereignisse und den Überbringer dieser Nachricht nicht mehr auseinanderhalten können.

Der "Experte für eh alles", wie er früher in Alfred Dorfers TV-Show "Dorfers Donnerstalk" bezeichnet wurde, möchte Dingen auf den Grund gehen und tut das aktuell in einer neuen Staffel der "Science Busters"(mittwochs, 22.00 Uhr, ORF 1). Vor allem mag er klare Ergebnisse und Fakten, wie er sie in den Naturwissenschaften findet - vielleicht eine Folge seines Asperger-Syndroms.

"Ich bin nicht emotional gefärbt. Meine Freude entsteht dann, wenn etwas sauber funktioniert." Ein Mensch, der ihn deshalb sehr beeindruckt, ist der amerikanische Philosoph und Neurowissenschaftler Sam Harris (Sohn der "Golden Girls"-Produzentin Susan Harris):"Seine Sätze sind so brillant, elegant und wunderschön. Es ist alles durchdacht, alles abgewogen. Er weiß, dass es bei jedem Thema mehrere Seiten gibt und dass jede Seite für sich ihre eigene Position argumentieren kann. Er ist einer, der nie einfach nur sagt: Das sind Trotteln, sie liegen falsch. Er stellt sich immer die Frage: Wie kommen sie zu ihrer Ansicht?" Eine Analyse, die Gunkl selbst beschreiben könnte. "Ja. Nur zu sagen:'Das ist blöd' - das ist mir zu wenig. Es ist zwar oft eine treffende Beschreibung des Status quo, aber interessanter sind doch die Grundlagen, die zu so einer Situation führen. Ich will wissen, woher das kommt, an dem ich mich da gerade reibe."

Der Klügere darf nicht nachgeben

Politik, speziell Tagespolitik, bekommt keinen Raum in Gunkls Programmen. Das liegt daran, dass ihn Politik weniger interessiert als die dahinterliegenden Mechanismen: "Ich habe mich intensiv mit Donald Trump und der Wucht seines Vortrags beschäftigt: Er hat seine Anhängerschaft so sehr mit der Intensität seiner Lügen beeindruckt, dass sie gar nicht erst auf die Idee kommen, seine Aussagen, zumindest von Fall zu Fall, zu überprüfen. Das ist wie beim Glauben: Wenn man sich erst einmal entschieden hat, eine Person für gültig zu erachten, dann wird alles, was diese Person sagt, für richtig empfunden."

Gunkl attestiert sich selbst eine "halsstarrige Wortklauberei", die "alternativen Fakten" diametral entgegensteht: "Das Problem ist: Man sagt, dass der Klügere nachgibt. Nein! Das geht nicht. Als Klügerer darf man nicht nachgeben. Und man darf sich vom Dümmeren weder die Wahl der Waffen noch den Ort des Kampfes diktieren lassen. Denn dann hat man verloren. Man muss sauber bleiben in den eigenen Argumenten."

Schwierig wird es selbst für Gunkl beim aktuell hoch strapazierten Thema "Querdenker":"Die Redefreiheit muss grundsätzlich gelten. Und eine Demokratie muss es aushalten, dass es auch Deppen gibt. Das Problem ist: Der Motor der Redefreiheit kann Vernunft ebenso sein wie Hysterie -und die gesamte Bandbreite dazwischen. Der hysterische Vortrag ist dem Vernunftargument aber nicht zugänglich. Und ich weiß nicht, ob es wirklich hilft, wenn man die Hysteriker sich einfach leer schreien lässt."

Deshalb gönnt der für seine geschliffenen Pointen bekannte Kopfarbeiter sich und seinem Gehirn zurzeit einige Momente der Ruhe. Und zieht sich in eine Schmiede zurück, wo er wunderschöne Messer aus vielschichtigem Damaszener Stahl fertigt: "Als Kabarettist bin ich normalerweise das ganze Jahr über fleißig. Aber was ich auf der Bühne mache, ist, wenn ich hinterher in der Garderobe sitze, weg. Alles, was von meiner Arbeit bleibt, sind vielleicht ein paar Gedanken, die sich manche Leute merken. Beim Messerschmieden erschaffe ich etwas, das es tatsächlich gibt. Es ist da. Und wenn ich weggehe, ist es immer noch da -ganz ohne mein Zutun. Meine Arbeit ist buchstäblich in Stahl gegossen worden. Also nicht gegossen, sondern geschmiedet. Aber jedenfalls ist es etwas Dauerhaftes."

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr.13/21

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