„Nach oben ist
immer alles offen“

Im Burg-Ensemble verkörpert Caroline Peters seit 14 Jahren die Höchstliga. Soeben wurde sie mit dem „Nestroy“ als beste Schauspielerin ausgezeichnet, die Proben zu Simon Stones „Medea“ sind angelaufen. Derzeit begeistert sie auch in der Kinokomödie „Womit haben wir das verdient?“ als Mutter, die ihre Tochter vor dem Islam retten will. Ein Gespräch über Erfolg, Nacktheit, Metoo und unliebsame Rollen

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Kultur - „Nach oben ist
immer alles offen“

Deutschsprachige Schauspielerin des Jahres war sie schon zwei Mal. Die regionale Variante, den Nestroy für die beste Hauptdarstellerin, hat Caroline Peters soeben abgeräumt. Während sie am Akademietheater noch in Simon Stones Literaturfortschreibung „Hotel Strindberg“ als verblühende Bühnengröße begeistert, probt sie schon für das große Haus Euripides’ Frauentragödie „Medea“, abermals in der Deutung des australisch-schweizerischen Theatervisionärs. In Eva Spreitz­hofers Kinokomödie „Womit haben wir das verdient?“ versichert sie sich des amüsierten Mitgefühls ihres Publikums: Was, um Gottes willen, tun, wenn die Tochter zum Islam konvertieren will? Mit News spricht Peters über das Theater und die Aussichten, sie unter dem neuen Burgtheaterdirektor Martin Kušej in Wien halten zu können. Und über die bedrängenden Fragen der Zeit: die Kopftuchdebatte, die Notwendigkeit von Metoo und die Herkunft ihrer Mutter aus einer schlesischen Flüchtlingsfamilie.

Verleihen Auszeichnungen mehr Kraft auf der Bühne oder schaffen sie Druck?
Beides. Das bringt totale Stärke, gleichzeitig schafft es aber auch mehr Druck. Vorher konnte man aus der Deckung agieren. Jetzt wird alles immer ­daran gemessen. Ich habe mich aber über den Nestroy sehr gefreut, natürlich auch über die Wahl zur Schauspielerin des Jahres. Aber der Nestroy wird in Wien verliehen. Und das ist eine sehr starke Theaterstadt.

Im Film „Womit haben wir das verdient?“ stellen Sie eine Mutter dar, deren Tochter zum Islam übertritt. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie eine Tochter hätten, die das macht?
Ich fände das wie Wanda (die Mutter, Anm.) im Film problematisch. Ich bin selbst nicht religiös. Und ich verstehe nicht, warum Frauen sich verhüllen sollen. Ist die Verhüllung wirklich dazu da, dass die Männer nicht total verrückt werden, wenn sie mit einer Frau sprechen? Das ist doch auch ein grauenvolles Männerbild, das davon ausgeht, dass Männer überhaupt kein Gehirn haben, sondern nur aus Testosteron bestehen. Das ist Horror. Die Tochter im Film argumentiert total vernünftig. „Alle wollen uns ausziehen, wir wollen uns eben anziehen“, sagt sie zum Beispiel. Oder dass sie kein ­Opfer des „Superkapitalismus“ sein will, bei dem es nur um Marken geht.

Wie sehen Sie die Kopftuchdebatte? Sollen sich Frauen verhüllen?
Ich habe bisher eigentlich nie verstanden, warum es so eine Debatte gibt. Ich glaube an Religionsfreiheit. Beim Dreh haben wir dann sehr viel darüber diskutiert, worin die Freiheit beim Kopftuchan- oder -ablegen besteht. Unsere Beraterin war Salafistin und hat das Kopftuch abgelegt. Sie hat sehr stark gegen das Kopftuch votiert. Jene Frauen, die sich auf Druck der Glaubensgemeinschaft oder der Familie verhüllen müssen und es selber nicht wollen, haben offensichtlich keine Freiheit. Vom feminis­tischen Standpunkt finde ich Verhüllung unmöglich. Oder wenn mir jemand signalisieren würde, dass ich ein Kopftuch tragen soll, dann hätte ich ein Problem.

Sind Sie Feministin?
Ich glaube, man ist automatisch Feministin, wenn man weiblich ist und berufstätig und davon ausgeht, dass alle Menschen gleich sind. Ich ­wurde in den Achtzigerjahren in der Schule mit diesen Gedanken erzogen. Aber offensichtlich ist man doch nicht gleich. Wenn man feststellt, dass Männer mehr Geld für gleiche Arbeit bekommen, ist man schon Feminist.

Bringen Flüchtlinge, die fast nur aus patriarchalischen Gesellschaften kommen, bereits erkämpfte Frauenrechte in Gefahr?
Es gab doch immer Flüchtlinge auf der Welt. Wenn Flüchten verboten wäre, würde ich gar nicht existieren. Meine Mutter ist auch ein Flüchtlingskind. Sie wurde in Berlin geboren und wuchs in Schlesien auf. Von dort ist meine Großmutter mit ihren vier kleinen Kindern 1945 im Jänner geflohen. Wäre sie nicht auf der Flucht gewesen, wäre ich jetzt Polin aus der Nähe von Breslau. Flüchtlinge gehören zum modernen Leben auf dem gemeinsamen Globus. Die Frage ist doch, wie einigen wir uns darauf, hier gemeinsam zusammen zu leben, und zwar nicht nach Regeln, die man uns bringt, und nicht nach Regeln, die wir stur aufzwingen.

Neue Regeln will der künftige Burgtheaterdirektor Martin Kušej seinem Ensemble aufzwingen. Die Burgschauspieler sollen nur noch an der Burg spielen. Sie treten auf mehreren großen Bühnen auf und drehen nicht wenige Filme. Wird das auch bei Kušej möglich sein?
Ich habe gedacht, ich lass mich da für ein Jahr darauf ein. Vielleicht gefällt mir das ja auch. So eine Exklusivität kann doch auch cool sein. Bevor ich ans Burgtheater kam, habe ich lange frei gearbeitet und kannte das gar nicht, dass man nur an einem Ort spielen kann. Er ­bietet das jetzt einmal an. Jetzt kann ich mir ansehen, ob ich das mag. Und Stücke, die man bereits vorher an anderen Häusern gespielt hat, spielt man weiter. Und ich glaube nicht, dass man nicht drehen darf.

Der ehemalige Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann, der wegen finanzieller Unstimmigkeiten angeklagt war, ist jetzt freigesprochen. Zuvor haben sich nicht wenige Ihrer Kollegen in einem offenen Brief gegen seinen angeblich autoritären Führungsstil gewandt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Durch die Metoo-Debatte sind autoritäre, frauenfeindliche Verhaltensweisen am Theater oder in anderen Institutionen überhaupt erst sichtbar geworden. Das ist nicht mehr tolerierbar. Das ist wie mit dem Rauchen: Heute regen sich alle darüber auf, wenn sie Eltern sehen, die mit ihren Kindern bei geschlossenen Fenstern im Auto sitzen und rauchen. In meiner Kindheit war das normal. Das muss man sich mal vorstellen.

Wie sehen Sie es, dass manche Künstler im Zuge der Metoo-Debatte komplett auslöscht wurden?
Es ist so unterschiedlich, bei manchen kann man das Werk von der Person trennen. Bei manchen kann man das nicht, das ist rein emotional, dafür gibt es keine Begründung. Ich könnte mir kein Bild von Otto Mühl aufhängen. Ich denke nur an die Geschichte. Bei Harvey Weinstein geht es mir genauso. Ich finde das grauenvoll. Aber trotzdem sehe ich mir die Filme von Tarantino an. Der hat alles gewusst. Das macht ihn nicht sympathischer.

Wie sehen Sie den immer stärkeren Rechtsruck in Europa?
Den gibt es sogar in Australien. Das ist ein totaler Horror. Das ist das Letzte, womit ich gerechnet habe. Ich dachte immer, die Welt werde ununterbrochen offener. Jetzt tritt ­genau das Gegenteil ein. Was meine Großeltern in den Zwanzigerjahren erlebt haben, dass die gesamte europäische und westliche Welt gleichzeitig nach rechts rutscht und sich die Faschisten überall die Hand reichen konnten. Ich finde das grauenvoll. Aber mehr als manchmal auf eine Demo zu gehen, fiel mir bis jetzt noch nicht ein.

Weshalb sind die Donnerstag-Demos in Wien in diesen Monaten schwächer besucht als jene im Jahr 2000 gegen die schwarz-blaue Regierung?
Möglicherweise denken die meisten, dass der Protest im Internet stattfinden muss. Aber dafür bin ich nicht digitalisiert genug, um zu wissen, was da alles abläuft. Vielleicht demonstrieren ja viele für mich unsichtbar im Netz, und ich demonstriere für die unsichtbar auf der Straße.

Stimmt es, dass Sie sich, nachdem Ihr Facebook-Account gefälscht worden ist, aus den sozialen Medien zurückgezogen haben?
Ja, das war direkt unheimlich. Aber die Aufregungskultur im Internet ist mir auch zu stark. Ich brauche diese Aufregung, diese Adrenalinkicks einfach nicht. Es kickt mich genug, wenn ich zehnmal im Monat auftreten muss. Und von meiner Generation werden diese Kicks viel krasser empfunden als von Jugendlichen. Ich sehe das in meiner Familie. Die Neffen und Nichten schreiben da ganz nebenbei etwas ins Handy, das ich krass finde, und sie lächeln dazu. Etwa Dinge wie: „Du miese Schlampe, wir sind schon lange keine Freunde mehr.“ Und am nächsten Tag grüßen die einander auf dem Schulhof wieder. Ich könnte das nicht. Da sind die offensichtlich anders.

In der Regie von Simon Stone zeigen Sie demnächst eine neue, eine heutige Version der Medea am Burgtheater. Wie ist das, diese Frau, die ihre eigenen Kinder umbringt, darzustellen?
Das ist ein Mythos, da kann ich abstrahieren, aber ich könnte nie in einem Stück spielen, in dem ich vergewaltigt werde und kein Recht bekomme. Das würde mich zu sehr treffen.

Weshalb?
Weil ich das nicht zeigen und nicht sehen will. Wenn man eine vergewaltigte Frau darstellt, zeigt man nur, dass sie vergewaltigt wird, und das will ich nicht zeigen.

Stimmt es, dass Sie noch nie nackt auf der Bühne waren, und warum?
Ich finde das völlig unnötig. Denn die Zuschauer können dann an nichts anderes denken, als dass sie jemanden Nackten auf der Bühne sehen. Da kommt jeder Inhalt sofort zum Stillstand.

Sie haben in Ihrem Beruf alles erreicht. Sie spielen an den größten Häusern, sind erfolgreich im Film. Denken Sie manchmal daran, was noch kommen könnte?
Es gibt noch internationale Filme. Oder eine amerikanische Serie. Nach oben ist doch immer alles offen.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 48/2018