Werden Computer bald
unser Denken übernehmen?

Ein Computer besiegte jüngst den Go-Meister Ke Jie. Künstliche Intelligenzen wie AlphaGo haben die Fähigkeit, selbst zu lernen. Noch braucht man einen Lastwagen voller Hardware, um ein menschliches Gehirn zu besiegen. Aber die Entwicklung schreitet rasend schnell voran.

von Computeranimiertes Gehirn © Bild: Shutterstock.com

"Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist " Borgen wir uns diesen Satz von Beinahe-Bundespräsident Norbert Hofer aus und stellen ihn dorthin, wo er zweifelsfrei richtig ist: zur Entwicklung immer mächtigerer Computerprogramme. Sie als "künstliche Intelligenzen" zu bezeichnen ist heute noch ein wenig hochtrabend.

Aber nicht mehr lange.

Im Jahr 1950, als Computer noch ganze Säle füllten, stellte der britische Mathematiker Alan Turing eine Frage, die weit in die Zukunft blickte: Wann würden Computer so intelligent sein wie Menschen? Und wie würde man das feststellen? Turings verblüffend einfache Antwort: Man stelle einem verborgenen Menschen und einem verborgenen Computer die gleichen Fragen. Wenn der Fragesteller nicht herausfinden kann, welche Antworten vom Menschen und welche vom Computer kommen, dann sei dieser Computer zweifellos intelligent.

Man kann Turings Frage auch anders stellen: Ist Software intelligent, wenn sie sich selbst beigebracht hat, den weltbesten Champion des schwierigsten Brettspiels der Welt zu schlagen? So geschehen Ende Mai in der chinesischen Stadt Wuzhen. Dort trat das 19-jährige Go-Wunderkind Ke Jie gegen die künstliche Intelligenz Alpha-Go an - und verlor 3:0. Andere kaum weniger mächtige Go-Champions hatten sich schon vorher geschlagen geben müssen: Europameister Fan Hui 5:0, Südkoreas Topspieler Lee Sedol 4:1.

Lernfähiger Computer

Aber ist die Bezeichnung "künstliche Intelligenz" für einen Lastwagen voller Hardware und viele Millionen Programmzeilen nicht etwas hochtrabend? Ja, wenn dieses Programm von Menschenhand erstellt worden wäre. So wie vor 20 Jahren bei Deep Blue, dem legendären Schachcomputer von IBM, der 1997 Weltmeister Garri Kasparow bezwang. AlphaGo aber hat sich Go selbst beigebracht. Wie genau das geht, ist nach wie vor das Geheimnis der Google-Tochter DeepMind. Aber die großen Züge sind bekannt. AlphaGo-Schöpfer Demis Hassabis stellte sie in einem Vortrag an der britischen Eliteuniversität Cambridge vor.

Ziel von DeepMind und seinen etwa 100 wissenschaftlichen Mitarbeitern sei es, die erste allgemein brauchbare Lernmaschine zu bauen, verkündete Hassabis. Also einen Computer, der alles kann: medizinische Analysen genauso wie Wettervorhersagen - oder eben auch das schwierigste Brettspiel der Welt. Alles, was die Schöpfer von AlphaGo ihrem Geschöpf auf seinen elektronischen Lebensweg mitgaben, war die Fähigkeit, selbst zu lernen. Und das eben ganz allgemein, und nicht bezogen auf spezielle Probleme.

Hassabis macht das an einem Beispiel aus der Anfangszeit des Projekts AlphaGo deutlich: "Wir zeigten dem System, worauf es bei Spielen aus der Frühzeit des Computers ankommt. Wir gaben ihm das Ziel vor und ließen es den Weg dorthin selbst finden." Nach nicht mehr als 500 Versuchen war die künstliche Intelligenz bei einfachen Games aus der Welt der Atari-Konsolen, etwa "Space Invaders", auf einem absoluten Meisterlevel angekommen. Beim unendlich schwierigeren Go-Spiel waren Hunderttausende Versuche nötig. Die für das Erlernen des Spiels nötige Rechenleistung kam aus der Cloud-Plattform von Google. Bei den Turnieren gegen menschliche Gegner wurden an die 2.000 CPUs und 280 GPUs verwendet. "Und das alles gegen ein menschliches Gehirn und eine Tasse Kaffee", ätzte ein Beobachter. Mag sein, dass man heute noch einen Lastwagen voller Hardware und dicke Stromkabel braucht, um 1,2 Kilogramm Gehirnmasse mit einem Energieverbrauch von 20 Watt zu besiegen. Aber die Entwicklung von Prozessoren und Speichern schreitet rasend schnell voran. Und die Devise lautet: immer kleiner, immer schneller, immer billiger. Und selbst wenn künstliche Intelligenzen wie Alpha-Go nie in unser Smartphone passen werden -sie werden über lichtschnelle Datenleitungen auf iPhone und Co. zu unserer Verfügung stehen.

Vollkommene Software

Wenn wir uns auf unserem Handy oder am PC mit Programmen quälen, deren Unvollkommenheit uns immer wieder verzweifeln lässt, dann haben wir Mühe, an die Existenz vollkommener Software zu glauben. Aber es gibt sie, zumindest ansatzweise. Zum Beispiel bei der Bilderkennung.

Niemand ist imstande, in Worten exakt zu beschreiben, was das Gesicht eines Menschen ausmacht. Oder wann ein Hund ein Hund ist. Selbstlernende Computerprogramme aber sehen sich ein Foto nach tausenden Kriterien an. Und urteilen am Schluss: "Das ist ein Hund". Ist diese Antwort falsch, verändert das Programm eine seiner vielen elektronischen Stellschrauben. Macht sie leichter zugänglich oder baut eine hohe Mauer um sie. Und dieser Vorgang wird so oft wiederholt, wie die Antwort falsch ist. Irgendwann aber wird die Antwort richtig sein. Und dann hat dieses Programm gelernt, einen Hund einen Hund sein zu lassen.

Der Fachbegriff für diese sich selbst trainierenden Programme lautet "neuronales Netz". Weil auch in unseren Gehirnen jene Nervenverbindungen (Neuronen) gestärkt werden, deren Benutzung zum richtigen Ergebnis geführt hat.

Nach den Meisterpartien von AlphaGo stellten die Geschlagenen erstaunt fest, die künstliche Intelligenz habe erfolgreiche Spielzüge gemacht, an die auch die größten Go-Könner nicht gedacht hätten. Mitte Juni 2017 verkündete Microsoft stolz, eine von ihm entwickelte KI habe zum ersten Mal die höchstmögliche Punktezahl bei "Ms. Pac-Man" erreicht. Etwas, was noch kein Mensch geschafft hatte. Und daher auch niemand einem Computerprogramm hätte beibringen können. Es hatte es sich selbst beigebracht.

Rechtliche Fragen

Selbstlernende Programme stehen übrigens auch hinter dem großen Erfolg von Spracherkennung an Handy und PC. Noch vor ein paar Jahren musste man etwa Dragon Dictate mühsam mit der eigenen Stimme bekannt machen. Und dann nach jedem Wort eine kurze Pause einlegen. Heute aber kann man ohne jedes vorbereitende Training loslegen. Und bitte ohne Pausen! Künstliche Intelligenzen haben aufgrund Zehntausender Sprachfiles herausgefunden, wie ein Wort in Hamburg klingt und wie im Burgenland. Oder sie erkennen mit fast 100 Prozent Verlässlichkeit Ziffern und Buchstaben auf Zahlscheinen.

Juristen grübeln inzwischen über einer heiklen Frage: Wer ist schuld, wenn ein selbstlernendes Programm sich falsche Dinge beigebracht hat? Eine Frage ohne jede Bedeutung bei Go und Pac-Man, aber von großer Bedeutung, sobald von künstliche Intelligenz gelenkte Autos auf unseren Straßen unterwegs sind. Oder medizinische Diagnosen fällen.