Ödipus -"Rocky" im Kampf
gegen das Schicksal

Achim Freyer inszenierte George Enescus „Oedipe“ für die Salzburger Festspiele.

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Kritik - Ödipus -"Rocky" im Kampf
gegen das Schicksal

Rote Boxerhandschuhe, Shorts, ein weißer Frotteemantel, ein vor Muskeln strotzender Körper. Hat sich da Rocky Balboa auf die Bühne der Salzburger Felsenreitschule verirrt? Warum aber ist von ihm nicht sein legendärer Ruf „Adrian“ zu hören, den er nach jedem Sieg an seine Frau adressiert? Klar, denn das ist nicht Rocky Balboa, es ist der britische Bariton Christopher Maltman in Gestalt des antiken Ödipus in George Enescus gleichnamiger Oper. Inszeniert hat der Berliner Künstler Achim Freyer. Bereits am Eingang der Felsenreitschule wird signalisiert: Hier findet totales „Musik“-Theater statt.

Eine Skulptur, bunt und sechs Meter hoch, prangt an der Wand. Die Augen der Steinmasken über dem Portal sind mit roten Bändern verhüllt. Freyer, der in den 85 Jahren seines Lebens mit Inszenierungen wie Mozarts „Zauberflöte“ Operngeschichte geschrieben hat, fasziniert oder verärgert mit seinen bizarren Bilderwelten und seinen surrealen Gestalten. Nur eines gelingt ihm nie, zu langeweilen. Das war auch bei seiner Deutung des antiken Ödipus-Mythos in der Vertonung des rumänischen Komponisten George Enescu so. Seine Bilder brachte Freyer packend mit der opulenten Partitur in absoluten Einklang. Aufwühlend führt er durch das Leben dieses tragischen, antiken Helden von der Geburt bis zum Ende.

Auf der dunklen Bühne der Felsenreitschule, deren Gänge und Winkel Freyer ideal nützt, liegt ein verlorenes, neugeborenes Kind. Dass es ein Königssohn ist, der später seinen Vater töten, seine Mutter ehelichen und seine eigenen Geschwister in die Welt setzen soll, ahnt das Wesen noch nicht. Freyer verfolgt den Lebens- und Leidensweg dieses Wesens in jeder Stufe. Schon früh stattet er es mit roten Boxershorts aus. Es ist für den Kampf bestimmt. Als der Jüngling von seinem Schicksal erfährt, beschließt er dagegen anzutreten. Rocky Balboas Gegner heißt Apollo Creed. Er kann gegen ihn von Angesicht zu Angesicht in den Ring steigen. Auch Ödipus’ Widersacher heißt Apollo, aber der ist ein Gott, der aus dem Unsichtbaren waltet. Weil Laios, Ödipus’ Vater sich gegen die Götter schuldig gemacht hat, ist es ihm verboten, sein Herrschergeschlecht fortzupflanzen. Er aber zeugt mit Iokaste den Sohn Ödipus, und der muss für ihn büßen.
Freyer hat für den Mythos in eine wundersame Märchenwelt geschaffen. Ein Gaisbock als Hirte, schwarze Gestalten, der Seher Teiresisas wandelt auf Stelzen, eine überdimensionale aufblasbare Puppe sind nur einige Gestalten dieses Kosmos. In dessen Zentrum agiert Christopher Maltman. Wie er mit seinem dunklen Timbre das Psychogramm dieser Figur zeichnet, ist konkurrenzlos. Aufwühlend hadert er mit sich und seinem Schicksal. Wenn er sich das Augenlicht raubt und in der Blindheit sein Innerstes erblickt, zeigt er überwältigendes Schauspielertheater. Auch vom übrigen Ensemble gibt es nur Gutes zu berichten: Die französische Mezzosopranistin Anaik Morel ist eine intensive Jocaste. John Tomlinsons Bass verfügt verleiht dem blinden Seher Teiresisas eine besondere Aura. Chiara Skerath lässt als Antigone aufhorchen. Michael Colvin (Laios), Brian Mulligan (Kreon), Eve-Maud Hubeaux (Sphinx) formieren ein hervorragendes Ensemble, das auch in den kleinen Partien überzeugt. Ingo Metzmacher kehrt am Pult der Wiener Philharmoniker den Klangmaler Enescu hervor, dem bei den Salzburger Festspielen auch der Schwerpunkt „Zeit für Enescu“ gewidmet ist. Er schwelgt in der überbordenden Partitur, bei der auch eine singende Säge zum Einsatz kommt. Manchen Passagen klingen so, als wären die Klangfarben Debussys in dicken Schichten aufgetragen. Aber genau das ist Enescu. So gerät diese Produktion auch zur musikalischen Hommage an den rumänischen Komponisten. Ein singulärer Buhrufer wurde vom Jubel übertönt.

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