Krisper: "Es geht nicht um Kanzler Kurz, es geht um das Prinzip"

Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper ist nicht erst seit ihrer Anzeige gegen Sebastian Kurz wegen vermuteter Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss das erklärte Feindbild der ÖVP. Wie es dazu kam. Und wie die Politikerin mit ihrer harten Linie um Achtung für das Parlament ringt.

von Innenpolitik - Krisper: "Es geht nicht um Kanzler Kurz, es geht um das Prinzip" © Bild: Ricardo Herrgott
Stephanie Krisper studierte Rechtswissenschaften in Wien, Paris und Venedig. Die Menschenrechtsexpertin arbeitete u. a. bei verschiedenen NGOs, im UN-Flüchtlingskommissariat, bei der Volksanwaltschaft und beim Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte, wo sie sich mit Folterprävention befasste. 2013 kandidierte die gebürtige Wienerin erstmals für die Neos bei einer Nationalratswahl, 2017 schaffte sie dann auch erstmals den Sprung ins Parlament. Krisper ist verheiratet und hat drei Kinder.

Stephanie Krisper ist keine, die sich in Debatten mit Zwischenrufen in den Vordergrund brüllt. Zuletzt bei "Im Zentrum" des ORF konnte man minutenlang vergessen, dass sie überhaupt im Studio ist. Sie redet nur, wenn sie drankommt, wägt ihre Worte in gepflegter Sprache ab. Tritt sie im Parlament ans Rednerpult, liest sie penibel Formuliertes vom Blatt. Sie gehört nicht zu den mitreißenden Rednerinnen im Hohen Haus, aber was sie sagt, ist - vor allem für Menschen auf der Regierungsbank -oft nicht angenehm. Dass ausgerechnet sie mit einem unbedacht (und entnervt) ins offene Mikro gemurmelten "Die gehen mir am O , alle" für eine der unkultivierteren Episoden im laufenden Ibiza-Untersuchungsausschuss gesorgt hat, bereitet ihr immer noch ein sichtbares Unbehagen. Doch dass die ÖVP diesen Fehltritt seither zum Skandal hochstilisiert, hat möglicherweise weniger mit Sorge um die Debattenkultur im Parlament zu tun, sondern vielmehr damit, wie Krisper -normalerweise -im U-Ausschuss auftritt: eher leise, aber insistierend. Damit hat sie schon so manche Auskunftsperson aus türkisen Kreisen in Erklärungsnotstand gebracht.

Vor einem Jahr - die erste U-Ausschusssitzung stand noch bevor -formulierte Krisper im News-Gespräch ihre Erwartungen an die Auskunftsperson Sebastian Kurz, dessen Auftritt für 24. Juni 2020 angesetzt war: "Ich war schockiert von seinen Aussagen im BVT-U-Ausschuss", sagte Krisper damals. "Neu für ihn war nämlich anscheinend, und darauf wird er diesmal vorbereitet sein, dass er Fragen auch beantworten muss. Vielleicht hat er auch gelernt, dass die Strategie schlecht ist, so zu tun, als wäre man schlechter informiert als ein durchschnittlicher Zeitungsleser. Die ÖVP ist seit Kurz dafür bekannt, dass sie Message Control betreibt, über alles Bescheid weiß und von der Spitze her durchdirigiert ist. Dass der Bundeskanzler nichts von Postenbesetzungen in äußerst relevanten staatsnahen Betrieben wusste, muss er uns erst mal klarmachen."

»Auskunftspersonen sollen nicht glauben, sie könnten wie bei einem Plauderstündchen irgendetwas behaupten«

Offenbar verstand der Kanzler die Vorbereitung auf seine Aussage anders als von der Neos-Abgeordneten erwartet. Und offensichtlich hatte er dabei nicht damit gerechnet, dass Chatnachrichten bekannt werden würden, die er mit dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium und heutigen ÖBAG-Chef Thomas Schmid vor dessen umstrittener Kür ausgetauscht hatte. Resultat: Das schnoddrige Geplauder konterkariert die Aussagen Kurz' im U-Ausschuss. Krisper schickte deshalb eine Sachverhaltsdarstellung an die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft. Diese sah darin ausreichend Substrat, um Ermittlungen wegen vermutlicher Falschaussage einzuleiten. Der Kanzler könnte vor Gericht landen und die Causa dominiert die innenpolitische Debatte.

Die ÖVP wirft Krisper vor, ständig Anzeigen gegen Auskunftspersonen zu erstatten. Sie selbst erklärt ihre Vorgangsweise so: "Wenn ich in einem U-Ausschuss einen Widerspruch zwischen den Aussagen von zwei Auskunftspersonen sehe oder einen Widerspruch zwischen Aussagen und Akten, ist der Verdacht sehr stark, dass es zu einer Falschaussage oder Unwahrheit kam. Da erstatte ich aus Prinzip Anzeige, weil es darum geht, das Parlament als Kontrollgremium zu stärken und Konsequenzen bei Falschaussagen zu setzen. Auskunftspersonen sollen nicht glauben, sie könnten wie bei einem Plauderstündchen irgendetwas behaupten. Dann hätte das Instrument U-Ausschuss nämlich keinen Sinn mehr."

© Ricardo Herrgott Als Neos-Aufdeckerin gerät Krisper nun selbst unter Beschuss der ÖVP

Gerade rund um den Ibiza-Untersuchungsausschuss prallen zwei Welten aufeinander: jene der ÖVP, die parlamentarische Debatten auch im Normalbetrieb kurz - und für sie schmerzlos -halten möchte. Und jene der Opposition, die in politische Entscheidungen eingebunden werden will und die parlamentarische Kontrolle der Regierungsarbeit vorantreibt. "Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden" - so hat Kurz nach seiner Abwahl durch die Abgeordneten von FPÖ, SPÖ und Liste Pilz im Jahr 2019 sein Unverständnis klargemacht. Dabei wählen die Österreicherinnen und Österreicher dieses Parlament und nicht - wie von Regierenden gerne behauptet -die Bundesregierung. Heißt: Wer das Parlament nicht ernst nimmt, nimmt auch die Wählerinnen und Wähler nicht ernst genug. Darum geht es vielen Abgeordneten - vor allem, wenn sie keiner Regierungspartei angehören. "Es ist wichtig, das aufzuzeigen", sagt Krisper. "Es geht nicht um den Kanzler Kurz, es geht um das Prinzip, dass jeder, der vor dem U-Ausschuss steht und die Unwahrheit sagt, mit Konsequenzen rechnen muss. Weil sonst das Parlament - und damit das Volk -respektlos behandelt wird. Das können wir uns nicht gefallen lassen. Nicht weil wir Opposition sind, sondern weil wir Abgeordnete sind."

Aufgeheizte Stimmung

Die ÖVP kritisiert am U-Ausschuss die " Verhörmethoden" der anderen Parteien, es herrsche ein untergriffiges, vorverurteilendes Klima. Als "Stresssituation" will man die Widersprüche erklären, die Kurz vorgeworfen werden. Krisper hat jene vier Stunden, die der ÖVP-Chef im Juni 2020 im Untersuchungsausschuss zugebracht hat, anders in Erinnerung: "Wenn ein Kanzler in einen Untersuchungsausschuss kommt, ist es ruhig und konzentriert und er hatte jegliche Zeit, auf unsere Fragen zu antworten. Es ist irritierend, wenn er jetzt behauptet, dass er in einer Drucksituation gewesen ist. Und wenn, muss man sich schon fragen, wie eine Geschäftsordnungsdebatte den Kanzler so aus der Ruhe bringen kann, dass er nicht mehr weiß, was er sagt. Ich halte das für ein völlig vorgeschobenes Argument." Kurz habe lange, konzentriert und "in einer ausweichenden Art" ausgeführt, was er sagen wollte: nämlich nicht in den Postenschacher involviert gewesen zu sein. "Es war ihm wichtiger, den Schein aufrechtzuerhalten, als für Aufklärung zu sorgen", sagt Krisper.

»Das können wir uns nicht gefallen lassen. Nicht weil wir Opposition sind, sondern weil wir Abgeordnete sind«

Aber auch die Neos-Abgeordnete wird rund um den Untersuchungsausschuss in die Mangel genommen. ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger warf Krisper zuletzt in einer Pressekonferenz vor, sie habe sich - gegen die Regeln -mit dem ehemaligen Novomatic-Geschäftspartner Peter Barthold getroffen, als seine Ladung in den U-Ausschuss bereits feststand. Sie habe ihn auf die Aussage vorbereitet. Wegen eines entsprechenden Berichts der Onlineplattform EU-Infothek hat Krisper geklagt und in erster Instanz verloren, wogegen sie Berufung eingelegt hat. Hanger sieht dennoch "wasserdichte Beweise", dass Krisper die Unwahrheit gesagt habe. Krisper stilisiere sich zur "selbst ernannten Aufdeckerin", es zeige sich nun aber ein anderes Bild.

Krisper selbst sieht das anders: "Tatsache ist, dass ich aktiv geklagt habe und mich damit freiwillig in die Wahrheitspflicht begeben habe, um einfach zu sagen, wie es ist: dass ich niemanden auf eine Befragung vorbereite. Das lasse ich mir von niemandem unterstellen." Dabei stellt die Neos-Abgeordnete gar nicht in Abrede, dass sie Barthold "in den letzten zwei Jahren mehrfach getroffen habe. Uns verbinden Themen, wo wir uns Sorgen machen: die mögliche Einflussnahme der Glücksspiellobby auf die Glücksspielgesetzgebung, der mangelnde Spielerschutz mit dem entsprechenden Leid in der Gesellschaft und die Frage, wie Strafverfahren in Österreich verlaufen, wenn die Novomatic oder deren Vertreterinnen und Vertreter im Fokus der Ermittlungen standen."

Weniger ernst zu nehmen als der Ausgang dieses Gerichtsverfahrens, aber jedenfalls eigenartig ist hingegen ein Mail, das Krisper letzte Woche erhielt: "Zuerst hab ich gedacht, das ist wieder ein Hassmail:,Lassen Sie den Herrn Hanger in Ruh, er ist der Beste und Sie sind eine Hex'!' Aber dann hab ich registriert, dass es von ihm kommt und was es ist: Die ÖVP, die schon seit Längerem versucht, den Untersuchungsausschuss zu diffamieren, legt Sudeldossiers über mich und andere Abgeordnete der Opposition an." Dinge "wie das eben wieder falsche ,O '-Zitat" seien da zu finden, aber sonst wohl nicht viel, meint Krisper, der Hanger versehentlich das Dossier über den SPÖ-Abgeordneten Kai Jan Krainer geschickt hat, "denn wir versuchen ja, trotz der aggressiven Art der ÖVP unsere Aufklärungsarbeit im U-Ausschuss zu machen".

»Ich würde viel mehr leiden, wenn ich als Bürgerin vor dem Fernseher sitzen und mitbekommen würde, was passiert, und nichts tun könnte«

Das Mail-Postfach der Neos-Angeordneten füllt sich aber nicht nur mit bizarren Irrläufern aus dem ÖVP-Klub, "Immer, wenn etwas polarisiert, sei es im U-Ausschuss, sei es in der Migrationsdebatte, bekomme ich von beiden Seiten mehr Post. Nur merkt man sich leider die bösen Sätze mehr. Da funktioniert das menschliche Gehirn leider nicht so, dass es für einen hilfreich ist." Angst würden ihr solche Nachrichten nicht machen, sagt Krisper: "Beängstigend finde ich eher, eine ÖVP mit ihrer Medienmacht, eine Novomatic und andere einflussreiche Player im Land als klare Gegner zu wissen."

Seit 2017 sitzt die studierte Juristin und Menschenrechtsexpertin für die Neos im Parlament. Sie hat vor allem in U-Ausschusszeiten eine 70-Stunden-Woche und mehr Aufmerksamkeit, als sie eigentlich wollte: "Es ist immer das Lustigste für mich, wenn mir jemand vorwirft, ich würde das Rampenlicht suchen und nach Kameras gieren. Ich habe die Agenden Inneres und Asyl übernommen, und da habe ich nicht mit einem derartigen Fokus auf mich gerechnet." Doch dann kam die Razzia beim BVT, Krisper musste als Expertin für Inneres in den damaligen U-Ausschuss, und weil sie dort so hartnäckig an der Sache blieb, durfte sie auch gleich den Ibiza-U-Ausschuss übernehmen. Ob sie den Wechsel vom renommierten Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte in die Politik je bereut hat? "Ich würde viel mehr leiden, wenn ich als Bürgerin vor dem Fernseher sitzen und mitbekommen würde, was passiert, und nichts tun könnte. Aber so kann ich am nächsten Tag ins Büro fahren und mir überlegen, was ich tun kann."

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 20/2021.