Herbert Saurugg: "Bei einem Blackout ist sofort alles aus"

Herbert Saurugg, internationaler Blackout und Energiewende-Experte, rechnet mit einem Blackout in den nächsten fünf Jahren. Bereits im Juli 2020 warnte er im Interview mit News vor den Gefahren eines solchen Zusammenbruchs, dem Europa erst letzten Freitag nur knapp entgangen ist.

von Krise - Herbert Saurugg: "Bei einem Blackout ist sofort alles aus" © Bild: Shutterstock/Refat
Herbert Saurugg ist internationaler Blackout und Energiewende-Experte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker und Interviewpartner zu einem europaweiten Strom und Infrastrukturausfall. Seit rund 10 Jahren beschäftigt er sich mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgungssicherheit robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net.

News: SPÖ Verteidigungssprecher Robert Laimer warnte vor einer Blackout-Gefahr: „Die Corona-Krise ist noch lange nicht verdaut, da bahnt sich bereits die nächste Krise an: Ein Blackout“, so Laimer. Wie real ist diese Gefahr?
Herbert Saurugg: Leider sehr real. Gerade die vergangenen Wochen waren wieder eine enorme Herausforderung für die Systemsicherheit. Diesmal nicht wegen zu wenig, sondern wegen zu viel Strom. Die Situation hat sich durch das Ende des Lockdowns wieder stabilisiert. Aber nun stehen bereits die nächsten Herausforderungen vor der Tür: Sollte es wie angekündigt zu einem sehr heißen und trockenen Sommer mit Extremwetterereignissen kommen.

Bereits im August 2015 war die Lage in Polen sehr kritisch, weil Kraftwerke nicht mehr ausreichend gekühlt werden konnten. Man war auf Eskalationsstufe 19 von 20, kurz vor Flächenabschaltungen. Wenn in einer solchen Situation noch etwas schief geht, kann der berühmte Dominostein umfallen und weite Teile Europas mitreißen. Wir haben ja ein europäisches Verbundsystem, das nur als Ganzes funktioniert. Das wird gerne vergessen. Sollte es in einer angespannten Situation irgendwo zu einem zusätzlichen größeren Zwischenfall kommen, wie zuletzt vor zwei Wochen in der Schweiz, wo ein großer Strommast gesprengt, also sabotiert wurde, könnte das eine unfassbare Katastrophe auslösen.

Das Österreichische Bundesheer, wie auch ich, rechnen mit einem solchen Ereignis binnen der nächsten fünf Jahre. Die Lage spitzt sich seit Jahren zu und das was in den nächsten drei bis fünf Jahren, vor allem in Deutschland, geplant ist, Stichwort Atom- und Kohleausstieg, wird sich technisch und physikalisch nicht ausgehen. Zwar wird das die meiste Zeit des Jahres gelingen, aber das reicht im Stromversorgungssystem nicht aus. Hier muss die Balance zu jedem Augenblick ausgeglichen sein, sonst kommt es zum Kollaps.

»Bei einem Blackout kommt so gut wie alles zeitnah zum Stillstand«

„Die Auswirkungen würden die österreichische Bevölkerung weitaus härter treffen als die Corona-Krise“, so Laimer. Welche Auswirkungen hätte denn ein Blackout?
Bei einem Blackout, also einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall, kommt so gut wie alles zeitnah zum Stillstand: Kein Licht, kein Handy, kein Internet, kein Festnetz, kein Kochen, keine Ampeln, kein Tanken, keine Kassen, der öffentliche Verkehr steht still, Aufzüge und Skilifte bleiben stecken.

Das Problem ist auch nicht der Stromausfall allein. Darauf bereiten sich die Netzbetreiber seit langem vor. Der wirkliche Knackpunkt ist die Telekommunikationsversorgung, die auch dann noch länger nicht funktionieren wird, wenn der Strom bereits wieder fließt, was in Österreich etwa nach einem Tag zu erwarten ist. Es wird aber wahrscheinlich danach noch mehrere Tage dauern, bis die Handy- und Datennetze wieder funktionieren. Einerseits, weil mit vielen technischen Problemen und zum anderen mit massiven Überlastungen zu rechnen ist. Und ohne Telekommunikation gibt es weder eine Produktion noch eine Warenverteilung. Und das wird dann wirklich dramatisch, weil die wenigsten Menschen darauf vorbereitet sind, sich zumindest zwei Wochen selbst versorgen zu können. Das werden wir aber brauchen.

Während der Coronakrise konnte noch viel organisiert und improvisiert werden. Bei einem Blackout wird das alles nicht funktionieren. Zumindest nicht in der Phase 1 + 2.

© Herbert Saurugg/beigestellt Die Phasen eines Blackouts

Was ist überhaupt ein Blackout im Vergleich zu einem Stromausfall?
Einen Stromausfall haben schon die meisten von uns erlebt. Irgendwo fällt eine Leitung aus. Meistens durch einen Bagger oder durch Unwetter. Da kann dann meistens eine Ersatzschaltung vorgenommen werden und die Stromversorgung funktioniert wieder binnen Minuten oder manchmal wenigen Stunden.
Bei einem Blackout kommt es aber zu einem kompletten Zusammenbruch des Stromnetzes. Einen Kollaps. Kraftwerke schalten zum Eigenschutz ab und die meisten können nicht mehr von sich auch hochfahren. Nur sogenannte schwarzstartfähige Kraftwerke können das. Mit diesen wird dann nach und nach wieder ein Netz aufgebaut und die anderen Kraftwerke zugeschalten. Das dauert. Bis wieder in ganz Europa eine stabile Stromversorgung zur Verfügung steht, wird es zumindest eine Woche dauern, so die Einschätzungen der Experten.

»Ein Teufelskreis, dem vor allem durch eine breite Ignoranz begegnet wird«

Inwiefern ist Österreich auf ein solches Szenario vorbereitet?
Überhaupt nicht. Denn wir wissen seit 2015 aus der Studie „Ernährungsvorsorge in Österreich“, dass sich rund ein Drittel der Bevölkerung maximal vier Tage und rund zwei Drittel maximal eine Woche selbst versorgen kann. Die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wird aber frühestens wieder in der zweiten Woche breiter anlaufen können. Dann haben wir aber bereits rund sechs Millionen Menschen, die hungern. Noch schlimmer ist, dass das auch jene Menschen und deren Familien betrifft, die bei Einsatzorganisationen oder Unternehmen tätig sind, welche die Notversorgung am Laufen halten oder den Wiederanlauf organisieren sollten. Daher fehlt es nicht nur an organisatorischen Maßnahmen, sondern vor allem an der wesentlichen Basis: Der Eigenversorgungsfähigkeit der Menschen. Ohne diese werden auch viele organisatorischen Maßnahmen nicht greifen. Ein Teufelskreis, dem vor allem durch eine breite Ignoranz begegnet wird.

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Wie kann man sich als Bürger auf einen Blackout optimal vorbereiten?
Eigentlich ganz einfach: Jeder von uns sollte in der Lage sein, sich zumindest zwei Wochen selbst versorgen zu können. Dazu gehören 2 Liter Wasser pro Person und Tag. Das für 3-5 Tage, sollte es auch ein Problem bei der Wasserversorgung geben. Haltbare Lebensmittel und Medikamente für zwei Wochen. Ein Batterieradio (Autoradio nicht vergessen!), Taschenlampen, Erste-Hilfe-Ausstattung, Müllsäcke, bei Bedarf auch Kleinkindernahrung oder Tiernahrung. Das was von den Zivilschutzverbänden schon seit langem empfohlen wird.
Wir können alle recht rasch und einfach etwas dazu beitragen, damit es uns nicht ganz so schlimm treffen kann. Wir müssen es nur wollen und tun. Dann geht es sich auch in kleinen Wohnungen aus, dass man noch etwas verstaut. Eines kann man aber vergessen: Eine Hilfe von wo anders wird es nicht geben! Nur die Nachbarschaftshilfe. Aber wenn alle nichts haben, gibt es auch die nicht.

»Jeder von uns sollte in der Lage sein, sich zumindest zwei Wochen selbst versorgen zu können«

Gibt es so etwas wie Verhaltensregeln bei einem Blackout?
Ja, ich stelle dazu eine eigene Checkliste auf meiner Homepage (www.saurugg.net/selbsthilfe) zur Verfügung. Das Wichtigste ist, dass wir uns in unserem eigenen Umfeld helfen müssen. So lange wir zusammenhalten und versuchen, die Krise gemeinsam zu bewältigen, werden wir das auch schaffen. Die Einsatzorganisationen sind selbst betroffen und haben auch eigene Familien. Daher muss die Hilfe lokal organisiert werden. Und wir alle müssen mithelfen.

» Bei einem Blackout werden wir dieses Glück wahrscheinlich nicht mehr auf unserer Seite haben«

Wie hoch sind die volkswirtschaftlichen Kosten? Was bedeutet das für die heimische Wirtschaft?
Hier gibt es auch eine wissenschaftliche Untersuchung, die zum Schluss gekommen ist, dass ein eintägiger Stromausfall rund eine Milliarde Euro kosten würde. Ich fürchte, dass ist nur ein Bruchteil des wirklichen Schadens, da bei dieser Berechnung nur die Nichterbringbarkeit von Leistungen berechnet werden konnte. Im Produktionsumfeld ist mit enormen Schäden an Anlagen zu rechnen. Zudem drohen, wie eine aktuelle Untersuchung des Complexity Science Hub Vienna zeigt, kaskadierende internationale Lieferkettenausfälle mit unvorstellbaren Folgen.
Sollte es wie hier geschildert zu einem Blackout kommen, würde das zur größten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg führen und einen globalen Schock auslösen. Die Coronakrise hat ja gezeigt, wie abhängig wird mittlerweile sind. Wir hatten bisher sehr viel Glück, dass es noch nicht schlimmer gekommen ist. Bei einem Blackout werden wir dieses Glück wahrscheinlich nicht mehr auf unserer Seite haben.

Wann gab es den letzten Blackout in Österreich?
Es gab in Europa noch kein Blackout im Gesamtsystem. Aufgrund unserer zentralen Lage kann auch ein rein österreichisches Blackout ziemlich sicher ausgeschlossen werden. Etwas anderes ist das in einem Randbereich, wie etwa 2003, wo ganz Italien ausgefallen ist. Dieses Ereignis ist aber nicht mit einem überregionalen Ausfall unter den heutigen Rahmenbedingungen vergleichbar. Allein schon, wenn man überlegt, wie viele IT-Abhängigkeiten wir heute haben und wie die Situation damals aussah. Zur Erinnerung, die ersten Smartphones kamen erst 2007 auf den Markt.

Österreich hat noch immer mit der Coronakrise zu kämpfen. War man hierzulande gut auf die Pandemie vorbereitet?
Nein, so gut wie nicht. Erst als die Krise bereits eingetreten war, wurde wirklich reagiert und etwa versucht, Schutzausrüstung aufzutreiben. Der Lockdown wurde zum Glück zum richtigen Zeitpunkt verhängt, vor allem, aufgrund der schockierenden, aber übertriebenen Bilder aus Italien. Unser Vorteil war, dass wir uns ein gutes Gesundheitssystem leisten und daher mehr Puffer hatten. Wäre die Eindämmung nicht so rasch gelungen oder hätte sich das Virus aggressiver verhalten, hätten die Entwicklungen ganz anders aussehen können. Daher dürfen wir die Coronakrise als Warnung verstehen und uns besser auf strategische Schocks vorbereiten. Denn nicht immer wird uns das Glück zur Seite stehen.

»Unerwartete, große Schockereignisse können rascher eintreten, als wir uns das bisher vorstellen konnten.«

Was kann oder hat man aus der Coronakrise gelernt, was auch für einen Blackout hilfreich sein könnte?
Die wesentlichste Erkenntnis: Unerwartete, große Schockereignisse können rascher eintreten, als wir uns das bisher vorstellen konnten. Die Abhängigkeiten und die Folgen von den internationalen Lieferketten wurden erstmals breiter sichtbar. Leere Regale waren bisher kaum vorstellbar. Dabei hat alles funktioniert. Bei einem Blackout ist sofort alles aus. Man hat nur mehr das verfügbar, was man vorbereitet und vorgesorgt hat. Eine Improvisation funktioniert dann höchstens noch auf lokaler Ebene.
Der größte Lernerfolg wäre, wenn wir Vorsorge und Robustheit wieder als selbstverständlichen Bestandteil unseres Lebens und als etwas wertvolles betrachten würden. Vorsorge war in der Menschheitsgeschichte immer eine Überlebensfrage und ist dies auch heute noch für die meisten Menschen auf der Erde. Nur wir in Mitteleuropa haben uns aufgrund der sehr hohen Versorgungssicherheit einer Illusion hingegeben, dass das alles nicht mehr notwendig ist. Das könnte sich als fataler Irrtum erweisen, wo ein Lernen zu spät kommen würde. Das sollten wir nicht riskieren.

Das Interview ist erstmals am 8. Juli 2020 auf news.at veröffentlicht worden.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.