Warum Kreuzfahrten
plötzlich cool sind

Jede Fahrt ist eine logistische Herausforderung - eine Reportage aus dem Schiffsbauch

2.500 Passagiere verbringen Woche für Woche ihren Urlaub auf der "Mein Schiff 5". 1.000 Crewmitglieder sorgen für einen reibungslosen Ablauf der Reise. Jede Kreuzfahrt ist eine logistische Herausforderung, von der die Gäste des schwimmenden Hotels allerdings nur wenig mitbekommen.

von Leinen los - Warum Kreuzfahrten
plötzlich cool sind © Bild: Ricardo Herrgott News

Die größte Herausforderung für Todd Burgman ist das Anund Ablegen, vor allem bei starkem Wind. Seit 25 Jahren ist der Amerikaner Kapitän. Gerade steuert er die "Mein Schiff 5"; durch die norwegische See. Erst seit wenigen Wochen ist das neueste Kreuzfahrtschiff der Tui-Cruises-Flotte unterwegs. Ein riesiges, schwimmendes Hotel, fast 300 Meter lang und beladen fast 49.500 Tonnen schwer. Fährt die "Mein Schiff 5" mit der Höchstgeschwindigkeit von 21,7 Knoten und muss "bremsen", dauert es 1,6 Kilometer, bis sie zum Stillstand kommt. Als Kapitän ist Todd Burgman für die sichere Reise von 2500 Passagieren und 1000 Besatzungsmitgliedern verantwortlich. Das entspricht der Einwohnerzahl einer mittleren Ortschaft, rechnet Schiffsarzt Rolf Beythien vor. Dementsprechend groß ist der Andrang in seiner schwimmenden Praxis. Bis zu 40 Patienten täglich behandeln er und sein Kollege abwechselnd in 24-Stunden-Schichten.

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Beythien war früher Chefarzt in einem Krankenhaus. Seit seiner Pensionierung ist er Bordarzt. "Die Patienten kommen mit den gleichen Beschwerden zu uns, mit denen sie auch daheim eine Hausarztpraxis aufsuchen", sagt er. Meist plagen sie banale Erkrankungen wie Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Magenverstimmungen durch übermäßiges Essen oder ausschweifenden Alkoholkonsum an Bord.

Keine Operationen

Manchmal müssen auch Unfälle, meist Arbeitsunfälle des Personals, behandelt werden. Selten kommt es zu echten Notfällen. Dafür ist das Schiff mit zwei Intensivbetten, Röntgen-und Ultraschallgerät ausgerüstet. Sogar einen Operationssaal gibt es. Doch operiert wird hier so gut wie nie. "Ein Schiff schwankt hin und her. Präzise zu operieren, ist unmöglich. Die Gefahr, dass man einen Fehler macht, ist einfach zu groß. Das wollen wir auf keinen Fall riskieren", sagt Beythien. Ziel des Arztes ist es, Notfallpatienten so lange zu stabilisieren, bis der nächste Hafen erreicht ist und sie dort dann ins Krankenhaus gebracht werden können.

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Jede einzelne Reise wird akribisch geplant, nichts dem Zufall überlassen. Bereits ein Jahr im Voraus stehen die Menüs für die Passagiere fest. Startet die Reise außerhalb Deutschlands, werden zwei Monate vorher die Lebensmittel bestellt und mit Containerschiffen zum Starthafen verschickt. "Wir verwenden an Bord ausschließlich Produkte, die wir in Deutschland kaufen. Das heißt, fährt ein Schiff beispielsweise aus Singapur los, müssen Produkte aus Deutschland zeitgerecht vor der Verladung in Singapur ankommen", erklärt Christian Wastl, der als Travelling Executive Chef für alle Küchenchefs der fünf Schiffe von Tui Cruises verantwortlich ist. Er reist zwischen den einzelnen Schiffen hin und her, um sicherzustellen, dass alles reibungslos läuft, und erhebt den Lebensmittelbedarf, um ihn für kommende Kreuzfahrten anpassen zu können.

Kreuzfahrt-Frucht Ananas

Ausschließlich deutsche Produkte würden deshalb verwendet, "da nur so sichergestellt werden kann, dass sie den hohen hygienischen Anforderungen entsprechen". Zudem ist es schwierig, Ware im benötigten Ausmaß vor Ort zu kaufen. Die Menge an verkochten Lebensmitteln ist enorm: 30.000 Eier pro Woche, 500 Kilo Mehl und 600 Liter Milch täglich werden benötigt. Jeden Tag werden 250 Kilo Ananas aufgeschnitten. "Ananas ist am Kreuzfahrtschiff das, was im Flugzeug der Tomatensaft ist", sagt Wastl. Zu Hause wird die Frucht selten gegessen, auf einem Kreuzfahrtschiff dafür umso öfter. Ananas dürfe daher niemals ausgehen.

Wer in den Norden reist, erwartet anderes Essen als Passagiere einer Mittelmeerkreuzfahrt. Einmal muss Lachs vorrätig sein, bei Reisen in den Süden ist hingegen die mediterrane Küche gefragter. Am Ende jeder Route wird das Ess-und Trinkverhalten genau analysiert, um den Bedarf für künftige Reisen anzupassen. Vor allem bei Themenkreuzfahrten ist das wichtig, da deren Passagiere oft spezielle Vorlieben haben. Christian Wastl weiß mittlerweile, dass jeder Teilnehmer der "Full Metal Cruise" täglich durchschnittlich 5,5 Liter Bier trinkt und diese Passagiere auch lieber deftiges Essen wollen.

In der Früh und am Abend herrscht in den 13 Restaurants und Bistros der "Mein Schiff 5" Hochbetrieb. Die überwiegend deutschsprachigen Urlauber essen gerne früh zu Abend. Abends um 18.30 Uhr warten daher 1000 Menschen gleichzeitig auf ihr Menü. In der Küche muss dann jeder Handgriff sitzen. Auf dem Weg zu und aus den Restaurants gelten für das Servicepersonal Einbahnregelungen. Nur so können Zusammenstöße vermieden werden, wenn am Abend 60 livrierte Kellner gleichzeitig Speisen servieren.

Küchenchef Rene Aflenzer aus Perg sorgt dafür, dass alles reibungslos klappt und zeitgerecht fertig wird. Gekocht wird rund um die Uhr. Nachtköche, die täglich von 23 bis zehn Uhr Schicht haben, bereiten die Frühstücksbuffets vor. Das Birchermüsli wird genauso wie Suppen, Saucen, Pasta und Gnocchi frisch auf dem Schiff zubereitet. Die Bäcker in der Bordbäckerei arbeiten rund um die Uhr, damit der tägliche Bedarf von bis zu 25.000 Weckerln sichergestellt ist.

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Aber nicht alle Speisen werden serviert. Das riesige Buffet-Restaurant "Anckelmannsplatz" mit über 700 Sitzplätzen ist vor allem bei Familien sehr beliebt. Immer wieder gibt es während der Reise auch Spezialitätenbuffets. Für deren Dekoration sind eigens fünf Mitarbeiter zuständig, die kunstvolle Skulpturen aus Eis, Obst oder Schokolade schnitzen.

Inyoman Korpriawan aus Bali ist Chef der Schnitzer und benötigt für eine Skulptur aus einem 150 Kilogramm schweren Eisblock nur sieben Minuten. Durchschnittlich sechs Eis-und 46 Fruchtskulpturen fertigt er für jedes Buffet. Zu besonderen Anlässen, wie Neujahr, sind es deutlich mehr. Am schwersten seien Schokoladeskulpturen, sagt Korpriawan. Denn da müsse die Temperatur der Schokolade genau richtig sein, um ordentlich arbeiten zu können.

Ein Koch für Allergiker

Passagiere mit Allergien und Unverträglichkeiten müssen nicht fürchten, in ihrem Urlaub kulinarisch zu kurz zu kommen. Für sie gibt es einen eigenen Koch, der zu Beginn jeder Reise einen Infoabend veranstaltet. Dort können die Urlauber ihre Unverträglichkeiten angeben und bekommen jeden Abend den Menüplan für den kommenden Tag zum Auswählen in ihre Kabine gelegt. Der Allergie-Koch bereitet dann an die Bedürfnisse jedes Passagiers angepasste Menüs zu. Er kocht die gleiche Speise einmal laktose-, das nächste Mal nuss- und schließlich noch tomatenfrei.

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Die Beladung des Schiffes für eine 14-tägige Kreuzfahrt dauert acht Stunden. Dabei werden 180 bis 220 Tonnen an Lebensmitteln, Getränken und sonstigen Verbrauchsgegenständen an Bord gebracht. Nahrungs-und Getränkevorräte reichen für die jeweilige Kreuzfahrt und noch drei weitere Tage. So können Urlauber und Crew bei unvorhergesehenen Verzögerungen weiter versorgt werden. Logistikmanager Yener Dasdemin aus der Türkei muss stets den Überblick über die riesigen Lager mit über 9000 verschiedenen Produkten behalten. "Bei manchen Dingen weiß man zunächst nicht genau, wieso wir sie dahaben. Zum Beispiel ist immer eine Reservekloschüssel vorrätig. Aber vor Kurzem wurde in einer Kabine tatsächlich eine kaputt und wir konnten sie umgehend ersetzen", erklärt Yener Dasdemin.

Vom Essen zur Show

Das Essen auf so einem Kreuzfahrtschiff ist üppig, sehr gut und mit Ausnahme mancher Speisen in den Spezialitätenrestaurants im Reisepreis bereits inkludiert. Damit die Urlauber nicht die ganze Nacht im Restaurant sitzen bleiben, damit auch Platz für weitere hungrige Passagiere und Zeit für das Servicepersonal ist, die Restaurants fürs Frühstück herzurichten, steht jeden Abend eine Show auf dem Programm, das lenkt die Passagierströme.

Das Bordtheater fasst 1000 Personen, und auf dem Spielplan stehen meist Musicals, die eigens für die Schiffe von Tui Cruises in Berlin geschrieben und dort bereits geprobt werden. "Das Abendprogramm dient der Unterhaltung der Gäste", sagt Ulrich Hüni, Cruise Director und damit zuständig für das Entertainment-Programm und Chef der 50 Künstler an Bord. Zuvor war Hüni 25 Jahre Theaterregisseur an Land. Das Kreuzfahrtpublikum sei eine spezielle Herausforderung. "Jemand, der für eine Vorführung nicht bezahlt, hat eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne. Alle sieben Minuten wechselt daher die Szenerie unserer Theaterstücke."

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Hüni ist gleichzeitig die "Stimme des Schiffes". Beim An-und Ablegen meldet er sich über Lautsprecher und spricht kurz über die Destination, die die Urlauber auf ihrem Landausflug gleich besuchen werden. An Seetagen meldet er sich öfter. Da er oberster Gastgeber an Bord ist, kennen ihn nach einigen Tagen fast alle Passagiere. Er genießt es, mit den Gästen zu plaudern und sich Anregungen zu holen. Nur die Disco meidet er an Seetagen nach 23 Uhr. Denn: "Da haben einige Passagiere schon zu viel getrunken und es kommen fast ausschließlich Beschwerden."

Beschwerdegrund: Liegen

Dabei wäre für Beschwerden und Anregungen General Manager Thomas Eder die richtige Ansprechperson. Er ist für den gesamten Hotelbetrieb und damit für 850 Mitarbeiter aus 43 Nationen zuständig. Den Job mache er sehr gerne, versichert er. Auch, wenn es phasenweise wirklich hart sei. "Es ist toll, jeden Tag woanders auf der Welt aufzustehen. Aber manchmal ist es schwierig, den ganzen Tag unter den Gästen zu sein. Ab einem gewissen Dienstgrad ist es Vorschrift, immer Uniform zu tragen. Ich kann also nie Privatperson sein", sagt der gebürtige Wiener Neustädter.

Jeden Tag dreht Eder einige Runden am Schiff, schaut, ob alles in Ordnung ist und ob die Passagiere zufrieden wirken. Das tun sie meistens. Nur wegen der Liegen gibt es öfters Beschwerden, was Eder nervig findet. Denn es befinden sich 1300 Liegen an Bord. "Wenn sich Gäste an das Prinzip halten würden, Liegen nur zu belegen, wenn sie diese wirklich brauchen, dann gebe es gar kein Problem. Doch es ist ein typisch deutsches Phänomen, schon vor dem Frühstück eine Liege zu reservieren, ohne sie dann auch tatsächlich zu nutzen", sagt er. Seit Mitarbeiter unbenutzte Liegen nach 30 Minuten wieder abräumen würden, sei die Zahl der Beschwerden allerdings gesunken.

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Von all dem Trubel am Pooldeck bekommt Kapitän Burgman auf der Brücke meist nicht viel mit. Er manövriert das Schiff gemeinsam mit einem ortskundigen Lotsen durch den engen Oslofjord. Die Route entlang der Küste Norwegens zählt neben der Atlantiküberquerung zu den Lieblingsrouten des Amerikaners. Es ist fast windstill. Burgman hat also keine Probleme mit dem Anlegen. Kurz darauf meldet sich Ulrich Hüni, um den Gästen einen schönen Tag in Norwegens Hauptstadt zu wünschen. Und wenige Stunden später, sobald alle 2500 Passagiere zurück an Bord sind, legt die "Mein Schiff 5" wieder ab und fährt weiter Richtung Norden.

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