"Bruno Kreisky hatte den
Nimbus des Unbesiegbaren"

Am 29. Juli jährt sich der Todestag von Bruno Kreisky zum 30. Mal. Der ehemalige Journalist Ulrich Brunner hat die Ära Kreisky miterlebt und zeichnet den Mythos des Jahrhundertkanzlers in seinem neuen Buch "Lernen'S Geschichte, Herr Reporter!" nach. Im Interview mit News erzählt er sein skurrilstes Erlebnis mit Kreisky und warum die Sozialdemokratie heute gegen ihr eigenes Ablaufdatum kämpft.

von Zeitzeugnisse - "Bruno Kreisky hatte den
Nimbus des Unbesiegbaren" © Bild: imago stock&people
Ulrich Brunner, geboren 1938 in Wien, stammt aus einfachen Verhältnissen, absolvierte nach der Pflichtschule eine Schriftsetzerlehre und holte die Matura nach. Er nahm eine Karriere im Journalismus auf, die ihn von der Arbeiterzeitung in den ORF, zuletzt Intendant des Landesstudio Burgenland, führte. Die Debatte, in der der titelgebende ikonische Satz fiel, ist legendär und symbolhaft für die Ära Kreisky, an der bis heute in der Politik Maß genommen wird. Ulrich Brunner lebt in Wien.

Herr Brunner, das gegen Sie gerichtete Kreisky-Zitat „Lernen S´ Geschichte, Herr Reporter“ ist ja quasi in die Geschichte eingegangen – Wie sehr hat Sie das damals gekränkt? Man bekommt das Gefühl im Buch, als würden Sie sich für etwas rechtfertigen wollen, was Sie nicht müssen…
Ich war und bin nicht gekränkt darüber. Ich habe im Buch noch einmal versucht zu erklären, warum Kreisky mit seiner Aussage damals im Unrecht war und ich im Recht. Wenn man in einem Interview vom Interviewten attackiert wird, dann darf man sich das nicht gefallen lassen und es wegstecken, sonst glauben die Leute, der Journalist ist bewusstlos umgefallen. Man darf nicht nachgeben, muss Präsenz zeigen und seine Frage verteidigen.

Dieser Zwischenfall geht nur über ein paar Seiten im Buch, der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit dem Mythos Kreisky, warum er so war, wie er war. Licht- und seine Schattenseiten waren bei ihm wie bei allen Führungsgestalten vorhanden. Ich hoffe, es ist mir gelungen, ihn in seiner Widersprüchlichkeit zu zeigen.

Kreiskys verbale Abwertung mit der Bezeichnung „Herr Reporter“ ist ja auch bemerkenswert…
(Lacht) Das war eine subtile Gemeinheit von ihm, weil der Redakteur in der Redaktionshierarchie über dem Reporter steht.

Das zeigt aber, dass er sein Gegenüber sehr gut kannte?
Als Kreisky jung war, träumte er ja davon, Journalist zu werden. Sein Traumberuf wäre Chefredakteur der Arbeiterzeitung gewesen.

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Sie haben als Schriftsetzer im SPÖ-Verlag „Vorwärts“ begonnen und es auch bis zum Redakteur gebracht. Sie schreiben in ihrem Buch, dass für Kreisky der „Vorwärts“ geradezu ein mythischer Ort gewesen sei.
Ja, das Gebäude in der Rechten Wienzeile beherbergte ja bis 1934 nicht nur die Druckerei, sondern auch die Parteizentrale mit allen Nebenorganisationen. Als Kreisky 1967 Parteivorsitzender wurde, ist er nicht in die Löwelstraße gefahren, wo seit 1945 die Parteizentrale war, sondern in den Vorwärts-Verlag, ist am damaligen Chefredakteur Franz Kreuzer vorbeigegangen, in das Zimmer gegangen, wo früher Otto Bauer gesessen ist, und ist dort ein paar Minuten stehengeblieben. Kreuzer hat das später so interpretiert, dass Kreisky vor seinem Idol den Vollzug der Geschichte verkündet hat.

Was würden Sie persönlich als Ihr skurrilstes Erlebnis mit Kreisky bezeichnen?
Das war das Treffen der AZ-Redaktion mit Kreisky im Garten seiner Villa in der Armbrustergasse. Drei Stunden lang hat er die ganze Zeit über etwas ganz anderes geredet als über das eigentliche Anliegen der Redaktion. Wir wollten eigentlich mit ihm über Maßnahmen sprechen, wie man der sinkenden Auflage der Zeitung entgegenwirken könnte.

Wir sind also um 15:00 Uhr bei ihm angekommen und er hat gemeint, er hätte bis 18:30 Uhr Zeit, weil er um 19:00 Uhr ins Theater ginge und sich „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Bertolt Brecht anschaue. Da meinte er: „Hab ich euch schon erzählt, wie ich den Brecht getroffen habe?“ Unvorsichtigerweise hat das einer von uns verneint und dann hat er erzählt und erzählt. Irgendwann war er im Finnischen Winterkrieg angelangt, über seine Zeit als Reporter für eine schwedische Zeitung. Anschließend hat er begonnen alle Landesparteivorsitzenden zu charakterisieren, alle Minister – na ja, und dann war es schon 18:00 Uhr. Seine Frau Vera Kreisky ist schon im Abendkleid gekommen, um ihn zu mahnen, dass er sich umziehen soll. Und noch immer hatten wir kein Wort über die Arbeiterzeitung verloren.

Konnte das Anliegen noch geklärt werden?
Ich habe es mir dann als einer der Jüngsten in der Runde erlaubt nachzufragen und ihn auf das eigentliche Thema anzusprechen. Da hat er kurz nachgedacht und vorgeschlagen, die Zeitung in den Urlaubsorten der Adria an die Österreicher zu verschenken, damit sie sich dort daran gewöhnen und die Zeitung in Österreich dann kaufen. Das war natürlich ein hanebüchener Vorschlag.

Glauben Sie, dass Kreisky das absichtlich gemacht hat oder war er beim Reden einfach nur in seinem Element?
Da gibt es auch andere Beispiele dafür: Wenn er nicht wusste, was er sagen soll, dann hat er monologisierend auf ein anderes Thema übergelenkt.

Aus vielen Erzählungen, auch aus Ihren, geht Kreisky als unumstrittene Autorität hervor. Wie lässt sie sich erklären? Im Nachhinein betrachtet: Hat er dieses Image geschickt aufgebaut oder waren die Zeiten einfach andere?
Die Zeiten waren einfach andere und er war natürlich eine Persönlichkeit, die aus der Zwischenkriegszeit herübergeragt hat: Der jüdische gebildete Großbürger. Niemand wird Kreiskys Charisma bestreiten: Das war das, was bei den Wählern und Betroffenen angekommen ist. Wenn Kreisky einen Raum betreten hat, hat er sein Selbstbewusstsein auch ausgestrahlt. Er ist nicht in den Raum getreten, er ist erschienen. Er war sehr eloquent, schlagfertig und humorvoll. Das hat ihn auch erst in den Jahren 1978/1979 verlassen, als ihn seine Krankheiten geschwächt hatten.

Weitere Erzählungen aus der Ära Kreisky finden Sie hier*:

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Wie ist die politische Konkurrenz damit umgegangen?
Ich war bei allen damaligen Regierungserklärungen im Parlament anwesend: 1970 ist die ÖVP davon ausgegangen, dass das Wahlergebnis ein Ausrutscher war, die Erklärung wurde von wilden Zwischenrufen der ÖVP unterbrochen. 1971, wo Kreisky dann schon die absolute Mehrheit hatte, waren die Zwischenrufe schon schwächer. 1975 und 1979 war es dann ganz still auf den Bänken der ÖVP. Kreisky hatte zu diesem Zeitpunkt den Nimbus des Unbesiegbaren. Aber 1979 war er schon ziemlich krank und 1983 hätte er eigentlich nicht mehr zur Wahl antreten dürfen. Heutzutage ginge das vermutlich auch nicht mehr.

Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass Kreisky einmal von der Wochen-Zeitung „Die Zeit“ über zwei Seiten interviewt wurde und meinen, keiner seiner Nachfolger wäre dazu intellektuell in der Lage gewesen. Ist Ihnen Kreisky nach seinem Ausscheiden 1983 abgegangen?
Nein, seine Zeit war abgelaufen. Nicht nur aufgrund seiner Krankheit. Er hat ja auch vier Wahlen gewonnen – und es gibt bis heute keine Demokratie in Europa, wo jemand drei Mal hintereinander eine absolute Mehrheit an Stimmen bekommen hat. Man verbraucht sich mit der Zeit schließlich auch.

Glauben Sie, dass Kreiskys Erfolg auch zum Verhängnis für seine Nachfolge geworden ist? Alfred Sinowatz war ja die denkbar schlechteste Option nach Kreisky…
Kreisky hat den lange als Kronprinz gehandelten Hannes Androsch verhindert, Leopold Gratz, der damalige Wiener Bürgermeister, wollte nicht nachfolgen. Dem damaligen Zentralsekretär Karl Blecha hat Kreisky es nicht zugetraut, also stellte er die Weichen für Alfred Sinowatz.

In einem persönlichen Gespräch Jahre später hat mir Sinowatz erzählt, dass er gar nicht Parteivorsitzender werden wollte. Er ist mit einem handgeschriebenen Zettel in die Präsidiumssitzung gegangen, wo er sieben Gründe angeführt hat, warum er nicht der geeignete Kandidat sei. Das Präsidium hat sein Anliegen aber abgeschmettert und ÖGB-Präsident Anton Benya hat in seiner unverblümten Art gesagt: „Wir ham‘ kann andern, du muaßt des mach‘n“. Das Scheitern war vorprogrammiert.

Ich glaube, das ist eines der ehernen Gesetze in der Politik, dass auf mächtige Parteiführer oft schwache folgen, die dann oft auch zum Verlust der politischen Macht beitragen.

Stichwort Verlust der politischen Macht: Wie stehen Sie heute zur Sozialdemokratie?
Ich bin 2007 aus der SPÖ ausgetreten, als Alfred Gusenbauer alle wichtigen Ministerien der ÖVP geschenkt hat, obwohl die Volkspartei die schwächere Partei war. Da habe ich gewusst, dass die Sozialdemokratie am Ende ihrer langen Geschichte den politischen Gestaltungswillen verloren hat. Gusenbauer hätte mir später noch mehrere Gründe geliefert auszutreten.

Wie würden Sie die Zukunft der SPÖ einschätzen?
Der Verlag wollte von mir ein Vorwort, in dem ich auf die aktuelle Situation der SPÖ eingehe. Ich habe das zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass ich nur ungern Trauerreden schreibe. Ich habe mich dann aber doch aufgerafft und versucht analytisch zu erklären, warum es der Sozialdemokratie allgemein und der SPÖ im Besonderen so schlecht geht.

Ich mache das nicht an Personen fest. Die Sozialdemokratie ist eine genuin europäische Bewegung gewesen, mit unglaublichen Verdiensten, die allerdings Gefahr läuft, an der Globalisierung zu zerschellen. Das hat in den 1960er und 1970er Jahren schon begonnen, als die Textilindustrie nach Asien gewandert ist, der später noch andere Industrien folgten.

Hat es die Sozialdemokratie also verabsäumt, auf die Globalisierung zu reagieren?
Natürlich hätte sie aus ihrem humanistischen Verständnis heraus die Einsicht aufbringen müssen, dass die Menschen in Asien - ganz egal wo - auch Wohlstand haben wollen. Das hätte aber bedeutet, dass man den eigenen Wählern sagen muss: „Wir müssen kürzer treten, weil die wollen auch gut leben“. Das wurde zwar gar nicht versucht, es wäre aber auch schwierig gewesen. Erklären Sie einem Arbeiter aus Wien Favoriten einmal, dass er weniger verdient, weil die Arbeiter in China geringere Löhne haben und schneller arbeiten.

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren Menschen auf der Suche nach Wohlstand zu uns kommen. Das hat zu schweren Irritationen im Zusammenleben geführt. Die Unterschichten sehen die Zuwanderer als Konkurrenten am Arbeitsmarkt, aber auch als Konkurrenten um Sozialleistungen. Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die nicht davon betroffen sind und multikulturelle Gesellschaften als Gewinn sehen. Diese beiden Gruppen in der Sozialdemokratie zu vereinen, ist fast unmöglich.

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Glauben Sie also, dass eine Person mit ähnlicher Strahlkraft wie Bruno Kreisky die SPÖ auch nicht mehr herausreißen würde?
Ein bisschen schon, aber eine Situation wie es 1970 der Fall war, als Intellektuelle und Arbeiter vereint eine Partei unterstützt haben, wird sich in den nächsten Jahren nicht mehr wiederholen. Da bin ich sehr pessimistisch. Außerdem: herausragende Führungsgestalten werden in der Regel nur in katastrophalen Zeiten geformt. Politiker wie Kreisky sind durch ein Stahlbad der Verfolgung gegangen, durch Kerker, Emigration, Diskriminierung. Unsere Wohlstandsgesellschaften können solche Führungspersönlichkeiten nicht hervorbringen.

Was könnte Bundeskanzler Kurz Ihrer Ansicht nach von Bundeskanzler Kreisky lernen?
Ich würde die Beurteilung des Herrn Kurz gerne den Historikern überlassen, die in 10 oder 20 Jahren darüber schreiben werden. Eigentlich will ich mich mit dem Herrn Kurz nicht beschäftigen. Was er von Kreisky lernen könnte, kommt mir nicht über die Lippen (lacht) .

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