Leben mit Krebs:
Du bist nicht allein

Wie österreichische Forscher und Ärzte nach Mitteln gegen die Volkskrankheit suchen

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser ist einer von 40.000 Menschen, die hierzulande jährlich an Krebs erkranken. Bei der Suche nach Gegenmitteln haben Ärzte und Forscher aus Österreich immer wieder Erfolgserlebnisse, die Hoffnung machen

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Krebs - Leben mit Krebs:
Du bist nicht allein

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser geht mit ihrer Krebserkrankung offen um. Schon bei ihrem ersten Krankenhausaufenthalt im Vorjahr hielt sie die Öffentlichkeit unter anderem über Facebook auf dem Laufenden - und erhielt viel Zuspruch und Glückwünsche, als sie im Mai 2015 nach Operation und Chemotherapie wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte. Dieser Tage gab sie einen Rückfall bekannt. Zunächst hieß es, dass sie wegen Verwachsungen im Bauchraum wieder operiert werden müsse; dann wurde verlautet, dass erneut Krebszellen gefunden worden seien und eine neuerliche Chemotherapie durchgeführt werde.

»Ich werde mich da durchkämpfen. Ich bitte euch, mich auch diesmal so zu unterstützen«

In einem Interview mit News kurz vor Weihnachten 2015 erklärte Oberhauser, warum sie mit ihrer Krankheit so umgeht: "Ich wollte zeigen, dass Politiker Menschen sind wie alle anderen auch. Menschen, die viel arbeiten, aber auch privat Dinge unternehmen, die mit dem Hund spazieren gehen und sich über schönes Wetter freuen. Das ist auch ein Grund, warum ich meine Krankheit öffentlich gemacht habe: Politiker sind normale Menschen, sie sind krank und manchmal schwach, wie alle anderen auch." Außerdem wollte die Ministerin nicht von Gerüchten überrollt werden, sondern "Herrin meiner Diagnose sein".

Dass Oberhauser viel Zuspruch dafür erhielt, liegt nicht nur daran, dass sie als Politikerin populär ist, sondern auch daran, dass sich viele Menschen vor Krebs fürchten, oft selbst Erkrankte kennen und ihnen solche Berichte daher nahegehen. Jedes Jahr erkranken in Österreich rund 40.000 Menschen an Krebs. Über 20.000 sterben daran. Damit sind Krebserkrankungen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Männer erkranken am häufigsten an Prostata-, Frauen an Brustkrebs.

Grafik: Die häufigsten Krebsarten
© Karin Netta Zum Vergrößern anklicken

Durch prominente Fälle rücken auch jene Menschen mehr in den Mittelpunkt, die sich der Erforschung von Krebs und seiner Bekämpfung durch neue Therapien verschrieben haben. Ein riesiger Forschungszweig beschäftigt sich damit, aufzuklären, wie Krebs entsteht, welche Gene und äußeren Faktoren bei der Erkrankung eine Rolle spielen und wie die Krankheit bekämpft werden kann. Pharmafirmen investieren Milliardenbeträge in die Forschung. Denn es ist ein wachsender Markt, der den Unternehmen auch Milliardenumsätze beschert. So erwirtschaftet etwa der Pharmakonzern Roche alleine mit Krebsmedikamenten einen Umsatz von rund 25,6 Milliarden US-Dollar jährlich. Aber auch an den Universitäten wird intensiv daran gearbeitet, die Krankheit zu entschlüsseln und so die Heilungschancen zu verbessern. Auch in Österreich gibt es Spitzenforschung auf diesem Gebiet.

Wirkstoffe aus der Natur

Genau 256 Pflanzen sammelte der Forscher Stefan Kahl während eines zweijährigen Aufenthalts in China für seine Dissertation. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Institute of Botany in Kunming stellte er daraus Extrakte her. "Im Labor testeten wir dann die Wirkung der Pflanzenextrakte auf Krebszellen. Die Mehrzahl von ihnen zeigte allerdings keinen Effekt", sagt Kahls Chef Rudolf Bauer, Vorstand des Instituts für Pharmazeutische Wissenschaften in Graz. Aber dann waren da noch jene zwanzig Pflanzen, die das Wachstum der Krebszellen deutlich verringerten. Zwanzig Pflanzen, die möglicherweise Wirkstoffe enthalten, mit denen die Krankheit geheilt werden könnte.

Und genau diese Pflanzen ließen die Forscher aufhorchen. Denn 60 bis 70 Prozent der Wirkstoffe, die zur Tumorbekämpfung eingesetzt werden, stammen aus der Natur. Wissenschaftler analysieren allerdings nicht nur die Inhaltsstoffe von Pflanzen, sondern unter anderem auch die von Bakterien und Pilzen.

» Statistisch gesehen kommt von 10.000 Stoffen, mit denen man beginnt, letztlich nur einer auf den Markt«

Im Labor von Rudolf Bauer wurden also jene zwanzig chinesischen Pflanzen weiter analysiert, die in ersten Tests eine Wirkung auf Tumorzellen zeigten. Nadine Kretschmer, eine weitere Doktorandin, fand in einer Pflanze tatsächlich eine Substanz mit der gewünschten Eigenschaft: Dimethylacrylshikonin, gewonnen aus der Pflanze Arnebia euchroma, einer eher unscheinbaren Pflanze mit lila Blüten. Diese Substanz konnte im Laufe der Forschungsarbeiten auch aus einer weiteren Pflanze, der Onosma paniculata, isoliert werden. Besonders bei Melanomzellen (Hautkrebs) zeigte diese eine starke und selektive Wirkung. "Um unsere Chancen zu erhöhen, haben wir schon ganz zu Beginn unserer Arbeit gemeinsam mit dem Joanneum Research eine Datenbank mit Pflanzen angelegt, die seit Jahrtausenden in der traditionellen chinesischen Medizin gegen Geschwüre und Krebs verwendet wurden. Arnebia euchroma war auch darunter. Dass sie ausgerechnet bei schwarzem Hautkrebs so wirksam ist, war am Anfang nicht absehbar", sagt Bauer.

Doch die Erforschung ist noch lange nicht abgeschlossen. "Gemeinsam mit der Med-Uni Graz versuchen wir derzeit herauszufinden, warum diese Substanz so gut und spezifisch wirkt", sagt Bauer. Gleichzeitig werden ähnliche Substanzen synthetisch hergestellt, um vielleicht eine noch wirksamere zu finden. Ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen schwarzen Hautkrebs, der für mehrere hundert Todesfälle jährlich verantwortlich ist.

Ob der Stoff tatsächlich als Medikament zum Einsatz kommt, wird sich aber erst in einigen Jahren zeigen. "Wir haben die Wirkung bisher in Zellkulturen gesehen. Bis an Menschen getestet werden kann, werden einige Jahre vergehen. Noch weiß man zu wenig über den genauen Wirkungsmechanismus und nichts über Nebenwirkungen. Generell gilt: Statistisch gesehen kommt von 10.000 Stoffen, mit denen man beginnt, letztlich nur einer auf den Markt", sagt Bauer.

Vom Labor zum Patienten

In Österreich laufen derzeit fast 500 von der Pharmaseite gesponserte klinische Prüfungen, 160 davon im Bereich Onkologie. Alleine im vergangenen Jahr wurden fünf Medikamente zur Behandlung von Krebs in Österreich auf den Markt gebracht.

"Österreich spielt bei Studien, vor allem bei Brust-, Bauchspeicheldrüsen-und Darmkrebs, eine größere Rolle, als bei unserer geografischen Größe eigentlich zu erwarten wäre", erklärt Michael Gnant, Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie im Wiener Allgemeinen Krankenhaus und Präsident der Austrian Breast &Colorectal Cancer Study Group. Er arbeitet mit einem Netzwerk mehrerer österreichischer Krankenhäuser und Ärzte und spricht von einem "Studienprogramm-freundlichen Klima" hierzulande. Rund 26.000 Patientinnen und Patienten haben bereits bei klinischen Studien mitgemacht. "Dadurch haben wir in Österreich frühzeitig Zugang zu Innovationen im Bereich der Krebstherapie. Wir haben neue Medikamente bis zu drei Jahre vor anderen Ländern", sagt Gnant.

Die Durchführung einer Studie könne bis zu zehn Jahre dauern. "Wir müssen je nach Fragestellung 500 Patienten oder auch 3000 finden, die mitmachen und sich für diese Studie eignen, und dann die Zeit für Behandlung und Nachbetrachtung einrechnen. Das Ganze muss sich mit einer empathischen Patientenbehandlung verbinden. Denn diese Menschen sind ja die eigentlichen Heldinnen und Helden der klinischen Forschung", sagt Gnant. Der Ruf der österreichischen Krebsmedikamentenstudien sei inzwischen so gut, dass Patientinnen mit der Frage "Haben Sie eine Studie?" zu ihm kämen, erzählt Gnant, der auf die Behandlung von Brustkrebs spezialisiert ist.

»Die Patientinnen und Patienten sind die eigentlichen Helden der klinischen Forschung«

Sie bekommen dann Chancen und Risiken erklärt. "Wir haben superstrenge Testbedingungen mit zwanzig Sicherheitsnetzen. Denn das oberste Ziel ist ja, keinen Schaden anzurichten." Deswegen habe er auch noch keine Studie wegen Sicherheitsbedenken abbrechen müssen. "Wir haben in zwanzig Jahren nur einmal abgebrochen, weil sich unsere Annahme von Tumorzellen im Knochenmark nur bei sehr wenigen Patientinnen bestätigt hat. Da kommt dann nichts heraus."

Von der ersten Idee bis zur klinischen Studie liegen die Kosten für ein neues Krebsmedikament bei 1,5 bis zwei Milliarden US-Dollar. "Denn man muss ja auch die Kosten von allem reinrechnen, was nicht funktioniert hat", erklärt der Mediziner. Von hundert Versuchen in der Wissenschaft bleibt am Ende vielleicht einer, der funktioniert. Diese hohen Kosten haben auch unerwünschte Nebenwirkungen: "Ich sehe, dass Dinge, von denen ich glaube, dass sie funktionieren würden, nicht in klinischen Studien landen, weil das finanzielle Risiko zu groß wäre."

Große Hoffnung wird derzeit in die Immuntherapie gesetzt. Besonders bei der Behandlung von Melanomen, Nierenzellkarzinom und Lungenkrebs zeigt diese Therapie Erfolge. Das Immunsystem wird dabei aufgerüstet, soll dann den Tumor als fremd erkennen und bekämpfen. Hier erwarten Wissenschaftler in den kommenden Jahren noch weitere Fortschritte und neue und verbesserte Medikamente.

Neue Vorsorgemethode

Am allerbesten wäre es natürlich, Krebsvorstufen bereits bei einer Vorsorgeuntersuchung zu erkennen, damit die Krankheit gar nicht erst gefährlich werden kann. Doch derzeit gibt es nur zwei solcher Untersuchungen: den Pap-Test, durch den Gebärmutterhalskrebs vorzeitig erkannt wird, und die Koloskopie, bei der Polypen im Dickdarm rechtzeitig entdeckt und entfernt werden können, bevor sie bösartig werden.

Paul Speiser, Gynäkologe und Forscher an der Med-Uni Wien, hat sich zum Ziel gesetzt, eine weitere Vorsorgeuntersuchung zu entwickeln. "Eierstockkrebs wird leider meist sehr spät erkannt", sagt der Mediziner. "Seit ein paar Jahren weiß man, dass die Vorstufe bereits im Eileiter entsteht. Die Krebszellen werden dann Richtung Gebärmutter transportiert. Ich habe daher einen Katheter entwickelt, mit dem Flüssigkeit in die Gebärmutter gespült werden kann. Diese Spülflüssigkeit wird anschließend auf Krebszellen untersucht", erklärt Speiser.

»Meine Hoffnung ist, dass Eierstockkrebs bald frühzeitig durch eine Vorsorgeuntersuchung erkannt werden kann«

So könnte Eierstockkrebs bereits sehr früh erkannt und die Heilungschancen damit deutlich erhöht werden. Derzeit läuft eine europaweite Studie zur Verlässlichkeit der Methode. "Es ist geplant, dass diese Vorsorgeuntersuchung in ein bis zwei Jahren für Hochrisikogruppen zur Verfügung steht", sagt Speiser. Frühestens in weiteren fünf Jahren könnte der Test für alle Frauen möglich sein.

Was medizinische Spitzenforschung wie diese bewirkt, lässt sich in anschaulichen Zahlen belegen: An Brustkrebs sterben heute in Österreich jährlich 2000 Menschen weniger als noch vor zwanzig Jahren. Bei manchen Krebserkrankungen sind die Heilungschancen mittlerweile recht gut. Bei anderen wiederum muss die Wissenschaft noch viele Jahre Arbeit und die Pharmabranche noch viel Geld in Studien und Entwicklung investieren, damit es Hoffnung gibt.

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