Wird es eine Neuauflage
von Türkis-Blau geben?

Die Wien-Korrespondenten internationaler Tageszeitungen sehen keine nachhaltige Veränderung Österreichs durch die Ibiza-Affäre.

von Korrespondenten - Wird es eine Neuauflage
von Türkis-Blau geben? © Bild: JOE KLAMAR / AFP

Das ergab eine APA-Umfrage unter den Korrespondenten von "FAZ", "NZZ", "Süddeutscher Zeitung", "Die Welt", "Handelsblatt", "taz" und "Die Zeit". Eine Neuauflage von Türkis-Blau erachten die meisten von ihnen dennoch als nicht ausgemachte Koalitionsvariante.

Während Christoph Schiltz von der konservativen deutschen Tageszeitung "Die Welt" "fest davon ausgeht, dass es wieder eine türkis-blaue Koalition geben wird", weil diese für ÖVP-Chef Sebastian Kurz "am billigsten zu haben" sei, sind andere Korrespondenten skeptischer. "Eine Neuauflage einer konservativ-rechtspopulistischen Koalition würde Österreich auf der europäischen Bühne ins Abseits katapultieren und damit schwächen", meinte etwa Hans-Peter Siebenhaar vom "Handelsblatt".

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»Das Risiko eines erneuten Debakels mit der FPÖ für Kurz ist erheblich«

Auch Peter Münch von der "Süddeutschen Zeitung" erwartet, dass Kurz intensiv ausloten werde, ob andere Bündnisse möglich sind - "um den Makel abzustreifen, die Rechtspopulisten salonfähig gemacht zu haben". Ivo Mijnssen von der liberalen "Neue Zürcher Zeitung" bezeichnete Türkis-Blau als "die am wenigsten unwahrscheinliche" Koalitionsvariante, doch nähmen die Gründe, die dagegen sprächen, zu. "Das Risiko eines erneuten Debakels mit der FPÖ für Kurz ist erheblich. Er kann es eigentlich nur dann eingehen, wenn er irgendeine Art von Sicherheit hat." Türkis-Blau "bleibt wohl weiterhin die am wenigsten unwahrscheinliche Variante" Ralf Leonhard von der linksausgerichteten "taz" denkt, dass Kurz sich "aus Image-Gründen um eine Alternative bemühen" werde, auch wenn "Blau und Türkis inhaltlich weitgehend deckungsgleich sind".

»Schnell haben Abwehr-, Verdrängungs- und Beschwichtigungsmechanismen gegriffen«

Eine nachhaltige Veränderung durch die Ibiza-Affäre sehen die Auslandskorrespondenten vorerst nicht. "Der Schock nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos durch Süddeutsche Zeitung und Spiegel war groß, doch sehr schnell haben auch Abwehr-, Verdrängungs- und Beschwichtigungsmechanismen gegriffen", erklärte Münch. "Ein allgemeines Purgatorium hat es nicht gegeben - es müsste auch die Reihen der bisherigen Opposition erfassen, auch die Verfilzungen in Wien", ergänzte Stephan Löwenstein von der konservativen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Schiltz erachtet es noch als zu früh, um die Auswirkungen abschätzen zu können. "Zumindest wäre zu erwarten, dass die Parteienfinanzierung novelliert wird und mehr Transparenz entsteht." Auch Leonhard kann sich noch "Spätfolgen" vorstellen. Mijnssen erkennt zwar, dass sich öffentliche Debatten über Korruption und dubiose Spendenfinanzierungen entwickelt haben, doch diese bleiben "im relativ engen Kreis von politisch Interessierten konzentriert".

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Was hat das Ibiza-Video mit dem Image Österreichs gemacht?

Uneinig sind sich die internationalen Journalisten auch in der Frage, ob das Ibiza-Video das Image Österreichs verändert habe. "Das Image Österreichs eher nicht", meint Münch, "aber es hat den Blick auf die FPÖ und drüber hinaus vielleicht auch auf andere Rechtspopulisten in Europa geschärft, die gern Wasser predigen und Wein bzw. Red Bull/Wodka trinken." Schiltz ergänzt: "9,5 von 10 Personen in Deutschland wissen doch gar nicht, was die Ibiza-Affäre ist. Der einzige Politiker, der in Deutschland interessiert, ist Kurz. Er elektrisiert gerade viele christdemokratische Wähler, die sich einen wie Kurz als Parteichef und Kanzler wünschen." Anders Siebenhaar: "Die Ibiza-Affäre hat das politische Image Österreichs stark beschädigt." Mijnssen meint: "Die Ibiza-Affäre hat für ein Interesse an Österreich gesorgt, das wohl präzedenzlos war." Der "NZZ"-Journalist kritisierte aber den ÖVP-Chef: "Gerade Sebastian Kurz war diesbezüglich eine Enttäuschung, ließ er sich doch nach dem Ende der Koalition rasch in die Niederungen der politischen Schlammschlacht herunter (besonders mit seinen Silberstein-Vorwürfen) statt einen moralisch-politischen Anspruch zu stellen."

Einigkeit unter den Korrespondenten gibt es dagegen in den Erwartungen an die Außenpolitik der künftigen Regierung. Fast alle der befragten Journalisten sprachen sich für eine Vermittlerrolle Österreichs aus etwa im Ausgleich zwischen West und Ost, Migration, Westbalkan, im Verhältnis zu Russland und betreffend Migration. Der "Zusammenhalt in der EU, auch beim Thema Migration, wird eine zentrale Aufgabe für alle Mitgliedstaaten sein. Da ist auch Österreich gefragt", sagte Löwenstein. Riedl von der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" meinte, Österreich sollte "mehr europäisch und weniger national denken". Und Schiltz riet dem voraussichtlichen Wahlsieger: "Man kann Herrn Kurz nur raten, Außenminister Schallenberg weiterhin im Amt zu belassen. Schallenberg ist in Brüssel seit Jahren bekannt, er verfügt offensichtlich über ein großes internationales Netzwerk und sein Ansehen auf EU-Ebene ist immens."

Die Antworten im Detail:

Peter Münch, "Süddeutsche Zeitung"

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Münch: Der Schock nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos durch Süddeutsche Zeitung und Spiegel war groß, doch sehr schnell haben auch Abwehr-, Verdrängungs- und Beschwichtigungsmechanismen gegriffen. Dazu gehört, dass im Vordergrund nach Ibiza weniger die inhaltliche Auseinandersetzung mit den durch das Video aufgeworfenen Fragen steht. Bester Beleg dafür ist die im Eiltempo durchgezogene gesetzliche Neuregelung zu den Parteispenden, bei der die durch die Ibiza-Affäre aufgeworfenen Fragen fast komplett ignoriert werden. Vielmehr dreht sich ein großer Teil der öffentliche Debatte darum, wer das Video gemacht und wer diese Falle gestellt hat. Bei dieser Schwerpunktsetzung ist eine nachhaltige Veränderung kaum möglich.

»Wasser predigen und Wein bzw. Red Bull/Wodka trinken«

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Münch: Das Image Österreichs eher nicht, aber es hat den Blick auf die FPÖ und drüber hinaus vielleicht auch auf andere Rechtspopulisten in Europa geschärft, die gern Wasser predigen und Wein bzw. Red Bull/Wodka trinken.

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche?

Münch: Ausgeschlossen ist eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition gewiss nicht. Nicht umsonst lobt Sebastian Kurz die vorherige Regierungsarbeit über den grünen Klee. Aber gewiss wird er anders als 2017 sehr intensiv ausloten, ob auch Bündnisse mit der SPÖ oder mit Grün/Neos möglich sind. Letzteres hätte den Reiz des Frischen und Neuen und kurz könnte damit den Makel abstreifen, die Rechtspopulisten salonfähig gemacht zu haben.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Münch: In der EU-Politik und dem Ausgleich zwischen West- und Osteuropäern kann Österreich sicher eine vermittelnde Rolle spielen. Beim globalen Großthema Klimaschutz wird es als relativ kleines Land eher wenig Impulse setzen könne.

Stephan Löwenstein, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Löwenstein: Ich sehe keine grundstürzenden Veränderungen, abgesehen von den unmittelbaren politischen Folgen, die natürlich gravierend waren. Im Kern betrifft die Affäre zwei Politiker, deren korrupte Erbötigkeit und zugleich Unbedarftheit durch die heimlichen Aufnahmen bloßgestellt wurde. Sie sind vorerst abgetreten. Aber ein allgemeines Purgatorium hat es nicht gegeben - es müsste auch die Reihen der bisherigen Opposition erfassen, auch die Verfilzungen in Wien.

»Fürs Image war "Ibiza" nicht besonders gut«

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Löwenstein: Fürs Image war "Ibiza" nicht besonders gut. Es war immerhin der (spätere) Vizekanzler, der sich auf diese Weise aufgeführt hat. Bedenklich ist aber auch die immer größere Hemmungslosigkeit in den Methoden des politischen Meinungskampfes. Sollte das Aufbauen der Ibiza-Falle oder der Hackerangriff auf die ÖVP dazugehören, was beides noch unaufgeklärt ist (Stand Anfang September)? Das gäbe auch kein gutes Bild.

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche?

Löwenstein: Ich sehe überall, wo rechnerisch Koalitionen möglich wären, verbrannte Erde. Das ist der eigentliche politische Schaden. Aber irgendetwas wird am Ende ja gehen müssen.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Löwenstein: Zusammenhalt in der EU, auch beim Thema Migration, wird eine zentrale Aufgabe für alle Mitgliedstaaten sein. Da ist auch Österreich gefragt.

Christoph Schiltz, "Die Welt"

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Schiltz: Es wäre viel zu früh zu sagen, die Ibiza-Affäre hätte in Österreich nichts verändert. Das bleibt abzuwarten. Zumindest wäre zu erwarten, dass die Parteienfinanzierung novelliert wird und mehr Transparenz entsteht. Auf jeden Fall hat die Affäre bewirkt, dass die gemäßigten Kräfte in der FPÖ um Hofer Auftrieb erhalten und Strache politisch matt gesetzt sein dürfte für die kommenden drei Jahre und möglicherweise auch darüber hinaus. Was dies für die Freiheitlichen bedeutet, bleibt abzuwarten. Es kann die FPÖ schwächen, es kann sie aber auch strukturell stärken. Ein dritter Aspekt: Das Geflecht der Geheimdienste in Österreich und ihre Rolle in der Politik ist äußerst undurchsichtig. Da wäre deutlich mehr Transparenz förderlich, ich erwarte das aber nicht.

»9,5 von 10 Personen in Deutschland wissen doch gar nicht, was die Ibiza-Affäre ist«

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Schiltz: Nein. 9,5 von 10 Personen in Deutschland wissen doch gar nicht, was die Ibiza-Affäre ist. Die Deutschen denken bei Österreich weiterhin an gutes Essen, herrliche Landschaften, Wein und Skifahren. Der einzige Politiker, der in D(eutschland) interessiert, ist Kurz. Er elektrisiert gerade viele christdemokratische Wähler, die sich einen wie Kurz als Parteichef und Kanzler wünschen. Strache, Rendi-Wagner, Meinl-Reisinger, der Grünen-Chef (sein Name fällt mir auch nicht ein) - alle völlig unbekannt.

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche?

Schiltz: Ich gehe fest davon aus, dass es wieder eine türkis-blaue Koalition geben wird nach den Wahlen. Für Kurz ist das am billigsten zu haben und für die FPÖ ist eine Neuauflage der Koalition äußerst wichtig für die innere Konsolidierung. Man kann nur hoffen, dass ÖVP und FPÖ die Fehler aus 2018/19 dann nicht wiederholen. Dazu gehört auch: Kickl darf nicht wieder Innenminister werden. Das wäre aus Brüsseler Sicht ein No go und würde Österreichs Sicherheitsinteressen auf europäischer Ebene insgesamt schaden.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Schiltz: Man kann Herrn Kurz nur raten, Außenminister Schallenberg weiterhin im Amt zu belassen. Schallenberg ist in Brüssel seit Jahren bekannt, er verfügt offensichtlich über ein großes internationales Netzwerk und sein Ansehen auf EU-Ebene ist immens. Ich sehe den Schwerpunkt für Österreichs Außenpolitik weiterhin darin, Brücke zum Westbalkan zu sein. In diesem Feld muss Wien seine Expertise in Brüssel einbringen. Das heißt: Die ökonomisch, geostrategische und migrationspolitische Bedeutung dieser Region den anderen EU-Ländern immer wieder klar machen und die Kontakte zu den jeweiligen Regierungen und Oppositionsparteien auf dem Balkan kontinuierlich pflegen und intensivieren. Hauptaufgaben für die EU-Außenpolitik insgesamt: besserer Schutz der EU-Außengrenzen, eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für den Westbalkan, eine neue zukunftsorientierte Russland-Strategie und mehr Sichtbarkeit der EU bei Kriseneinsätzen. Bei all diesen Fragen verfolgt Österreich klare Interessen und sollte sich einbringen.

Hans-Peter Siebenhaar, "Handelsblatt"

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Siebenhaar: Fast vier Monate nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre, ist völlig unklar, wer durch Spionagekunst diesen Skandal inszeniert, vertrieben und bezahlt hat. Die Wähler sind daher gezwungen, ihre Entscheidung an der Wahlurne ohne ausreichendes Wissen über den Auslöser der vorgezogenen Nationalratswahlen zu treffen. Das ist ein fataler Zustand, der zu einem verzerrten Wahlergebnis führen kann. Erst wenn der Skandal vollständig aufgeklärt ist, (kann) eingeschätzt werden, wie nachhaltig die Affäre Österreich verändert hat. Es ist daher notwendig, dass die Ermittlungsbehörden alle ihre Energie auf eine rasche Aufklärung verwenden und frühzeitig erste Ergebnisse präsentieren. Alles andere fügt der Demokratie in Österreich enormen Schaden zu.

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Siebenhaar: Die Ibiza-Affäre hat das politische Image Österreichs stark beschädigt. Denn die Vorgänge um den früheren Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat man bislang in einem mitteleuropäischen Land nicht für möglich gehalten. Das ohnehin geringe Vertrauen ist noch weiter zurück gegangen. Die Rolle als Brückenbauer zwischen West- und Osteuropa kann Österreich derzeit nicht wahrnehmen.

» Eine Neuauflage einer konservativ-rechtspopulistischen Koalition würde Österreich auf der europäischen Bühne ins Abseits katapultieren«

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche?

Siebenhaar: Eine Neuauflage einer konservativ-rechtspopulistischen Koalition würde Österreich auf der europäischen Bühne ins Abseits katapultieren und damit schwächen. Das ist dem ÖVP-Chef Sebastian Kurz sehr bewusst. Daher wird er für sein Ziel Bundeskanzler 2.0 nach den Nationalratswahlen andere Bündnispartner suchen.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Siebenhaar: Vertrauen ist in der Politik die härteste Währung. Die neue Regierung in Österreich muss das verloren gegangene Vertrauen in Europa wiederherstellen. Das gilt auch im Verhältnis zu Deutschland. Dafür braucht die neue Bundesregierung Zeit und Geduld. Statt Brücken zu bauen hatte sich die frühere österreichische Regierung zuletzt zwischen vielen Stühlen gesetzt. Europa benötigt angesichts der gigantischen Herausforderung von Handelskriegen und Wirtschaftsabschwung über Migration bis zum Klimaschutz eine Regierung in Österreich, die in Zukunft konstruktiv, sachlich und kompetent die multilateralen Probleme anpackt.

Joachim Riedl, "Die Zeit"

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Riedl: Ja, die Ibiza-Affäre hat Österreich verändert, wie nachhaltig das sein wird, ist freilich ungewiss. Das hängt vor allem davon ab, in welche Richtung sich die FPÖ entwickeln wird und ob es zu einer neuerlichen ÖVP-FP-Koalition nach den Wahlen kommen wird.

»Alles scheint möglich zu sein, die wildeste Erfindung noch ein zahmer Gedanke«

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Riedl: Natürlich hat die Ibiza-Geschichte für die Sicht auf Österreich Auswirkungen. Das Land war schon seit langem als Schlaucherl-Republik in Verruf geraten, nun steht es in peinlicher Entblößung dar. Alles scheint möglich zu sein, die wildeste Erfindung noch ein zahmer Gedanke.

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche? Riedl: Intuitiv eher ja, ich glaube auch, dass Sebastian Kurz das anstrebt. Die Frage ist nur, wie sehr er sich gegen seine Partei-Granden durchsetzen kann. So unangefochten wie noch im Sommer 2017 ist er jedenfalls nicht mehr. Die Aufkündigung der Koalition war ja vor allem ein Werk der ÖVP-Länderchefs. Und dort ist ein Pakt mit der FPÖ nicht sonderlich beliebt.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Riedl: Ich glaube, in Österreich müssten drei Punkte Priorität haben und die nächste Regierung müsste sich da um gesamteuropäische Lösungen bemühen: 1) länderübergreifende Lösungen in der Migrationspolitik; 2) eine kontinentale Antwort auf den Brexit; 3) wie positioniert sich die EU in den anbahnenden Handelskriegen. Insgesamt sollte Österreich mehr europäisch und weniger national denken.

Ralf Leonhard, "taz"

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Leonhard: Die Affäre wird ein Referenzpunkt bleiben weil sie die Käuflichkeit von Politikern offengelegt hat und erstmals ein erfolgreiches Misstrauensvotum und eine Expertenregierung nach sich gezogen hat. Nachhaltige Veränderung ist derzeit nicht zu bemerken, doch ist damit zu rechnen, dass nachhaltige Spätfolgen eintreten.

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Leonhard: Im Ausland schüttelt man erstaunt den Kopf, dass Kurz nach der Affaire noch immer eine Koalition mit der FPÖ in Betracht zieht. Sein Image wird sicher leiden, sollte er diesen Fehler begehen.

»Kurz wird sich aus Image-Gründen um eine Alternative bemühen«

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche?

Leonhard: Da Blau und Türkis inhaltlich weitgehend deckungsgleich sind, wäre es die logische Konstellation. Ich denke aber, Kurz wird sich aus Image-Gründen um eine Alternative bemühen. Wahrscheinlich würde er Grün vor Rot vorziehen, wenn es sich ausgeht und die Grünen sich handzahm zeigen.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Leonhard: Je nach Koalitionspartner: eine konstruktivere EU-Politik wäre geboten, eine aktive Politik am Balkan und eine Neupositionierung Österreichs als neutraler Vermittler in internationalen Konflikten.

Ivo Mijnssen, "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ)

APA: Die Nationalratswahl am 29. September ist eine Folge der "Ibiza-Affäre". Hat diese Affäre Österreich nachhaltig verändert? Oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Wenn ja, wundert Sie das?

Mijnssen: Ich bin noch nicht lange genug hier, um ein Urteil zu fällen, ob Ibiza Österreich nachhaltig verändert hat. Ich würde aber sagen, dass sie zumindest kurzfristig viel bewirkt hat: Es werden Fragen gestellt, welche am Grundverständnis des österreichischen Staates und der Politik rühren. Dass die Öffentlichkeit fast täglich darüber diskutiert, mit welchen Mitteln die Parteien sich den Staat aneignen, wo die Grenze zwischen Einfluss und Korruption verläuft und welche dubiosen Spendenpraktiken in den Hinterzimmern der Macht vorherrschen, ist faszinierend und demokratiepolitisch sehr wichtig.

Ob dies etwas an den Strukturen ändert, ist dennoch zweifelhaft. Der Zusammenfall dieser Fragen mit dem Wahlkampf ist diesbezüglich mehr Fluch denn Segen: Zwar sorgt das unklare politische Kräfteverhältnis wohl dafür, dass die Medien Fragen kritischer stellen, da sie der Message Control und dem wirtschaftlichen Druck der Regierung weniger stark ausgesetzt sind. Doch gleichzeitig ziehen sich primär die ÖVP und FPÖ in ihre "Wagenburg" zurück. Statt zwischen berechtigter und überzogener Kritik zu unterscheiden, wird alles pauschal als "Schmutzkübelkampagnen" abgetan und dem Wahlkampf zugeschrieben. Dies ist unverantwortlich.

Es führt wohl auch dazu, dass viele Diskussionen auf einen relativ engen Kreis von politisch Interessierten konzentriert bleibt, da zahlreiche Wähler sie entweder nicht mitbekommen oder als gegnerische Angriffe abtun.

»Die Affäre hat sicher auch die Leute im Ausland geschockt«

APA: Wie sieht die Außensicht aus? Hat die Affäre bzw. das Video das Image Österreichs im Ausland verändert?

Mijnssen: Die Ibiza-Affäre hat für ein Interesse an Österreich gesorgt, das wohl präzedenzlos war. Spannend dabei: Wir machen die Erfahrung, dass es sich primär auf Ibiza-Themen beschränkt - diese laufen bei unseren Lesern sehr gut, während weitergehende Analysen über die österreichische Innenpolitik nur marginal mehr Interesse hervorrufen.

Die Affäre hat sicher auch die Leute im Ausland geschockt, da man ein solches Gebaren in einer weitentwickelten europäischen Demokratie nicht für möglich gehalten hätte. Mir scheint aber auch, dass darauf oft ein Achselzucken folgt. Vereinfacht gesagt, sehen sich die an Österreich Halbinteressierten in ihren negativen Vorurteilen bestätigt (Stichworte: wursteln, Nähe zum "Balkan", Freunderlwirtschaft). Eine tiefergreifende Auseinandersetzung ist schwierig zu vermitteln.

Geschadet hat die Affäre dem Image Österreichs wohl auch in dem Sinne, dass bürgerlich-konservative Kreise die ÖVP-FPÖ-Koalition als Vorbild sahen, etwa für Deutschland. Dieses scheint nun doch arg zerzaust.

Persönlich finde ich, dass der Image-Schaden seit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos vergleichbar ist mit jenem, den dessen Publikation ausgelöst hatte. Mit Ausnahme von Bundespräsident Van der Bellen und den Neos haben es die Politiker verpasst, moralische Verantwortung zu übernehmen. Dies leistet einem gewissen Zynismus Vorschub über das politische System als Ganzes, der dessen Institutionen untergräbt und eigentlich unangebracht ist, da das Video natürlich einen Extremfall darstellte. Um hier aber zu differenzieren, brauchte es differenzierte Aussagen statt Wahlkampfgetöse.

Gerade Sebastian Kurz war diesbezüglich eine Enttäuschung, ließ er sich doch nach dem Ende der Koalition rasch in die Niederungen der politischen Schlammschlacht herunter (besonders mit seinen Silberstein-Vorwürfen) statt einen moralisch-politischen Anspruch zu stellen. Daran war er natürlich nicht alleine schuldig, er wurde schließlich von der Opposition abgewählt. Dennoch verpasste er vor dem Misstrauensvotum die Chance, staatsmännischer zu agieren.

Die Inszenierung als Opfer mag bei der Wählerschaft ankommen, doch sie passt besser zur FPÖ als zu einem seriösen Politiker. Von außen wirkt sie unsouverän und schädlich für sein Image.

»Risiko eines erneuten Debakels mit der FPÖ für Kurz erheblich«

APA: Erwarten Sie eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition? Oder wird es eine andere Konstellation geben? Wenn ja, welche?

Mijnssen: Noch vor wenigen Wochen hätte ich gesagt, dass eine neue ÖVP-FPÖ-Koalition ziemlich wahrscheinlich ist. Sie bleibt wohl weiterhin die am wenigsten unwahrscheinliche Variante, doch die Gründe, die dagegen sprechen, nehmen zu. Dies weniger wegen der Gehässigkeiten; diese sind Teil des Wahlkampfs und danach bei der richtigen Interessenlage rasch vergessen. Dazu kommen die wirtschafts- und migrationspolitischen Gemeinsamkeiten, die groß sind.

Dennoch ist das Risiko eines erneuten Debakels mit der FPÖ für Kurz erheblich. Er kann es eigentlich nur dann eingehen, wenn er irgendeine Art von Sicherheit hat. Hofer versucht, zumindest gegen Außen den Anspruch einer moralischen Erneuerung zu vertreten. Doch Straches Verhalten als "unguided missile", der Umgang mit Kickl und jüngst die Affäre um Frau Stenzel zeigen, wie schwach (oder zumindest inkonsequent) der designierte Parteivorsitzende ist; der Graben zwischen parteiinternen Abwägungen und der von außen erwarteten Salonfähigkeit wächst. Ob der Spagat gelingt, wird man nach dem Parteitag sehen, und vor allem nach der Wahl: Ob die FPÖ das ebenfalls nicht unerhebliche Risiko einer erneuten Regierungsbeteiligung eingeht, hängt wohl auch davon ab, wie fest sie geschwächt wird. Gerade bei starken Verlusten könnten sich einige Mitglieder an die Erfahrungen nach Knittelfeld erinnern und den Gang in die Opposition vorziehen.

Alternativen zu FPÖ-ÖVP sind schwierig. Eine rot-schwarze Koalition kann man wohl ausschließen, eine zwischen ÖVP, Neos und Grünen wäre zwar aus liberaler Sicht wünschenswert, aber sehr kompliziert. Dabei glaube ich sogar, dass Kurz mit beiden Parteien einige Überschneidungen hat, doch Fragen bleiben: Wird die Mehrheit der drei Parteien überhaupt groß genug sein, dass sich der Aufwand lohnt? Bewegt sich Kurz in der Migrations- und Gesellschaftspolitik wirklich in die Mitte? Und können auch Neos und Grüne miteinander, die sich ja durchaus misstrauisch gegenüberstehen?

Ob ein Zusammengehen von ÖVP mit nur einer der kleineren Parteien möglich ist, hängt davon ab, ob sie zusammen eine Mehrheit erhalten. Dies scheint unwahrscheinlich - genauso wie eine Mehrparteien-Koalition gegen die ÖVP.

APA: Welche Schwerpunktsetzung in den Bereichen Außenpolitik und EU würden Sie sich von der kommenden Regierung erwarten? Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Fragen?

Mijnssen: Die Möglichkeiten der österreichischen Außenpolitik sind beschränkt. Bei der Balkan-Erweiterung der EU scheitert sie an der Passivität oder Ablehnung größerer Staaten (Frankreich, Deutschland, Spanien), beim Brexit ist Österreich ein Nebenakteur. Im besten Fall für Österreich kann Kurz seine Strahlkraft nutzen, um politisch einen gewissen Druck zu erzeugen. Wie groß diese noch ist, muss sich aber erst weisen.

Die drängendsten Fragen, bei denen Österreich eine wichtige Rolle spielt, betreffen Migration, Ost-West-Spaltung und das Verhältnis zu Russland. Bei den ersten beiden Themen könnte das Land im besten Fall eine Vermittlerrolle spielen: In der Migrationsthematik ist der Leistungsausweis von Kurz aber seit der Schließung der Balkan-Route bescheiden, die Diskussionen auf europäischer Ebene völlig verfahren. Ob sich in einer allfälligen neuen Mitte-Koalition in Wien Möglichkeiten für moderatere und pragmatische Ansätze und damit für neue Impulse für die Diskussion auf EU-Ebene ergeben, wird spannend zu beobachten sein.

Im Verhältnis zu den Visegrad-Staaten könnte Kurz seine guten Beziehungen nutzen und zum Entspannungsprozess beitragen, den besonders Deutschland und Ungarn seit der Ernennung von von der Leyen sehr betonen. Wie nachhaltig er ist, hängt aber nicht von Wien ab. Eine in die politische Verbannung geschickte FPÖ würde dieses außenpolitische Ziel aber sehr wohl stören.

Schließlich Russland: Hier ist es faszinierend zu sehen, wie wenig unter Druck Österreich in den letzten Jahren mit seiner doch sehr russlandfreundlichen Haltung geriet. Nehmen die geopolitischen Spannungen weiter zu, könnte Wien in diesem Bereich stärkerer amerikanischer Kritik ausgesetzt sein. Eine klarere, nicht alleine von wirtschaftlichen Interessen getriebene Haltung gegenüber Moskau würde zu Österreichs Glaubwürdigkeit beitragen. Sie ist aber unwahrscheinlich.

Kommentare


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